Im Mordprozess rund um einen „Cold Case“ von 2003 berichten ehemalige Ermittler von widersprüchlichen Aussagen des Angeklagten.
„Cold Case“Ehemaliger Ermittler wirft Kürtener Manipulation bei 22 Jahre alten Mordfall vor

Die Ermittler, die damals an dem Fall arbeiteten, traten im aktuellen Gerichtsprozess als Zeugen auf. (Symbolbild)
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Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Ein altes Sprichwort, das vor allem im Kriminalfällen immer wieder seine dauerhafte Gültigkeit beweist. So auch im Mordfall Tino W. – bezogen auf den Angeklagten aus Kürten im Prozess vor dem Paderborner Schwurgericht.
Zu den Mord-Vorwürfen schweigt der 57-jährige Familienvater aus Kürten. Am zweiten Tag dieses Prozesses sind es die früheren Ermittler als Zeugen, die akribisch befragt werden. Einer der Polizisten, die mittlerweile alle im Ruhestand sind, wird an einer Stelle einen bemerkenswerten Satz über den Mann auf der Anklagebank sagen: Aus seiner heutigen Sicht habe der frühere Nachbar des Getöteten damals „sich relativ geschickt als Zeuge inszeniert“ und damit einen Freund von Tino W. in Verdacht gebracht, der Täter zu sein.
Das Opfer wurde erdrosselt in seiner Wohnung gefunden
Die Ereignisse am 12. November 2003, also vor 22 Jahren, haben die Polizei als „Cold Case“ fast genau so lange beschäftigt. Tino W., 29 Jahre alt, war an jenem Tag tot in seiner Wohnung in Bad Driburg (Kreis Höxter) aufgefunden worden, nachdem sein Arbeitgeber und Freunde ihn vermisst hatten. W. war erdrosselt worden, seine Leiche lag im abgeschlossenen Badezimmer, die Hände mit einem Stück Kabel gefesselt.
Als mutmaßlicher Täter gilt heute der Kürtener – damals ein Nachbar von W., der zwar von der Polizei als Zeuge vernommen wurde, aber erst jetzt mithilfe neuer DNA-Auswertungsmethoden dringend tatverdächtig ist.
Lange Zeit verdächtigte die Polizei den Ex-Lebenspartner
Warum er dies damals nicht war, versucht das Schwurgericht zu hinterfragen, denn der Fall Tino W. führte lange in den Registern der Ermittler eine Existenz ohne neue Perspektive, nachdem ein Freund von W., der die Polizei erst in die Wohnung geholt hatte, wo dann die Leiche entdeckt wurde, als Beschuldigter ausschied. Über die Rolle dieses mittlerweile verstorbenen Ex-Lebenspartners des homosexuellen Tino W. will die Kammer später im Prozess erneut ehemalige Angehörige der Mordkommission „Morgenstern“ befragen, „weil das Verfahren so wahnsinnig komplex ist“, wie Vorsitzender Richter Eric Schülke erklärt.
Zunächst sind die Beamten als Zeugen geladen, um das damalige Verhalten des jetzt Angeklagten näher zu beleuchten. Der hatte gegenüber verschiedenen Polizeibeamten zu verschiedenen Zeitpunkten in Vernehmungen durchaus widersprüchliche Angaben gemacht, teils recht auffällige.
Er war der einzige, der von einem Kurzurlaub gesprochen hat, der nie stattgefunden hat.
So habe er sich gegenüber dem ersten Polizisten, der versuchte, den mutmaßlichen Vermisstenfall aufzuklären, vor Ort gar nicht mit seinem echten Namen, sondern dem seiner Lebensgefährtin vorgestellt – und zudem behauptet, er habe Tino W. mit einem Köfferchen zu seinem Auto gehen und wegfahren sehen, weil dieser in einen Kurzurlaub gestartet sei.
Dem nächsten Polizisten, so berichtet jener, habe der jetzt 57-Jährige nach der Entdeckung der Leiche gesagt, er habe dies alles gar nicht gesehen und der Kollege müsse sich etwas falsch notiert haben. „Er war der einzige, der von einem Kurzurlaub gesprochen hat, der nie stattgefunden hat“, sagt der frühere Höxteraner Kriminalbeamter. Stattdessen habe der Nachbar berichtet, dass der Ex-Freund von Tino W. an dem Tag, an dem abends die Leiche gefunden wurde, mehrmals bei ihm geklingelt und W.s plötzliches und unerklärbares Verschwinden thematisiert habe. Eine Geschichte, sagt ein früherer Angehöriger der Mordkommission, die ihm „im Nachhinein als bewusste Manipulation in eine bestimmte Richtung“ erscheine.
Der Kürtener soll bei der Abgabe einer Speichelprobe nervös gewesen sein
Ein anderer Polizist erinnert sich, dass der Nachbar seinerzeit bei der Abgabe einer Speichelprobe auffallend nervös gewirkt habe – und sich erst entspannt habe, als man ihm mitteilte, ein Ergebnis werde erst nach einer gewissen Zeit vorliegen.
Die Staatsanwaltschaft glaubt, der Kürtener habe aus Schwulenfeindlichkeit gehandelt, und um sein Opfer zu berauben. Der Prozess ist noch bis Januar terminiert.

