Das schwarze Kleid spiegelt nicht ihre Stimmung: Nicole Berka wirkt gelöst beim Abschiedsinterview, später hat sie noch einen feierlichen, freudigen Termin.
Neunkirchen-SeelscheidBürgermeisterin Berka: „Nach elf Jahren auf der Überholspur kühle ich nun ab“

Ausblick aus dem Bürgermeisterbüro: Nicole Berka (SPD) legt nach ihrer Abwahl erst mal eine Pause ein.
Copyright: Cordula Orphal
Den Ausblick aus ihrem Büro wird sie nicht mehr lang genießen können. Am Himmel ballen sich um den Kirchturm von Sankt Margareta dramatische Regenwolken, wie ein Sinnbild für die knappe Wahlniederlage von Nicole Berka (SPD). Nur 110 Stimmen lag ihr CDU-Kontrahent vorn. Sie trägt - ungewöhnlich - Schwarz. Kein Ausdruck ihrer Stimmung, die Bürgermeisterin hat als einen ihrer letzten Termine eine Bundesverdienstkreuzverleihung. Sie freut sich: „Das hat der Geehrte mehr als verdient.“
Vor vier Wochen haben Sie eine herbe Niederlage erlitten, die Stichwahl knapp verloren. Hat der erste Schreck nachgelassen, sind Sie wütend, traurig?
Ich war mental auf alles vorbereitet, auf die Wiederwahl und auch, dass es nicht mehr so ist. Der Wähler hat entschieden, wenn auch nicht der Bürger, wie mir viele Leute danach versicherten. Das ist zu akzeptieren. Das Amt ist ein geschenktes Vertrauen. Wer bin ich denn, dass ich das Votum infrage stelle, in einer Demokratie, die wir ja zum Glück noch haben?
Das hört sich sehr nüchtern an. Was sagt Ihr Gefühl, gibt es kein Bedauern?
Das ist nicht das Ende. Ich bin Mensch, natürlich bin ich traurig. Nach der Wahl habe ich erst mal Resturlaub genommen, auch zum Abkühlen. In dieser Interimszeit hatte es ja keinen Sinn mehr, mit Vollgas durch die Gänge zu laufen. Ich war ja elf Jahre auf der Überholspur unterwegs. Immer im Krisenmodus: die ersten Geflüchteten, Corona, weitere Geflüchtete, Inflation, Energiemangellage. Ein zweitägiger Stromausfall. Wir haben Erfolge gefeiert, gemeinsam, ich hätte natürlich gern weitergemacht. Die Zeiten sind allerdings nicht ruhiger geworden, das ganze politische Geschäft verändert sich, es wird seitens der Bürger mehr infrage gestellt, da passieren Diffamierungen, auch persönliche Beleidigungen, Herabwürdigungen. Und künftig ist eine AfD im Rat, mit sechs Sitzen.
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Was sind Ihre größten Erfolge?
Dass eine kleine Gemeinde 30 Millionen Fördergelder nach Neunkirchen-Seelscheid holt, das geht nur mit einem Team, das Lust hat, etwas zu bewegen. Die Zusammenarbeit über die kommunalen Grenzen habe ich extrem geschätzt, der Mucher Bürgermeister Norbert Büscher, zum Beispiel, war immer jemand, der für die vernünftige Sache zu haben war, über die Parteigrenzen hinweg. Er ist mehr als ein Kollege, er ist ein Freund. Es sind tolle Netzwerke entstanden.
Gab es Fehler, Dinge, die Sie hätten besser machen können?
Es gehört dazu, dass Sachen auch mal schiefgehen. Wer nach elf Jahren von allen geliebt wird, der hat nicht gearbeitet. Vieles betraf die Verwaltung intern, personelle Entscheidungen. Wir hatten eine lange Saure-Gurken-Zeit, kamen aus dem Stärkungspakt, das war eine knallharte Insolvenz. Stellen konnten nicht besetzt werden, andere Stellen sind mir weggestrichen worden von der politischen Mehrheit. Da wollte man mich treffen und hat doch das ganze Rathaus getroffen. Für unser politisches Handeln gilt, dass in Zukunft noch mehr kommuniziert werden muss, auch um dem Populismus von Rechts zu begegnen. Bürgerinnen und Bürger verstehen nicht immer, dass es Zwänge gibt.
Hatten Sie es als Bürgermeisterin schwerer als männliche Kollegen?
Am Anfang haben sich ein paar Herren schwergetan. Dann war es normal. Wichtig fand ich zu zeigen, wie wollen wir miteinander umgehen? Ich mache meine Tür auf, meine Arme sind offen, ich umarme auch die, die ich nicht so mag.
Wie schwierig war es, Beruf und Privates zu vereinbaren?
Es ist viel passiert in meiner Amtszeit, ich habe mal nebenbei geheiratet und zwei Kinder bekommen, sie sind jetzt drei Jahre und ein Jahr alt. Meine Tage mussten absolut durchorganisiert sein. Wir haben auch noch ein Haus renoviert. Und wir haben einen Verlust erlitten, meine Schwiegermutter ist gestorben, zwischen erster Wahl und Stichwahl. Das hat mir schwer zu schaffen gemacht. Für das Verarbeiten war kaum Zeit.
Wie geht es bei Ihnen beruflich weiter?
Nach wie vor bin ich ja Bundesbeamtin beim Technischen Hilfswerk im Fachbereich Bundesinnenministerium. Ich wollte nicht direkt am 1. November wieder anfangen, sondern erst mal das Bürgermeistergewand ablegen, eine Pause machen, alles sortieren. Ich glaube ein wenig ans Schicksal. Alle zehn Jahre in etwa habe ich in meinem Leben etwas anderes gemacht. Es ist wie ein Stopp an einer Kreuzung, wo ich überlege, wo ich lang will. Das braucht aber Zeit. Ich bin ja erst 45. Ich weiß, was ich kann, und was ich nicht kann.
Worauf freuen Sie sich am meisten?
Nicht mehr so fremdbestimmt zu sein. Ein normales Leben führen, mich verabreden zu können, ohne drei Monate Vorlauf. Ich war letztens mit Freunden zum Martinsgansessen, toll. Man wird mich weiterhin treffen in Neunkirchen-Seelscheid, hier lebe ich, kaufe ein, gehe zum Friseur, hier werde ich mich im Kindergarten engagieren, den meine Kinder bald besuchen.
Hat die SPD schon bei Ihnen angeklopft?
Natürlich haben sich viele nach der Wahl gemeldet. Aber ganz ehrlich, selbst wenn Lars Klingbeil jetzt anrief und fragte: Kommst du nach Berlin?, würde ich antworten: Nein, danke. Man kann nicht von einem Hexenkessel in den nächsten springen.
