Försterdienstgehöft BroichenEin letzter Blick aus dem Fenster

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Bergisch Gladbach – „Hier war das Büro meines Vaters, hier stand der Schreibtisch, da der Ofen.“ Waltraud Besgen-Senkbeil misst den Raum mit ihren Schritten aus, durch die verschraubten Fensterläden fällt Tageslicht in den nun leeren Raum: „Hier kamen die Leute rein, wenn sie Lesescheine haben wollten oder auch, wenn sie vor Weihnachten einen Baum kauften“, erinnert sich die ehemalige Lehrerin. Hier im Försterdienstgehöft Broichen, am Rande des Königsforstes, hat sie ihre Kindheit und Jugend verbracht. „Unbeschwerte Jahre“, wie sie sich erinnert. Jetzt geht sie mit ihrem Bruder Wolfgang Besgen und dem Team des LVR-Freilichtmuseums Lindlar noch ein letztes Mal durch das Holzhaus aus den 30er-Jahren, bevor dieses auseinandergebaut und dann in Lindlar auf dem Museumsgelände wieder aufgebaut wird. „Das Försterdienstgehöft dürfte zu den letzten heute noch erhaltenen Beispielen einer von der nationalsozialistischen Blut-und-Boden-Ideologie geprägten Bauweise zählen“, sagt Museumsleiter Michael Kamp. Der von den Nationalsozialisten forcierte Rückgriff auf traditionelle Baumaterialien und -formen soll auch im Museum thematisiert und zudem eine Ausstellung zur Geschichte der Waldnutzung im Bergischen Land im Gebäude eingerichtet werden.

Vom Besuch mit den ehemaligen Bewohnern versprechen sich Kamp und sein Team wertvolle Erkenntnisse über die Geschichte des Hauses. Und davon können die Geschwister Besgen eine Menge erzählen. Gemeinsam steigen sie die Holztreppe hinauf: „Hier waren das Eltern-, da die Kinderschlafzimmer“, sagt Waltraud Besgen-Senkbeil, während ihr Bruder im Bad verschwindet – einem der wenigen Räume, die seit damals modernisiert wurden, und auch das ist lange her. Wolfgang Besgen geht zum Fenster, öffnet es und hebt draußen eine Dachpfanne hoch. Ein Hohlraum wird sichtbar. „Hier haben wir die Jagdwaffen unseres Vaters versteckt, als 1945 die Alliierten kamen“, erinnert sich Besgen. „Auf Druck meiner Mutter haben wir sie dann aber später doch noch abgegeben – und als mein Vater aus der Kriegsgefangenschaft zurückkam, hat er nur geseufzt: »Ach, die schönen Waffen«.“

„Hier auf der Seite sind noch komplett die alten Pfannen drauf, drüben jüngere“, hat Burkhard Zinn festgestellt, der für den Umzug des Gebäudes, seine Translozierung ins Museum zuständig ist. Die Geschwister Besgen haben auch eine Erklärung für die unterschiedlichen Dachziegel: Als im Krieg ein im nahen Königsforst stehender Munitionszug nach einem Angriff explodierte, wurden große Teile des Dachs durch die Detonation abgedeckt. Weil in den Kriegswirren kein Dachdecker zu bekommen war, reparierte der damals gerade 14 Jahre Wolfgang Besgen das Dach notdürftig mit Dachziegeln, die noch in der Scheune lagerten. Der Rest des Dachs wurde erst später erneuert.

„Gucken Sie mal hier“, ruft Michael Kamp und leuchtet auf dem Dachboden mit einer Taschenlampe in eine Ecke: Keine Frage – ein handschriftliche Notiz. Die kennen selbst die ehemaligen Bewohner nicht. „31.8.1934 Maler B. Schneider“, entziffert Zinn, Kamp zückt die Kamera. „Jeder Quellenfund zählt, das ist wie bei den Kriminalisten“, sagt Kamp.

Museumspädagogin Kirsten Osthoff schreibt derweil die Erinnerungen von Waltraud Besgen-Senkbeil zum angrenzenden Kuh-, Pferde- Schweine- und Hühnerstall samt Scheune und Wagendurchfahrt auf. Die Museumsmitarbeiterin stammt selbst aus einer Försterfamilie und war durch Zufall auf das Försterdienstgehöft aufmerksam geworden, das eigentlich abgerissen werden sollte. Dass es in letzter Minute gerettet wurde und nun noch mal seine ganze Geschichte in einem Museum zeigen darf, freut die ehemaligen Bewohner. „Ich war lange nicht mehr hier, auch weil alles so heruntergekommen war. Das fiel mir einfach schwer“, bekennt Waltraud Besgen-Senkbeil. „Jetzt freue ich mich drauf, wie das Haus im Museum aussehen wird.“

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