Wegen Tschaikowski-MusikLindlar untersagt Jungem Orchester NRW öffentliche Probe

Lesezeit 3 Minuten
Junges_Orchester

Das Junge Orchester NRW bei seinem letzten Konzert in Lindlar im Januar 2020 

Lindlar – Das Junge Orchester NRW (djo) unter seinem Dirigenten Ingo Ernst Reihl ist seit Jahren Stammgast in Lindlar. Die Musikerinnen und Musiker übernachten in der Jugendherberge, proben im Kulturzentrum und bedanken sich am Ende für die Gastfreundschaft mit einer öffentlichen Generalprobe. So war es auch dieses Jahr geplant.

Rathaus hat Bedenken gegen Tschaikowski

Doch dann meldete das Rathaus Bedenken an, und zwar wegen der Programms. Das djo wollte die 2. und 3. Sinfonie von Peter Tschaikowski einüben und aufführen – einem der bekanntesten russischen Komponisten, geboren 1840, gestorben 1893. „Wir haben uns als Gemeindeverwaltung gegen eine öffentliche Generalprobe von Tschaikowski-Musik ausgesprochen, weil sich der russische Krieg gegen die Ukraine, gegen das Leben der Menschen dort und gegen ihre Kultur richtet“, äußert sich der Lindlarer Bürgermeister Georg Ludwig in einer E-Mail an unsere Redaktion.

Aktuell wolle man deshalb kein Forum mit einem Schwerpunkt auf russischer Kultur bieten. „Wir bedauern sehr, dass wir uns angesichts der Situation zu dieser Entscheidung gezwungen sehen“, so der Bürgermeister.

Die Auftritte des Jungen Orchesters NRW würden sehr wertgeschätzt, und man freue sich über die enge Verbundenheit des Orchesters mit Lindlar. Die Entscheidung gegen eine öffentliche Generalprobe sei kein Ausdruck einer mangelnden Wertschätzung der russischen Kultur als Ganzes. Aber russische Musik in den Mittelpunkt eines Konzerts zu stellen und so zu tun, als sei nichts geschehen, das sei derzeit ein falsches Zeichen, „nicht zuletzt gegenüber den ukrainischen Flüchtlingen vor Ort, die um ihre Heimat und ihre Angehörigen bangen“, schreibt Ludwig. Auch im Kulturbeirat habe man das geplante Veranstaltungsplakat wegen der Schwerpunktsetzung auf russische Musik kritisch gesehen. „Dies habe ich aufgegriffen.“

Der Dirigent differenziert

Ingo Ernst Reihl, der das djo gegründet hat und seit über 30 Jahren leitet, bemüht sich um eine Differenzierung im Umgang mit russischer Musik und Musikern angesichts des Überfalls auf die Ukraine. „Es gibt verschiedene Ebenen. Wenn sich die Münchner Philharmoniker von ihrem russischen Chefdirigenten und Putin-Freund Valery Gergiev trennen, ist das verständlich.“

Er könne auch gut verstehen, wenn ukrainische Musiker aufgrund des Krieges derzeit keine russische Musik spielen wollten. Die Situation in Lindlar sei wiederum eine andere. Das Tschaikowski-Programm habe man bereits vor der Corona-Pandemie in Planung gehabt. „In der 2. Sinfonie hat der Komponist ukrainische Volkslieder verarbeitet, als ein Zeichen der Wertschätzung.“

Diese Musik, so Reihl, sei zutiefst humanistisch und nicht kriegstreibend. Die 2. Sinfonie trägt den Untertitel „Die Kleinrussische“, eine Bezeichnung für ein Gebiet, das heute größtenteils die heutige Ukraine umfasst.

Das könnte Sie auch interessieren:

Das djo hat unter dem Eindruck des Krieges sein aktuelles Programm erweitert. Neben Tschaikowski soll auch das „Gebet für die Ukraine“ von Walentin Silvestrow erklingen, einem kürzlich aus Kiew geflüchteten Komponisten. Reihl akzeptiert die Entscheidung der Lindlarer Verwaltung, eine öffentliche Generalprobe im Kulturzentrum abzusagen. „Wir freuen uns, dass wir in Lindlar proben dürfen.“ Er hätte sich allerdings gewünscht, die Entscheidung vom Bürgermeister direkt zu erfahren, so der Dirigent.

Unverständnis für die Entscheidung

Auf Unverständnis stößt die Entscheidung bei Professor Falko Steinbach, dem Gründer und Leiter des Lindlarer Klavierfestivals: „Ich persönlich kann die Engstirnigkeit des Denkens, die sich hinter derartig gecancelter Kultur verbirgt, nicht nachvollziehen. Undenkbar, dass Tschaikowski als Homosexueller Putins Angriffskrieg befürwortet hätte. Schostakowitsch musste Aufführungsverbote hinnehmen, da seine Musik von Stalin als nicht ’nationalistisch’ eingestuft wurde. Prokofjews Musik war gegen Ende seines Lebens Musica Non Grata, weil seine Frau wegen Spionage zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war. Wir bestrafen die Falschen, denn was Putin betreibt, ist eine Spielform des Stalinismus, und wir sollten uns daran kein Beispiel nehmen.“

Rundschau abonnieren