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Expertin aus Rhein-Berg im Interview„Bei Binge-Eating wird Essen häufig als Trostmittel eingesetzt“

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Portraitbild von Katja Gissel

Katja Gissel, Traumafachberaterin und Sozialpädagogin beim Rheinisch-Bergischen Kreis.

Katja Gissel, Traumafachberaterin in der Allgemeinen Frauenberatungsstelle des Rheinisch-Bergischen Kreises, spricht über die Essstörung.

Das Krankheitsbild Binge Eating ist sehr viel weniger bekannt als Magersucht oder Bulimie.   Was ist über die Ursachen der unkontrollierbaren Essanfälle bekannt?

Katja Gissel: Häufig wurde bei betroffenen Menschen Essen schon früh in der Kindheit als „Trostmittel“ eingesetzt, um mit belastenden Gefühlen umgehen zu können beziehungsweise diese zu unterdrücken. Somit wird das Zuvielessen als betäubend bezogen auf die Gefühlswelt sowie als Beruhigung und Belohnung verstanden. Letztlich es als „Lösungsstrategie“ genutzt, um mit den inneren Spannungen, einem Gefühl der Leere oder Unzulänglichkeit umzugehen. Ein niedriger Selbstwert sowie ein negatives Körperbild kommen meist bei diesem Krankheitsbild dazu. Es gibt Untersuchungen, die aufzeigen, dass Essanfälle zu 40 bis 60 Prozent auch mit erblich bedingt sein können.

Wie häufig müssen Essattacken vorkommen, dass man von einem Problem ausgehen kann?

Offiziell spricht man von einer Essstörung dann, wenn mindestens ein bis drei Mal in der Woche über mehr als drei Monate die Essanfälle stattfinden. Ich kann aus meinen Beratungen mit Betroffenen sagen, dass immer dann, wenn das Essverhalten für die Betroffenen selbst als belastend erlebt wird, Unterstützung Sinn macht. Manche schaffen es wochenlang, normale Mengen zu sich zu nehmen, um dann jeden Tag mehrmals große Mengen Essen zu verschlingen.

Leiden alle Betroffenen von Binge Eating unter Depressionen?

Aus meiner Erfahrung heraus kann ich sagen, dass Depressionen oder Ängste sehr häufig Begleiterscheinungen sind. Scham über das Übergewicht, den Kontrollverlust und vielleicht auch abfällige Blicke von anderen gepaart mit Problemen aus der eigenen Biographie können Depressionen verstärken.

Gibt es außer dem Übergewicht noch andere körperliche Begleiterkrankungen?

Herz-, Kreislauferkrankungen, Diabetes, Gelenkprobleme, alles Erkrankungen, die man aus der Forschung zum Thema Übergewicht kennt.

Wie kann eine Selbsthilfegruppe Menschen mit Essstörungen helfen?

Das, was Frauen aus diesen Selbsthilfegruppen berichten: der Austausch mit anderen, die das Thema, die Problematik am „eigenen Leibe“ kennen. Hier kann es entlastend wirken, sich nicht alleine zu fühlen und auf sehr viel Verständnis zu treffen. Da besonders Scham bei Binge Eating eine große Rolle spielt, wird es als sehr hilfreich erlebt, ganz frei darüber sprechen zu können, da es alle betrifft.

Aber eine Selbsthilfegruppe kann keine Therapie ersetzen?

Eine Selbsthilfegruppe besteht aus Betroffenen, die selbst Unterstützung benötigen. Eine Gruppe ersetzt keine psychotherapeutische oder ärztliche Hilfe. Dafür wäre die Verantwortung der Gruppe ohne professionelle Hilfe zu groß. Betroffene berichten aber von der sehr großen Unterstützung aus dem Zusammenspiel beider ergänzenden Hilfeformen.

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