Lesung und DiskussionCum Ex-Affäre war Thema in Wipperfürth

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Das Foto zeigt Buchautor Massimo Bognanni den Rapper Quichotte alias Jonas Klee, die Ex-Minister Norbert Walter-Borjans und Peter Biesenbach sowie die Journalistin.Maja Weber.

Buchautor Massimo Bognanni (Mitte) hatte sich für die Veranstaltung Verstärkung geholt, nämlich Rapper Quichotte alias Jonas Klee, Norbert Walter-Borjans, Maja Weber und Peter Biesenbach (v.l.).

330 Zuhörer erlebten in der Drahtzieherei einen unterhaltsamen Abend - bei einer Lesung mit  Massimo Bognanni und einer Diskussion über die Cum Ex-Affäre.

Zehn bis zwölf Milliarden Euro Steuereinnahmen sind dem deutschen Staat entgangen, weil kriminelle Banker, Anwälte und ihre schwerreiche Klientel die Finanzbehörden betrogen. Die „Cum-Ex-Affäre“ war der größte Steuerraub in der deutschen Geschichte. Und doch ist er vermutlich nur die Spitze eines Eisberges, dessen wahres Ausmaß verborgen bleibt.

Massimo Bognanni, mehrfach ausgezeichneter Investigativjournalist und Buchautor, stellte am Donnerstagabend in der Alten Drahtzieherei die erweiterte Neuauflage seines Bestellers „Unter den Augen des Staates “ vor. Bognanni, der in Hückeswagen geboren wurde und in Wipperfürth zur Schule ging, schaffte es, die komplexe Materie spannend und zugleich sehr unterhaltsam zu vermitteln.

Spannend und unterhaltsam zugleich

Zwischendurch wurden auf der riesigen Videowand der Drahtzieherei kurze Szenen aus der WDR-Dokumentation „Der Milliardenraub“ eingespielt. Rund 330 Zuhörerinnen und Zuhörer verfolgten die fast vierstündige Veranstaltung. Die ersten Hinweise auf ein kriminelles Netzwerk gab es bereits in den 1990er Jahren, wie Bognanni erklärte. Doch Finanzbehörden und Politik hätten jahrzehntelang bewusst weggeschaut.

Mithilfe eines kleinen Rollenspiels und dreier Freiwilliger aus dem Publikum demonstrierte Bognanni das Grundprinzip von Cum Ex-Geschäften – am Beispiel von Pfandbons. Wer eine leere Flasche zurückgibt, erhält dafür einen Bon, der bares Geld wert ist. Doch für jede Flasche gibt es nur einen Bon. 

Ein Rollenspiel verdeutlicht das Prinzip

Wer mit Aktiengeschäften Geld verdient, muss in Deutschland Kapitalertragssteuer zahlen. Unter bestimmten Umständen kann man sich diese Steuer erstatten lassen. Indem sie riesige Aktienpakete hin- und herschoben, täuschten die Cum-Ex-Steuerbetrüger den Fiskus und ließen sich die Steuer mehrfach erstatten. Das wäre so, als bekomme man für eine Flasche zwei Bons.

Mit einer Podiumsdiskussion und zwei hochrangigen Ex-Politikern ging es nach der Pause weiter. Die Moderatorin, ZDF-Journalistin Maja Weber, war eigens aus Hamburg angereist. Sie hatte in der Pause Fragen aus dem Publikum eingesammelt, die sie nun stellte. Der damalige NRW-Justizminister Peter Biesenbach war in die Aufklärung der Cum Ex-Affäre direkt involviert. Der Hückeswagener sorgte dafür, dass die Kölner Staatsanwaltschaft für die Ermittlungen personell aufgestockt wurde — was dann auch Früchte trug.

Es braucht politische Führung, die sagt, ich will diesen Komplex wirklich bearbeiten.
Peter Biesenbach, Ex-Justizminister von NRW

„Über viele Jahre gab es zu wenig Personal in den Finanzbehörden“, kritisierte der CDU-Mann, die Betrüger hätten so leichtes Spiel gehabt. Der Staat habe es lange versäumt, zu handeln. „Es braucht politische Führung, die sagt, ich will diesen Komplex wirklich bearbeiten.“ Zugleich griff er seinen Nachfolger Benjamin Limbach (Grüne) an, weil der versuche, die leitende Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker zu entmachten.

Norbert Walter-Borjans (SPD) setze als NRW-Finanzminister den Ankauf von Steuer-CDs durch – eine Maßnahme, die umstritten war. Doch nur so kamen die Behörden vielen Steuerbetrügern auf die Schliche.

Die Erinnerungslücken des Bundeskanzlers

An Cum Ex-Geschäften haben viele Banken im In- und Ausland mitgemischt. Ein Geldinstitut geriet besonders in die Schlagzeilen: die Warburg-Bank in Hamburg. Sie sollte 47 Millionen Euro an die Steuerbehörden zurückzahlen. In dieser Situation wandte sich Bankenchef Christian Olearius an den damaligen Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz. Beide trafen sich mehrfach. Der heutige Bundeskanzler bestreitet bis heute, Einfluss genommen zu haben und beruft sich auf Erinnerungslücken.

Wie er dieses Auftreten des SPD-Kanzlers bewerte, wollte Maja Weber von Borjans wissen. „Gelinde gesagt, suboptimal“, räumte dieser ein.  Deutlich wurde an diesem Abend auch, dass der Kampf gegen die Steuerhinterziehungsindustrie unvermindert weiter geht. Für einen humorvollen Ausklang sorgte Rapper Quitchotte alias Jonas Klee, der aus Begriffen wie „Erinnerungslücke“ und „Bankschließfach“ einen Wortsalat reimte.

Dass eine so hochkarätig besetzte Veranstaltung in einer Kleinstadt wie Wipperfürth stattfinden konnte, ist den Organisatoren zu verdanken: der Buchhandlung Colibri und Norbert Drecker sowie der Wipperfürther Bürgerstiftung und Herbert Willms.

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