Ein Kollege belastete am zweiten Verhandlungstag seinen Vorgesetzten. Sein Chef soll am Morgen vor dem Unglück im Auto geschlafen haben.
Bahnarbeiter gestorbenWar der Angeklagte des Zugunglücks in Hürth wegen Doppelschicht übermüdet?

Der Angeklagte blickte während der Vernehmung eines Zeugen meist nur mit gesenktem Kopf auf die Tischplatte.
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War der Angeklagte am Tag des Zugunglücks wegen einer Doppelschicht zu müde? Wurde die lebensrettende Warnsignalanlage (ATWS) aus Bequemlichkeit nicht auf dem Gleis aufgebaut? Diese Fragen standen am Dienstag (15. Juli) im Amtsgericht Brühl im Mittelpunkt des zweiten Tag des Prozesses statt, in dem das Zugunglück in Hürth vom Mai 2023 juristisch aufgearbeitet worden soll. Ein Intercity 2005 Emden–Koblenz war in eine Gruppe Gleisarbeiter gefahren, zwei Männer starben.
Angeklagt ist der 54-jährige Emir Z. (Name geändert) wegen fahrlässiger Tötung von zwei Menschen. Er soll, so die Staatsanwaltschaft, am 4. Mai 2023 morgens für die Bahnstrecke in Höhe Hürth-Fischenisch entgegen dem Sicherungsplan eine Sperrung des Gleisabschnitts mitgeteilt und die Freigabe der Arbeiten erklärt haben, obwohl die Sperrung der Gleise nicht bestätigt worden war. Der Angeklagte war für die Sicherung des Gleiskörpers an der Baustelle zuständig.
Hürth: Stopfmaschinen verursachen Lärm
Der Bautrupp ging um kurz vor 11 Uhr ins Gleis, baute zwei Stopfmaschinen auf und brachte weitere Werkzeuge auf die Gleise. Dann begannen die Arbeiten bei lauten Motorengeräuschen der Stopfmaschinen. Die ATWS-Anlage war an diesem Tag nicht aufgebaut worden. ATWS steht für Automatic Track Warning Systems und ist ein spezielles Sicherungssystem, das bei Bauarbeiten an Gleisen eingesetzt wird. Kommt ein Zug, ertönen rechtzeitig Warnsignale. Der Angeklagte hatte am ersten Verhandlungstag behauptet, es sei defekt gewesen.

Im Mai 2023 erfasste der Intercity 2005 Emden/Koblenz bei Hürth eine Gruppe von Bauarbeitern.
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Am Dienstag wurden mehrere Zeugen gehört, die zu den Geschehnissen am Tattag befragt wurden. So auch ein Kollege (29), der als Sicherungsposten arbeitet und den Angeklagten vor 7 Uhr zu Hause abholt hatte. Dort habe der Angeklagte darum gebeten, nicht selbst fahren zu müssen, weil er wegen einer Doppelschicht erst nachts um 4 Uhr zu Hause gewesen sei. Der Zeuge berichtete weiter, dass sich Emir Z. nach hinten in den Wagen gelegt und während der Fahrt geschlafen habe.
Zum Zeitpunkt des Unfalls um kurz nach 11 Uhr habe er, der Zeuge, im Wagen gesessen und seine Pause gemacht, als er das Unglück mit ansehen musste. „Ich habe zuerst ein Hupen gehört und noch ein Hupen, dann kam der Zug. Das war ein Schock“, berichtete er.
Emir Z. sei anschließend zum Wagen gekommen, habe das Pausenbuch des 29-Jährigen haben wollen und die ATWS-Warnanlage aus dem Kofferraum geholt. „Er hat mir gesagt, was sich sagen soll, wo ich als Sicherungsposten auf dem Gleis angeblich gestanden habe“, so der 29-Jährige weiter. „Hey, was machst du, hier sind gerade Leute gestorben“, habe er geantwortet. Während der Zeuge gestern dem Schöffengericht die Situation schilderte, blickte der Angeklagte meist mit gesenktem Kopf auf die Tischplatte. Ab und zu schüttelte er leicht den Kopf.

Die Familien der Opfer verfolgten an beiden Prozesstagen die Verhandlungen am Amtsgericht Brühl.
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Ebenfalls als Zeuge wurde der Fahrdienstleiter, ein 61-jähriger Kerpener, befragt, der am Unglückstag in Kalscheuren im Stellwerk saß. Er schilderte von einem Telefonat, in dem zunächst die Streckensperrung beantragt worden war und wie um 11.03 Uhr der Notruf nach dem Unfall einging. „Beantragt wurde eine Sperrung von 20 Minuten, was tagsüber so gut wie nicht machbar ist“, so der Fahrdienstleiter. Er habe das noch abklären wollen. So lange dürften die Gleise nicht von den Arbeitern betreten werden. Nach dem Unfall sei dann die Strecke komplett gesperrt worden.
Es war totenstill, dann habe ich nur noch die Warnwesten im Gleis gesehen
Auch der Lokführer, der am Dienstag als Zeuge aussagte, schilderte eindringlich, dass er keine Möglichkeit hatte, den Unfall zu verhindern: „Die Arbeiter haben alle mit dem Rücken zu mir gestanden, als ich mit Tempo 160 auf sie zufuhr.“
Er habe eine Vollbremsung gemacht, Warnsignale gegeben. „Dann habe ich weggeguckt, es gab einen riesigen Knall. Als der Zug stand, war es totenstill. Ich habe nur noch zwei Warnwesten im Gleisbett gesehen. Ich verstehe bis heute nicht, warum die das Warnsignal nicht gehört haben. Das ist doch so laut.“
Der Prozess wird fortgesetzt.