Buch aus alten BriefenFamilie Groß aus Burscheid suchte ihr Glück im Auswandern

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Albert Groß ging in die USA.

Albert Groß ging in die USA.

Burscheid – Die Burscheider Regionalhistorikerin Marie-Luise Mettlach hat sich in ihrem neuen Buch mit dem Titel „…und was habe ich mehr in der Welt als Freiheit“ der Geschichte der Familie Groß gewidmet – einer Kleinbauernfamilie, die im 19. Jahrhundert in Imelsbach lebte. Ungewöhnlich ist die Form.

Mettlach hat die Geschichte, die auf einem realen Briefwechsel beruht, als einen bergischen Roman angelegt. Immer wieder wird die Fiktion durch Zitate aus alten, realen Briefen angereichert, welche ihr Nachbar Herrmann Höpken von der letzten in Burscheid lebenden Vertreterin der Familie Groß erbte.

Marie-Luise Mettlach fand es zu schade, nur die Briefe zu drucken. Sie schrieb einen Roman, der sich um kursive Zitate rankt.

Marie-Luise Mettlach fand es zu schade, nur die Briefe zu drucken. Sie schrieb einen Roman, der sich um kursive Zitate rankt.

Eng beschriebenes Papier zeugt von einem intensiven Briefwechsel der Geschwister, die nach Norwegen und Amerika ausgewandert sind. In jahrelanger Arbeit hat Mettlach die Briefe, die als seltenes Zeitdokument gelten, entziffert und ausgewertet. Entstanden ist eine mitreißende, aber auch traurige Geschichte, in der wiederum eine fiktive Liebesgeschichte für Lichtblicke sorgt.

Bescheidene Verhältnisse

Vier Kinder der Familie Groß, die in bescheidenen Verhältnissen in Imelsbach ihr Geld auch als Sattler und Weber in Heimarbeit verdienten, wanderten aufgrund der wirtschaftlich schwierigen Situation Mitte des 19. Jahrhunderts aus.

Die Briefe waren schwer zu lesen.

Die Briefe waren schwer zu lesen.

Der erste Sohn, Eduard, ging nach Norwegen, wo er mit einem Freund einen Weberbetrieb im Zuchthaus von Kristiansand aufmachte. Der Bruder Albert ging nach Amerika und arbeitete als Sattler. Die jüngste Tochter, Christiane, folgte der älteren Schwester Rosalie in die USA, die dort einen deutschen Konditor geheiratet hatte und zu Geld gekommen war.

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Christiane, die Kränkliche, wurde von ihr ausgenutzt. Sie schreibt von der „falschen Hexe“, von der Einsamkeit und der Sehnsucht nach den Eltern: „Wenn uns Land und Meer trennen, bin ich immer in der Nähe.“ Es war offenbar nicht immer eine glückliche Entscheidung. Die Familie in Burscheid fieberte mit, wie die Entwicklung der Kinder und Geschwister in der Ferne wohl war. Zwar heißt es im ersten Brief Eduards: „Ich bin so gesund und dick geworden, dass (ich) ein anderes Aussehen habe wie in Deutschland und nicht mehr Bleichgesicht genannt werden kann.“ Die wirtschaftliche Situation dürfte also gut gewesen sein.

Bescheiden lebte die Familie Groß in Imelsbach.

Bescheiden lebte die Familie Groß in Imelsbach.

Aber es gab auch persönliche Tragödien, Liebesgeschichten und Zerwürfnisse, die Mettlach kunstvoll aufgreift. Das Buch erscheint im Bergisch Gladbacher Heiderverlag und ist ab sofort im Handel. Es sind alte Fotografien und Repros der Briefe beigefügt, die Mettlach sehr gekonnt in den historischen Kontext setzt, der von Klimaveränderungen in Folge eines Vulkanausbruchs ebenso erzählt, wie von „kleinen Aufständen“ gegen die Obrigkeit. Die äußerten sich schon darin, dass eine Frau einmal keine Haube anzog.

In Zeiten der sozialen Medien, in denen der Tratsch des virtuellen Dorfs schnell die Runde macht, mag man über Mettlachs historische „Beobachtungen“ schmunzeln. Austragungsort für „Klatschgeschichten“ ist der Waschteich im Frühjahr 1852, an dem über die Auswanderer der Groß-Familie debattiert wird. Feinsinnig ist auch die soziale Not, die Mettlach beschreibt: Zum Hausstand der Familie gehörte ein kunstvoll geschnitzter Stuhl, den die Großeltern 1815 zur Hochzeit bekamen. Über Jahrzehnte ist es das einzig bequeme Möbelstück. Geschlafen wird auf Strohlagern auf dem Fußboden und ein kleiner Luxus sind die Bücher aus der Leihbibliothek.

Gemeinsam mit Franz Wilhelm Oligschläger gründete Friedrich Wilhelm Groß den Nagelsbaumer Leseverein. „Aus den Briefen ist zu erkennen, wie stark die Auswanderung das Leben der Familie in der Heimat verändert hat“, sagt Mettlach. Bei der Vorstellung des Buches merkte man ihr die Erleichterung an. Es sei wie eine Geburt, nur länger. Ende der 80er Jahre erhielt sie von Höpken das Material und sein Neffe Rainer Höpken kam jetzt zur Buchvorstellung. Er kannte „das Luisschen“, die letzte in Burscheid lebende Nachfahrin der Familie Groß, noch als Kind. „Sie war eine feine Person“, sagt er. Aber der Onkel, der mit seinem Vater die Gärtnerei in Grünscheid gründete, sei auch nicht ohne gewesen. Mit 14 sollte er eine Lehre in der Hilgener Schraubenfabrik machen. Als ihm der Vorarbeiter sagte, er solle schneller machen, fragte er, was er denn überhaupt an Geld rausbekomme. Es war zu wenig und er ließ sich die Papiere geben. „Auf der Wiese pflückte er Margariten und verkaufte sie auf dem Markt in Solingen“, erinnerte sich Höpken. Das war einträglicher. Überhaupt sei sein Onkel ein kluger Geschäftsmann gewesen.

Marie-Luise Mettlach „...und was habe ich mehr in der Welt als Freiheit“ – Roman einer Bergischen Familie, Heider-Verlag, 14,90 Euro.

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