Wie funktioniert Film? Das war Thema eines Workshops, für den der Studenten-Oscar-Preisträger ans Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium zurückgekehrt ist.
Jens Kevin GeorgOscar-Preisträger war Gastlehrer an seiner alten Wiehler Schule

Zum Vortrag von Jens Kevin Georg gehörte auch eine praktische Übung. Schülerin Liv wurde zur Kamerafrau ernannt.
Copyright: Reiner Thies
„Ich bin der Jens.“ Der Oscar-Preisträger lässt sich duzen. Nun ist es auch erst zwölf Jahre her, dass Jens Kevin Georg hier am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium selbst Abitur gemacht hat, und der 31-jährige Drabenderhöher wirkt eher jünger. Ganz abgesehen davon, dass man sich in der internationalen Filmwelt auch nicht siezt. Dort hat er 2024 mit dem Studenten-Oscar einen großen Erfolg feiern können. Seine Selbstvorstellung im Klassenraum beendet Georg mit dem Satz: „Alles ist gut.“ Wirklich? Man könnte alles auch ganz anders erzählen.
Darauf weist der Gastreferent eingangs selbst hin. Sein Thema ist nämlich der kritische Blick auf Erzählungen, besonders auf die filmische Narration und die Mittel, mit denen der Zuschauer manipuliert wird, bis der Abspann läuft. „Alles ist gut?“, fragt Jens Kevin Georg rhetorisch. „Nein, denn nach dem Happy End geht das Leben weiter.“
Wiehler Gymnasium pflegt die politische Bildung
Kurz vor Ferienbeginn hat das Wiehler Gymnasium seinen „Tag der Zukunft“ veranstaltet. Dort ging es um gesellschaftspolitische Fragen, die im normalen Unterricht oft zu kurz kommen, aber zum Bildungsauftrag der Schule gehören, sagt die stellvertretende Schulleiterin Britta Stephan. Das Spektrum der Workshops reicht von seelischer Gesundheit über Queerness und fairen Handel bis zur Nachhaltigkeit in der Industrie – die BPW Bergische Achsen KG hat auf dem Schulhof einen riesigen Bus gestellt und wirbt nebenher um Auszubildende.
Der Film verdichtet, er erzählt ganz viel, ganz schnell, aber das kann auch missbraucht werden.
In Raum C108 läuft derweil der Zeichentrick-Klassiker „101 Dalmatiner“. Jens Kevin Georg zeigt nur einen kurzen Ausschnitt, er weiß aus eigener Erfahrung an der Film-Uni, dass längliche Vorführungen am Vormittag zu einem Nickerchen einladen. Er will zeigen, mit welchen filmischen Mitteln die böse Cruella De Vil eingeführt wird. Wie die Farben, das Licht, die Geräusche und die Musik auch unterbewusst wirken. Die Mischung der Kunstformen ist, was den Regisseur an seinem Genre schon immer fasziniert hat. „Der Film verdichtet, er erzählt ganz viel, ganz schnell“, sagt Georg den Schülern, „aber das kann auch missbraucht werden.“
Jeder Erzählung liege eine Haltung zugrunde. Auch in scheinbar harmlosen Disney-Filmen würden rassistische Vorurteile transportiert, die manchmal an die Propaganda-Machwerke der NS-Regisseurin Leni Riefenstahl erinnerten. Georg weist das an Ausschnitten aus dem „König der Löwen“ nach. Die Fabel kam 1994 ins Kino, in Georgs Geburtsjahr. Früher war es sein absoluter Lieblingsfilm, verrät der Referent den Schülerinnen und Schülern. Heute hat er andere Favoriten, etwa den Science-Fiction-Klassiker „2001“. Den jungen Leuten empfiehlt er unter anderem „Little Miss Sunshine“.
Lehrreiche Zeit an der Kölner Hochschule
Aber in seinem Workshop werden Filme nicht nur angesehen, es wird sogar einer gedreht. Der Jungregisseur hat früher an der Filmhochschule in Babelsberg und nun an der Kölner Medienhochschule selbst viel Lebenszeit in Seminaren verbracht und gelernt, wie man Zuhörer wach hält. Zum Drehbuch seiner Doppelstunde gehört ein kurzer Praxisteil.
Schülerin Liv macht mit dem Handy ein kurzes Video von Georg, während dieser ausdruckslos auf die Tischplatte guckt. Für den Gegenschnitt filmt sie danach erst ein leeres Nutella-Glas und dann eine Kruzifix-Kette. Der Fachmann montiert blitzschnell alles zusammen. Der eine Ultrakurzfilm erzählt von einem traurigen Schleckermaul, der andere von einer religiösen Lebenskrise. „Das ist der Kuleschow-Effekt“, lernen die Schüler. Die Assoziation im Kopf erzeuge den Mehrwert. „In der Montage gilt: 1+1=3.“
Wie geht es jetzt weiter nach seinem Kurzfilm „Kruste“ und nach dem Studenten-Oscar, dem Happy End seiner „kapitalistischen Erfolgsgeschichte“, wie es Jens Kevin Georg ausdrückt? Natürlich ist nicht „alles gut“. Er hat das Nachfolgeprojekt abgebrochen und aufgeschoben. Sein erster Langfilm sollte Siebenbürgen gewidmet sein, der Herkunftsregion seiner Familie. Das historische Gewicht dieses Hintergrunds hat ihn beim Schreiben zu sehr belastet, seinen schrägen Humor ausgebremst. „Der Langfilm ist ein ganz neues Medium für mich“, sagt Jens Kevin Georg, „ich muss noch viel lernen.“
Das neue Drehbuch, an dem er arbeitet, handelt von der Liebe einer Hospizhelferin und eines Friedhofsgärtners. Ob die Romanze ein Happy End hat, ist ungewiss.