Prozessauftakt in KölnGiftopfer aus Hürth starben einen qualvollen Tod

Thallium wurde früher als Rattengift verwendet.
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Köln/Hürth – Es ist ein Fall, der fassungslos macht: Ein Krankenpfleger aus Hürth soll drei Frauen mit dem Schwermetall Thallium vergiftet haben. 2020 und 2021 soll das geschehen sein. Während seine damalige Ehefrau (35) und die Großmutter (92) seiner späteren, neuen Lebensgefährtin durch das Gift starben, überlebte die schwangere Freundin. Im Juli brachte sie das Kind in der Düsseldorfer Uni-Klinik gar zur Welt, doch das Neugeborene verstarb kurz nach der Geburt.
Am Montag beginnt nun der Prozess gegen den zur Tatzeit 41-Jährigen vor einer Schwurgerichtskammer des Kölner Landgerichts. Die Anklage lautet auf zweifachen Mord sowie Mordversuch und versuchten Schwangerschaftsabbruch. Die Staatsanwaltschaft will neben einer Verurteilung auch eine Sicherungsverwahrung gegen den Mann erwirken. Als Mordmerkmale werden „Heimtücke“ und „Grausamkeit“ genannt. Heimtücke, weil Opfer gemeinhin nicht mit einer Vergiftung rechnen müssen, somit als arg- und wehrlos gelten; grausam, weil eine Vergiftung mit Thallium „Siechtum“ bedeutet, wie ein Ermittler im Frühjahr gegenüber der Rundschau auf Anfrage bekundete.
Dramatische Folgen des Giftes
Die Folgen einer Vergiftung mit dem früher als Rattengift verwendeten, aber seit langem für diese Zwecke verbotenen Schwermetall sind schwerer Brech-Durchfall, anhaltende schwere Schmerzen, Lähmungen, psychische Störungen und ab dem 13. Tag Haarausfall. Häufig kommt es auch zu Erblindungen und /oder Hörverlust und schließlich Tod durch Multiorgan-Versagen.
Giftanschläge in Würzburg und Israel
Thallium ist ein tückisches Gift. Im Periodensystem der Elemente findet sich das Metall in der Nähe von Polonium, was erklärt, dass die Ärzte beim Mord am Ex-KGB-Geheimagenten Alexander Litwinenko im November 2006 zunächst eine Vergiftung mit Thallium vermuteten. Weil das silber-weiße Metallpulver geruch- und geschmacklos ist, lässt es sich unbemerkt in Nahrung mischen. Ein Gramm Thallium genügt, um einen Erwachsenen zu töten.
Anfang 1983 waren an der Universität Würzburg zwölf Studenten mit Thallium vergiftet worden. Sie hatten Bier und Saft aus Flaschen getrunken, die Unbekannte mit dem Gift versetzt hatten. Ein 24-Jähriger starb, ein 21-Jähriger wurde zum Invaliden. Der oder die Täter wurden nie gefasst.
1981 verübte ein Stasi-Mitarbeiter in Israel ein Attentat auf den DDR-Flüchtling Wolfgang Welsch, indem er Frikadellen mit dem Gift präparierte. Welsch, dessen Buch „Ich war Staatsfeind Nr.1“ unter dem Titel „Der Stich des Skorpion“ verfilmt wurde, überlebte knapp, litt mehre Monate unter großen Schmerzen.
Eine Thallium-Vergiftung ist tückisch, weil Symptome erst nach 13 Tagen auftauchen: Die Haare fallen aus, Nieren und Leber versagen. (kmü)
Ob auch das Neugeborene im Juli an den Folgen der Thallium-Vergiftung seiner Mutter starb, ist bislang unklar. Laut Gerichtssprecher Prof. Jan F. Orth liegt das chemisch-toxikologische Gutachten der Rechtsmedizin noch nicht vor. Der Leichnam des Neugeborenen war nach dem Tod obduziert worden.
Motiv für die Taten ist bislang nicht geklärt
Könnte dem Angeklagten womöglich noch eine dritte Mordanklage drohen? Orth verneint. Egal wie das Ergebnis der Untersuchung ausfalle, an der rechtlichen Bewertung des Falles würde sich nichts ändern. „Zum Zeitpunkt der Vergiftung war das Kind noch ein Fötus und somit im rechtlichen Sinne kein Mensch“, erklärt Orth im Gespräch mit dieser Zeitung. Es bleibe somit beim Anklagevorwurf des versuchten Schwangerschaftsabbruchs. Als Versuch gilt die Tat, „weil die Frau das Kind lebend zur Welt gebracht hat. Verstorben ist es erst nach der Geburt“, so Orth weiter.
Gift soll auch in Kleidung des Mannes entdeckt worden sein
Die Suche nach einem Motiv konnte von den Mordermittlern bisher nicht abschließend geklärt werden. Spekulationen reichen vom Streit um ein Haus bis hin zu Erbauseinandersetzungen. Sicher gilt indes, dass der Angeklagte Thallium besessen habe. Bei einer Hausdurchsuchung stellten Beamte eine Spritze und die Substanz sicher, von der bereits ein Gramm tödlich für einen Menschen sein kann. Bestellt haben soll sich der Krankenpfleger und Hygieniker das Gift bei einer Firma für Forschungsmaterialien und ließ sich das Thallium an die Adresse seines Arbeitgebers schicken. Das Gift sollen Polizisten beispielsweise auch in der Kleidung des Verdächtigen gefunden haben.
Auch das Vorleben des Angeklagten durchforsteten die Ermittler der Mordkommission intensiv. Dabei kam zu Tage, dass sich der Mann mehrfach bei Datingportalen als Samenspender angedient haben soll. Die Beamten fanden auf den sichergestellten Dateien mehr als 30 Namen von Frauen, die sich ein Kind wünschten. Ob es tatsächlich zu einer Samenspende kam und inwieweit sich der Angeklagte mit den Frauen getroffen hat, wird vermutlich im Laufe der Gerichtsverhandlung ein Thema sein.
22 Verhandlungstage bis Ende Januar terminiert
Hilfreich bei solchen komplexen Ermittlungen sind häufig Recherchen auf sichergestellten Festplatten und Computern. Nach Bekanntwerden der schweren Vergiftungsfälle bei Frauen im privaten Umfeld des 41-Jährigen werten die Beamten nun sichergestellte Datenträger aus. Es handle sich um eine „Vielzahl“ elektronischer Speichermedien, die bei dem Beschuldigten gefunden worden seien und gesichtet werden müssten, erklärte damals Ulrich Bremer, Sprecher der Kölner Staatsanwaltschaft.
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Dabei soll herausgefunden werden, ob der Beschuldigte nach dem Gift im Internet gesucht hat, seine Wirksamkeit gegoogelt und möglicherweise bestellt hat. Die Fahnder sollen dort nach Rundschau-Informationen umfangreiche Hinweise auf die Tätigkeiten des Verdächtigen bekommen haben. Auch würden seine Finanzströme durchleuchtet und viele Zeugen vernommen. Bei den Finanzermittlungen suchen die Ermittler nach einem möglichen Motiv, denn dies ist weiter noch nicht abschließend geklärt.
Der Prozess wird vor der 20. Großen Strafkammer am Kölner Landgericht unter Vorsitz von Sibylle Grasmann geführt. Bis Ende Januar 2023 hat die Kammer zunächst 22 Verhandlungstage terminiert.