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GeburtshilfeFehlende Ressourcen im Kreißsaal führen zu schmerzhaften Erfahrungen

Lesezeit 6 Minuten
Immer mehr Frauen werden laut und berichten von ihren schlechten Erfahrungen bei einer Geburt.

Immer mehr Frauen werden laut und berichten von ihren schlechten Erfahrungen bei einer Geburt.

Rhein-Berg – „Wo die Zeit fehlt, kommt die Menschlichkeit oft zu kurz“, sagt die Kürtener Hebamme Anne Fonfara. Und das führe in der Geburtshilfe zu Problemen – die vor allem systemisch und strukturell seien. „Dennoch ist die Menschlichkeit genau das, was in unserem Job essenziell ist“, erklärt Fonfara.

Leider würden Zeit-und Personalmangel dazu führen, dass eine Hebamme häufig bis zu fünf Geburten parallel betreue. „Da wird es schnell maschinell und die Gebärenden bekommen nicht die Aufmerksamkeit und Unterstützung, die sie in dieser Situation dringend brauchen“, schildert sie ein Problem in der Geburtshilfe. Weil sie unter diesen Bedingungen nicht mehr arbeiten wollte und ihren Job nicht mit ihrer Familie unter einen Hut bekommen habe, arbeitet sie nun seit einigen Jahren freiberuflich.

„Jetzt habe ich viel mehr Zeit, den Schwangeren alles zu erklären, sie auf mögliche Interventionen vorzubereiten und verschiedene Möglichkeiten aufzuzeigen“, erklärt Fonfara. Das sei im Klinikalltag so ausführlich oft nicht möglich.

Durch Zeitmangel werden Frauen nicht ausführlich aufgeklärt

Katharina Desery, Vorstandsmitglied von „Mother Hood e.V.“, sagt, dass es durch diese Lücken immer wieder zu Situationen komme, in denen Frauen zu Eingriffen gedrängt würden, die nicht abgesprochen gewesen seien und von denen sie nicht genau wüssten, was dabei geschehe. „Oft fallen Sätze, wie: »Wenn wir jetzt keinen Kaiserschnitt machen, stirbt ihr Baby«. Da sagt natürlich niemand nein“, erzählt sie.

Es gebe Situationen, in denen der Kaiserschnitt die letzte Option sei. Häufig sei es aber so, dass es zu lange dauern würde, um auf die natürliche Geburt zu warten. „Dann ist der Kaiserschnitt der schnellere Weg, auch wenn er medizinisch nicht notwendig ist“, erklärt sie.

Die Kürtenerin Nadine Schwarz hat bei der Geburt ihrer Tochter solche schlechten Erfahrungen gemacht. Noch heute wird sie emotional, wenn sie davon erzählt. Die Geburt ist fast ein Jahr her. „Und es gibt noch weitaus schlimmere Fälle“, betont sie, weil sie sich nicht als Opfer in den Vordergrund stellen will. „Mir ist es wichtig, dass über das Thema gesprochen wird. Je mehr Frauen sich beschweren, desto mehr kann sich ändern“, meint Schwarz.

Zum Kaiserschnitt erpresst

Bei der Geburt ihrer Tochter seien Komplikationen aufgetreten, die zu einem ungeplanten Kaiserschnitt führten. „Dazu wurde ich quasi erpresst“, sagt sie. Die Ärztin habe gesagt, dass ihr Mann nicht mit in den OP könne, wenn sie noch länger mit einem Kaiserschnitt warteten. Dann sei sie ganz alleine. „Also habe ich zugestimmt“, erzählt Schwarz.

Das können Betroffene tun

Häufige Probleme in der Geburtshilfe

Laut der Initiative „Gerechte Geburt“ zählen folgende Beispiele zu häufig auftretenden Problemen in der Geburtshilfe: Festschnallen der Beine, Medikamentengabe ohne Aufklärung, Kaiserschnitt oder Dammschnitt ohne medizinische Notwendigkeit und Einwilligung. Außerdem gebe es häufig „psychische Gewalt“ wie: Beschimpfungen, Diskriminierungen wegen Alter, Herkunft oder Gewicht, Drängen zu ungeplanten Eingriffen mit Sätzen, wie: „Wenn Sie jetzt nicht mitarbeiten, dann stirbt Ihr Baby!“. Personalmangel, fehlende Räumlichkeiten und fehlende Nachsorgetermine sind als strukturelle Probleme ausgewiesen. Das können Betroffene tun: Medizinische Akten aushändigen lassen, Beschwerde bei Krankenhäusern, der Krankenhausaufsicht beim Land (MAGS), den Krankenkassen und der Ärztekammer einreichen. Gespräche mit den Verantwortlichen führen oder juristische Schritte einleiten. Das gehe auch noch nach ein paar Jahren, betont Katharina Desery von „Mother Hood e. V.

Zum Zeitpunkt dieses Gesprächs sei der Eingriff medizinisch noch nicht notwendig gewesen. Ihr sei im Gegenteil drei Stunden lang versichert worden, dass alles in Ordnung sei, obwohl bei ihr ein Geburtsstillstand vorlag. Nach der OP habe ihr niemand Bescheid gegeben, was mit ihrem Kind war. „Ich dachte vier Stunden, meine Tochter sei vielleicht tot“, sagt die junge Mutter und wirkt noch immer mitgenommen von der Situation.

Leider hätten Nachgespräche, die sie mit den Verantwortlichen geführt habe, nichts gebracht. „Das Schlimmste ist, dass es sie nicht interessiert hat. Mir hätte es gereicht, wenn sie sich aufrichtig entschuldigt hätten“, erzählt sie.

Sie wisse aber, dass die Mitarbeitenden nicht alleine für die Fehler verantwortlich seien: „Das sind keine bösen Menschen. Das ist unser verdammtes System“, benennt sie das Problem mit Wut in der Stimme.

Probleme in der Geburtshilfe: Tabu bricht weg

Das Tabu des Themas weiche langsam auf, sagt Desery. Es habe sich ein neues Forschungsfeld entwickelt. „Studien ergaben, dass nur knapp die Hälfte der Geburten in Deutschland zufriedenstellend verlaufen“, erklärt sie. Grund sei die schlechte Aufstellung des Gesundheitssystems.

Auf Geburtsstationen herrsche Personalmangel, es werde wenig Geld in die Geburtshilfe gesteckt und natürliche Geburten rechneten sich nicht. Um eine Verbesserung in der Geburtshilfe zu bewirken, brauche es klare Maßnahmen: „Wir brauchen mehr Personal und die Eins-zu-eins-Betreuung. Es macht einen erheblichen Unterschied, ob man eine Geburt betreut, oder fünf“, meint Fonfara. Sie ist überzeugt: „Mit kürzeren Arbeitszeiten könnte man wieder in die Kliniken locken.“

Trotz zahlreicher Probleme sind sich alle einig: Es gebe viele Teams, die ihre Arbeit sehr gut machten und tolle Geburten durchführten.

Intensive Geburts-Betreuung in Bergisch Gladbach

Von Alina Bremer Bergisch Gladbach. „Das Team hat irgendwann Federn gelassen“, sagt Luisa Tomadini von den Bensberger Hebammen. Die Geburtshelferinnen am Vinzenz-Pallotti-Hospital in Bensberg arbeiten seit 2020 freiberuflich mit einem Dienst-Beleg-System in der Geburtsklinik. Zeit- und Personalmangel hätten dafür gesorgt, dass die Arbeit sehr stressig werden konnte.

Also habe sich das Team entschlossen, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. Dabei haben sich die Beteiligten an einem Modell aus Süddeutschland orientiert. Jetzt hätten die Hebammen andere Möglichkeiten, Schwangere zu begleiten, als im normalen Klinikalltag. Sie könnten anders mit den Krankenkassen abrechnen und hätten einen besseren Personalschlüssel mit mehr Spielraum, sagt Tomadini. Das Team besteht aktuell aus 17 Hebammen, sie können eine Eins-zu-zwei-Betreuung umsetzen und durch einen Bereitschaftsdienst flexibel auf das Arbeitsaufkommen reagieren.

Fokus auf natürliche Geburt

Jede Hebamme darf höchstens zwei Geburten betreuen, das sei sogar gesetzlich so festgelegt. „Mit diesem Konzept können wir unsere Inhalte bewahren“, sagt Tomadini. Dazu gehört vor allem, die Individualität sowie den natürlichen Vorgang der Geburt und die Selbstbestimmtheit der Frau anzuerkennen und zu schützen. Auch wenn das Konzept auf eine persönliche und zeitintensive Betreuung ausgelegt sei, könne es auch Schwangere geben, die bei ihnen unzufrieden seien, betont sie.

Auch sei die geplante S3-Leitlinie in der Geburtshilfe ein guter Schritt in die richtige Richtung. Diese sehe eine Eins-zu-eins-Betreuung sowie mehr Absprachen und Erklärungen vor, sagt Tomadini.

EVK setzt auf Teamarbeit

Das Evangelische Krankenhaus (EVK) Bergisch Gladbach setzt auf flache Hierarchien und Teamwork. Alle zusammen würden für die Gebärenden und Familien arbeiten, erzählt Kreißsaalleiterin Annette Karkossa. „Bei uns packen im Kreißsaal alle mit an. Von der Hebamme bis zum Chefarzt“, sagt sie. Außerdem habe die Geburtsstation den großen Vorteil, dass sie personell sehr gut aufgestellt sei: „Wir sind tagsüber immer zu zweit im Kreißsaal“, erzählt sie. Für Fälle, in denen eine Hebamme doch alleine sei, gebe es eine Rufbereitschaft, die einspringen könne, wenn sich die nächste Geburt ankündige, führt sie weiter aus.

So könne in 99 Prozent der Fälle eine Eins-zu-zwei-Betreuung sichergestellt werden. Dadurch könne ausführlich aufgeklärt und für jeden Eingriff ein Einverständnis eingeholt werden. „Der Umgang mit den Schwangeren ist uns sehr wichtig. Wir kommunizieren auf Augenhöhe und wollen keine Angst einjagen“, erklärt sie. Das EVK stehe sehr hinter der Geburtshilfe, was das Arbeitsklima sehr angenehm mache.

„Ich glaube, das spricht sich auch rum“, meint sie und wirkt stolz auf ihr Team.  

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