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Serie

Mein ältester Schatz
Im August holt Hannelore Förster die Kinderschuhe ihres Vaters hervor

4 min
Hannelore Förster hält zwei kleine Kinderschuhe in den Händen.

Auch nach weit über 100 Jahren ist das Leder der Kleinkindschuhe noch geschmeidig, dafür sorgt Hannelore Försters Margarinen-Kur. Die Schuhe entsprechen etwa der heutigen Größe 17 für Kinder zwischen drei bis sechs Jahren, doch keinem der Enkelkinder haben die Treter gepasst.

Das rund 112 Jahre alte Leder zeigt keinerlei Risse, lediglich die Schnürsenkel haben die Jahrzehnte nicht überstanden.

Ganze zwölf Zentimeter lang ist der Schatz, den Hannelore Förster aus Nümbrecht-Gaderoth wie ihren Augapfel hütet. Jetzt im August ist es wieder soweit. Wie jedes Jahr holt sie am Geburtstag ihres Vaters Erwin dessen erste Straßenschuhe hervor, reinigt sie sorgfältig und fettet sie mit Margarine ein. Das hat sich bewährt: Das rund 112 Jahre alte Leder zeigt keinerlei Risse, lediglich die Schnürsenkel haben die Jahrzehnte nicht überstanden. Diese Methode hat die 67-Jährige von ihrer Mutter übernommen, die die Schuhe ihres Mannes in gleicher Weise gepflegt hat.

Das Ehepaar Rainer und Hannelore Förster wundert sich selbst über die geringen Abmessungen. Ein Blick in die Schuhgrößentabelle für Babys verrät, dass es sich vermutlich um Größe 17 handelt, eine Größe, die Kindern im Alter von drei bis sechs Monaten passt. Die Frau ist erstaunt: „Ich habe auch die ersten Schuhe meiner Enkelin Paula aufgehoben – die sind drei Nummern größer.“ Schmunzelnd verrät sie, dass sie die winzigen Schuhe bei allen Enkeln ausprobiert hat: „Keinem haben die gepasst.“ Dass sie aber nicht nur zur Zierde dienten, beweisen Spuren an der Seite und der Sohle. Dort sind auch die Befestigungsnägel zu sehen, was auf Handanfertigung schließen lässt.

Alte Kinderschuhe aus Leder stehen auf einem Tisch.

Solide Handarbeit: Die Sohle der Kinderschuhe ist genagelt.

„Mein Vater hat die Natur geliebt und wir sind immer viel wandern gegangen“, erklärt Förster ihre Liebe zu der antiken Fußbekleidung. „Außerdem ist es die älteste Erinnerung an ihn, die ich habe – er war mir immer ein Vorbild.“ Wie sie selbst war ihr Vater ein Einzelkind und habe grundsolide gelebt. Im Hauptberuf bei BPW Bergische Achsen in der Lohnabteilung tätig sei er nebenbei Geschäftsführer der ehemaligen „Bröltaler Elektrizitätsgenossenschaft“ gewesen, die Gaderoth mit Energie versorgt hat und erst vor einigen Jahren in den Gemeindewerken Nümbrecht aufgegangen ist: „Außerdem war er im Gemeinderat.“

„Man muss alles von allen Seiten betrachten“, sei eine der Maximen ihres Vaters gewesen: „Wichtig ist, bei neuen Problemen erst einmal darüber zu schlafen und dann zu versuchen, auch die Sicht der anderen Menschen zu verstehen.“ Diese Vorgehensweise habe auch sie sich zu eigen gemacht: „Ich mag es überhaupt nicht, wenn sich jemand vorschnell ein Urteil bildet.

Hannelore Försters Vater lebte ihr vor, ehrlich durchs Leben zu gehen

Hannelore Förster schildert, dass ihr Vater vorgelebt habe, wie wichtig es sei, ehrlich durchs Leben zu gehen und achtsam gegenüber anderen Menschen zu sein. Darüber hinaus habe er einen ausgeprägten Familiensinn gehabt, der die gesamte Verwandtschaft einschloss. Besonders habe er sich über seinen ersten Enkel Timo gefreut: „Selbst in hohem Alter noch hat er mit ihm auf dem Boden gekugelt.“ Durch die Art ihres Vaters, die Familienbande zu pflegen, sei sie nie alleine gewesen: „Ich habe mich niemals als Einzelkind gesehen.“

„Die Schuhe sind ein Symbol für die Verbundenheit mit meinem Vater“, betont Förster. „Mein Vater hatte immer einen Dackel, solange ich denken kann“, erinnert sie sich. Mit dem sei er tagtäglich nach der Arbeit durch das benachbarte Waldstück „Alter Galgen“ in Richtung Oberbierenbach gelaufen und habe sie oft mitgenommen. Die gemeinsam verbrachten Urlaubsreisen seien meist nach Bayern oder in die Dolomiten gegangen: „Auch dort sind wir immer viel gewandert.“

Reise nach Israel Ende der 70er Jahre ist besonders in Erinnerung geblieben

Eine ganz besondere Erinnerung verbinde sie jedoch mit einer Reise nach Israel Ende der 70er Jahre: „Mein Vater wollte einmal auf der Via Dolorosa in Jerusalem auf den Spuren Jesu bis zur Grabeskirche gehen“, erzählt sie mit Andacht. Da ihre Mutter nicht fliegen wollte, habe sie ihren Vater begleitet. Daneben hätten sie auch Tel Aviv und Haifa besucht. „Für ihn war das die schönste und wichtigste Reise seines Lebens“, schildert die damals 20-Jährige die Fahrt mit ihrem damals schon weit über 60-jährigen Vater: „Und für mich hat sie unsere Beziehung unglaublich intensiviert.“

Nicht so ganz übernommen hat Hannelore Förster die väterliche Vorliebe für den Nutzgarten: „Er hatte ein riesiges Kartoffelfeld und alle möglichen Gemüse angebaut, die Sache meiner Mutter waren die Blumen und ich musste immer Rasen mähen.“ Die körperlichen Aktivitäten ihres Vaters im Grünen führt sie jedoch auch heute noch fort: „Fast täglich gehe ich mit meiner Freundin walken.“ So erhält sie sich den Bezug zur Natur – nicht in den Schuhen, aber im Sinne ihres Vaters.