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Seltene ErkrankungenSimon Mödder aus Bedburg hat Leidensweg in einem Buch beschrieben

5 min
Zu sehen ist Simon Mödder.

Simon Mödder hat ein Buch über seine Erfahrungen mit einer seltenen Erkrankung geschrieben.

Dreieinhalb Jahre dauerte es, bis der Bedburger eine Diagnose für seine Leiden erhielt, ein Einzelfall ist das laut dem Autoren nicht.

Simon Mödder (33) hat ein Buch über seine Erfahrungen mit einer seltenen Erkrankung geschrieben. Der Bedburger berichtet im Gespräch mit Michael Henke von seiner Odyssee durch Haus- und Facharztpraxen.

Herr Mödder, welche seltene Erkrankung haben Sie?

Simon Mödder: Ich habe zwei Mastzellerkrankungen: MMAS und MCAS. Die erste ist eine seltene Erkrankung, die zweite kommt häufiger vor, ist aber kaum bekannt. Mastzellen gehören zur Gruppe der weißen Blutkörperchen und spielen eine wichtige Rolle im Immunsystem. Bei meinen Erkrankungen gibt es im Körper zu viele Mastzellen. Sie reagieren über und werden aktiv, wenn sie das gar nicht sollen.

Welche Symptome haben Sie zum Arzt gehen lassen?

2016 konnte ich plötzlich nur noch verschwommen sehen. Mein Hausarzt hat mich zu diversen Augenärzten überwiesen, die alle keine Ursache finden konnten. Deshalb wurde ich zu verschiedenen Neurologen geschickt. Einer hat festgestellt, dass ich nicht verschwommen, sondern alles doppelt sehe. Aber eine Ursache hat letztlich kein Neurologe gefunden, so dass ich zum Augenarzt zurückverwiesen wurde. Von dort ging es in eine Uni- und eine Spezialklinik, wo das seltene Duane-Syndrom, eine angeborene Augenmuskellähmung, diagnostiziert wurde. Das erklärte aber nicht meine Symptome.

Wie lange hat es bis dahin gedauert?

Circa ein Jahr. Dann kamen weitere Symptome hinzu: extremer Durchfall, Magenkrämpfe, Bauchschmerzen, Glieder- und Kopfschmerzen sowie heftiges Hautjucken. Ich bin damit erneut zum Hausarzt und weiter zum Gastroenterologen. Dieser stellte Lebensmittelunverträglichkeiten fest. Eine Magen- und Darmspiegelung war dagegen ohne Befund. Vermutet wurde trotzdem eine Entzündung, die man medikamentös zu bekämpfen versuchte. Außerdem sollte ich auf Lebensmittel verzichten, gegen die eine Intoleranz festgestellt wurde. Beides hat nicht geholfen. Als ich deshalb erneut beim Gastroenterologen vorstellig wurde, wurde mir beschieden, man könne nichts machen.

Psychisch am Tiefpunkt und vom Durchfall geschwächt

War das nicht deprimierend?

Ich war psychisch an einem Tiefpunkt und körperlich durch den ständigen Durchfall erschöpft. Ich habe mich dennoch zu einem neuen Hausarzt aufgerafft. Er war von Alternativmedizin überzeugt und verordnete mir eine pflanzliche Kur, die nichts Positives bewirkt hat. Stattdessen hat sie meine Nesselsucht verstärkt. Bei einem weiteren Gastroenterologen habe ich von Anfang an ein detektivisches Interesse gespürt. Er hat eine weitere Magenspiegelung vorgenommen und untersucht, ob ich zu viele Mastzellen habe. Denn dieser relativ junge Arzt hatte zuvor schon mit Mastzellerkrankungen zu tun gehabt. Er hat bei mir etwa doppelt so viele Mastzellen gefunden, wie normal ist.

Wie viel Zeit ist bis dahin vergangen?

Drei Jahre. Und dann hat es noch einmal ein halbes Jahr gedauert, bis die Krankheiten in einer Spezialklinik mit Mastzellsprechstunde diagnostiziert worden sind. Dabei hatte ich noch Glück. Durchschnittlich dauert es fünf Jahre, bis eine seltene Erkrankung diagnostiziert wird.

Gibt es für Ihre Erkrankungen Therapien?

Für etwa 80 bis 90 Prozent der seltenen Erkrankungen gibt es keine Therapien. Sie sind so selten, dass zu ihnen wenig geforscht wird, und für pharmazeutische Unternehmen ist es wegen der geringen Zahl Betroffener uninteressant, hierfür Medikamente zu entwickeln. Selbst, wenn es Medikamente gibt, sind nicht alle diese Erkrankungen nach dem ICD-10-GM Diagnoseschlüssel anerkannt, was bedeutet, dass die Krankenkassen die Kosten nicht übernehmen. Für meine Erkrankungen gibt es Medikamente, um die Symptome zu bekämpfen und das Fortschreiten der Erkrankungen zu stoppen. Heilbar sind MMAS und MCAS nicht.

Wie sind Sie in der ganzen Zeit mit der Situation umgegangen?

Anfangs erwartet man, dass einem der Arzt helfen kann und alles wieder so wie vorher wird. Wenn man aber immer mehr Ärzte konsultiert, die nichts finden, beginnt man daran zu zweifeln. Ich wollte jedoch unbedingt eine Diagnose finden, und es ist mir gelungen, auf dieses Ziel fokussiert zu bleiben, obwohl es mir körperlich sehr schlecht ging. Als die Ursache gefunden wurde, war ich glücklich, auch wenn ich nicht geheilt werden kann. Seitdem habe ich gelernt, meine Krankheit zu akzeptieren.

Welche Probleme im Arzt-Patienten-Verhältnis sehen Sie?

Viele Hausärzte können es bei seltenen Erkrankungen fachlich nicht leisten, einen zu den richtigen Fachärzten und Spezialkliniken weiterzuleiten. Denn es kommen jährlich 250 neue seltene Erkrankungen hinzu. Gut wäre, wenn die Ärzte für seltene Erkrankungen schon in der Ausbildung sensibilisiert würden. Ich habe auch bei manchen Ärzten erlebt, dass sie nicht auf Augenhöhe mit ihren Patienten kommunizieren. Ich fühlte mich bei ihnen teils in eine Simulantenecke geschoben, weil sie nichts finden konnten. Ein weiteres Problem ist, dass die Vernetzung der Ärzte untereinander nicht gut funktioniert und die Hausärzte als Schnittstelle von den Fachärzten ein Stück weit allein gelassen werden.

Patienten sollten keine Anti-Haltung gegenüber Ärzten einnehmen, sondern diese als Teil der Lösung begreifen
Simon Mödder, Autor

Wieso haben Sie ein Buch über Ihre Erfahrungen geschrieben?

Ich hatte das Bedürfnis, meine Krankheitsgeschichte aufzuarbeiten. Außerdem wollte ich über seltene Erkrankungen aufklären. Ein Anstoß hierzu war die Kampagne „Seltene Erkrankungen Bayern“ unter der Schirmherrschaft der „Eva Luise und Horst Köhler Stiftung“ und Beteiligung von mehr als 50 Selbsthilfeorganisationen. Sie hat das Ziel, die seltenen Erkrankungen zu bündeln, damit sich die vier Millionen Betroffenen als Teil einer größeren Gemeinschaft begreifen können und man auch politisch anders agieren kann.

Welche Hinweise können Sie Betroffenen geben? Und was muss sich im Gesundheitssystem ändern?

Patienten sollten keine Anti-Haltung gegenüber Ärzten einnehmen, sondern diese als Teil der Lösung begreifen und mit ihnen ein Miteinander auf Augenhöhe anstreben. Man sollte nicht zu Pseudomedizinern wechseln. Damit verliert man nur Zeit. Ich kann außerdem das Führen eines Symptomzettels empfehlen, um dem Arzt einen Gesamtüberblick über alle Symptome zu geben. Und man sollte sich nicht entmutigen lassen. Wenn der Verdacht einer seltenen Erkrankung im Raum steht, kann man sich auch an eines der 36 NAMSE-Hilfszentren wenden, ein Koordinierungs- und Kommunikationsgremium, das eine bessere Patientenversorgung für Menschen mit seltenen Erkrankungen aufbaut. Darüber hinaus ist es wichtig, die Forschung zu seltenen Erkrankungen, ihren Therapien und die Früherkennung verstärkt zu fördern. Auch müssen bessere Versorgungsstrukturen aufgebaut werden. Hier ist die Politik gefordert, mehr finanzielle Mittel bereitzustellen.


Das Buch gibt es als E-Book

Das Buch „Der Diagnose auf der Spur? – Erfahrungsbericht einer Ärzte-Odyssee bei unbekannter oder seltener Erkrankung“ ist über Amazon als E-Book oder Print on demand zu beziehen.