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Vater aus Bergisch Gladbach im Interview„Vor den Folgen der Kita-Krise habe ich Angst“

Lesezeit 4 Minuten
Ralf Gebhardt hält ein Schild vor seiner Brust mit der Aufschrift "Papa".

Ralf Gebhardt, Vater von sieben Kindern aus Bergisch Gladbach, hat Angst vor den Folgen der Kita-Krise.

Ralf Gebhardt aus Bergisch Gladbach hat einen Beschwerdebrief ans Land NRW und den Bundespräsidenten geschrieben.

Herr Gebhardt, die Lage der Kitas ist schon lange schlimm. Warum ist gerade jetzt ein Aufschrei nötig?

Ralf Gebhardt: Nach der Demo mit anderen Caritas-Eltern vor dem Rathaus vergangene Woche hat das Thema so in mir gebrodelt, das musste einfach raus. Ich mache mir die allergrößten Sorgen um die mangelnde Betreuung unserer Kinder und die dadurch entstehenden gesellschaftlichen Probleme.

Haben Sie für alle ihrer Kinder eine Kita-Betreuung gefunden?

Nein, leider nicht. Zwei meiner Kinder sind zwar im Kindergarten. Aber bereits vor 20 Jahren gab es für meine ersten Kinder keine Plätze, was mich dazu nötigte, eine private Spielgruppe zu gründen, damit zumindest zeitweise eine Betreuung erfolgen konnte. Heute stellt sich die Situation ungleich dramatischer dar.

Was sind die Hauptprobleme?

Das Kernproblem besteht darin, dass das Landesgesetz Kibiz zu einer systematischen – und daher scheinbar gewollten – Unterfinanzierung aller Kitas führt. Finanziert wird eine fiktive Grundversorgung mit Fachpersonal und Ergänzungskräften, die der Kita-Realität in keiner Weise standhält. Jede minimale Störung, zum Beispiel, wenn eine einzige Erzieherin ausfällt, bedeutet Notgruppe oder Gruppenschließung.

Kann das noch lange gut gehen?

Nein. Die Träger sind gezwungen, wirtschaftlich abstruse Konstrukte aufrechtzuerhalten, die jedes Privatunternehmen längst abgestoßen hätte. Die Grenze des Aushaltbaren ist für alle Beteiligten längst erreicht. Wenn nicht sofort etwas geschieht, werden Einrichtungen in Reihe geschlossen werden.

Gerade die motivierten Pädagogen sind völlig erschöpft und ausgebrannt.
Ralf Gebhardt

In Ihrem Brief schreiben Sie, dass in den Teams keine Ressourcen mehr da sind.

Die pädagogischen Teams leisten Unglaubliches. Aber sie werden gezwungen, den Faktor Bindung zu ignorieren und müssen stattdessen täglich wechselnde Kinder betreuen, die allesamt aus ihrem vertrauten Umfeld herausgerissen werden. Mein Erleben ist, dass gerade die motivierten Pädagogen völlig erschöpft und ausgebrannt sind.

Es geht ja nicht nur um die Kräfte der Erzieherinnen, sondern doch auch um ein ganzes System, das zusammenbricht, wenn Kitas nicht mehr geöffnet sind?

Eltern werden seit Jahren einfach hilflos alleine gelassen und müssen jeden Mangel kompensieren. Wenn man das Kind drei von fünf Tagen selbst betreuen muss, ist die eigene berufliche Stellung massiv gefährdet. Eltern fehlen dann selbst als Fachkräfte.

An den Kindern geht das doch auch nicht spurlos vorbei?

Das ist für mich ein ganz wichtiger Punkt. Wie sollen diese Kinder später uns gegenüber, wenn wir in Rente sind, solidarisch und sozial handeln, wenn sie in der prägenden Zeit das Signal bekommen haben: Wir sind Euch egal. Vor den Folgen habe ich Angst.

Was halten Sie also für notwendig?

Ich erhoffe mir vom Land Nordrhein-Westfalen eine akute Finanzspritze, um das Schlimmste zu verhindern. Und die Kibiz-Gesetzesnovelle muss vorgezogen werden. Die bloße Reformabsicht im Jahr 2026 wirkt wie eine Worthülse von auf Zeit gewählten Politikern.

Fachlich ist doch das NRW-Ministerium zuständig. Warum haben Sie auch Frank-Walter Steinmeier angeschrieben?

Aus zwei Gründen. Zum einen sehe ich wirklich ein großes gesellschaftspolitisches Problem für eine ganze Generation und zum anderen hat der Bundespräsident eine symbolische Ehrenpatenschaft für meine Zwillinge übernommen. Das reduziert die Hemmschwelle ein wenig.

Was meinen Sie damit, die Stadt Bergisch Gladbach agiert unreflektiert? Sie zahlt doch freiwillig einen Zuschuss in Höhe von 780.000 Euro.

Ja, da sind wir auch alle dankbar. Aber ich persönlich habe die Sitzung des Jugendhilfeausschusses so erlebt, dass alle anwesenden Parteien primär die eigene Arbeit loben. Fakt ist aber, es werden gerade vier unterfinanzierte Kitas gebaut und in der aktuellen Situation werden wir keine Fachkräfte dafür finden oder sie müssen von anderen Kitas abgezogen werden. Das Kernproblem wird nicht gelöst. Vor allem hätte ich erwartet, dass der Ausschuss so flexibel ist und den Tagesordnungspunkt vorzieht, vor allem wenn so viele Kinder im Raum sind.


Kita-Krise und wie Eltern sich wehren

Bei Eltern sowie den freien und kirchlichen Trägern von Kindertagesstätten in Bergisch Gladbach ist die Sorge groß, dass Einrichtungen schließen müssen. Das Kinderbildungsgesetz (Kibiz) bildet die erhöhten Tariflöhne und Inflationsausgleichszahlungen nicht ab. Die Träger geraten so immer mehr in eine finanzielle Schieflage.

Dazu kommt, dass das Land NRW die Kibiz-Pauschalen erst im Jahr 2026 anpassen will. Für den Caritas-Verband Rhein-Berg entstehe allein bis dahin ein Minus von rund 600.000 Euro, hat Raphaela Hänsch, Sprecherin des Caritas-Verbands, in der vergangenen Woche im Jugendhilfeausschuss vorgerechnet.

Mehr als 250 Erzieherinnen und Erzieher aus dem Kreisgebiet haben bereits im Oktober 2023 vor dem Landtag in Düsseldorf gegen den drohenden Kollaps protestiert. Dahinter steckt auch die Angst um jeden einzelnen Arbeitsplatz.

Am vergangenen Donnerstag sind zum ersten Mal Caritas-Eltern zusammen mit ihren Kindern auf die Straße gegangen, weil sie Angst haben, ihren Kita-Platz zu verlieren. Aktuell kämpft die Stadt mit einem Ausbau-Programm gegen das bestehende Defizit an Plätzen. Im laufenden Kindergartenjahr fehlen im Stadtgebiet 300 Plätze. Die Stadtverwaltung befürchtet eine Klagewelle. (ub)

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