TierwohlWie Landwirte im Rhein-Sieg-Kreis männliche Küken aufziehen

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Glückliche Hühner, glücklicher Landwirt: Lukas Tölkes mit Hühner- und Hahnenschar.

Rhein-Sieg-Kreis – Zu keiner Jahreszeit drängt die Frage nach Henne und Ei so in den Vordergrund wie zu Ostern. Aber was ist mit den Hähnen? Die lange praktizierte Tötung der Küken ist schon lange verboten, zuerst das Schreddern, jetzt auch die Tötung mit Gas. Doch schon vor dieser Gesetzesänderung gingen Landwirte aus der Region für das Tierwohl neue Wege.

Hühnerhaltung wie vor 50 Jahren

Auf Gut Fussberg beteiligt sich Lukas Tölkes am Projekt Regio Huhn in Zusammenarbeit mit dem Naturland-Verband, „eine Rückbesinnung auf die Zeit vor 150 Jahren“. Denn unsere Urururgroßeltern hielten Federvieh, das sowohl Eier legte als auch als Festtagsbraten mundete.

Die Züchtungen für die moderne Landwirtschaft indes brachten Spezialisten hervor: einerseits Fleischlieferanten, andererseits Eierlegerinnen. Eine Begleiterscheinung: das Kükentöten. Die Hähne sollen leben, für die Bauern aber kein Verlustgeschäft sein, das ist der Ansatz des Forschungsprojektes, an dem bundesweit 19 Betriebe teilnehmen.

360 Tiere picken und gackern

Beim Biobauern Tölkes oberhalb von Schönenberg picken und scharren, gackern und krähen nun drei sogenannte Gebrauchskreuzungen, unterteilt in einzelne Herden; insgesamt 360 Tiere, die Hälfte Männlein, die Hälfte Weiblein. Nach acht Wochen müssen sie getrennt aufgestallt werden, dann endet so langsam die Geschlechter-Verträglichkeit.

Regelmäßig auf die Waage

Hühner und Hähne kommen regelmäßig auf die Waage, erfasst werden Legeleistung und alle vier Wochen das Körpergewicht und der Gesundheitszustand. Nach 72 Wochen soll klar sein, ob die alten Rassen Mechelner oder die Ostfriesische Möwe, beide angepaart mit White Rock, die erfolgversprechendste Kreuzung ist.

Wie lange und wie viele Eier bringt so ein Huhn hervor, das möglichst noch länger als 14 Monate legt? Und legt der Hahn genug Schlachtgewicht zu? 

Seit zehn Jahren „glückliche Tiere“

Immer mehr, immer schneller, immer billiger, die industrielle Tierhaltung sei für ihn nie ein Thema gewesen, sagt der 33-jährige Landwirt, der früh den Weg in die Selbstständigkeit wagte. Sein Hof, der vor rund zehn Jahren mit der Masthähnchenaufzucht begann, stand immer für eine artgerechte Haltung nach den strengen Verbandsvorgaben, mit hochwertigem Futter, gesunden, „glücklichen“ Tieren, die doppelt so lange leben durften wie konventionelle.

112.000 Hühner leben im Rhein-Sieg-Kreis

Jeder Halter von Hühnern muss sich beim Rhein-Sieg-Kreis anmelden. Laut Veterinäramt sind rechts- und linksrheinisch 1889 Halter registriert und 112.382 Hühner – im Schnitt also 60 Tiere pro Besitzer.

Für die meisten ist die Beschäftigung mit dem Federvieh ein Hobby. Nur 68 halten mehr als 100 Hühner, fünf Betriebe mehr als 5000; zwei finden sich in der Kategorie über 10.000, zusammen insgesamt 28.850 Tiere. (coh)

Das jüngst in Kraft getretene Verbot der Kükentötung stelle indes die gesamte Landwirtschaft, ob konventionell oder bio, vor Herausforderungen. Die Geschlechtsbestimmung im Ei und die Tötung des neun Tage alten Embryos sei für ihn eine Mogelpackung, sagt Tölkes. Und die Aufzucht von sogenannten Bruderhähnen, die kaum Fleisch ansetzten und nach wenigen Wochen in der Regel verwurstet werden oder in Babynahrung landen, ist für ihn keine Alternative.

55 Cent sind nicht kostendeckend

Mit romantischen Idealen allein lasse sich ein Hof aber nicht bewirtschaften, sagt Tölkes. Welchen Preis ist der Kunde – die Gastronomie, der Zwischenhändler, der Verbraucher im Hofladen und in der Selbstbedienungshütte – bereit zu zahlen? Ein Zweinutzungsei kostet auf Gut Fussberg 55 Cent, sagt Tölkes: „Und das ist immer noch nicht kostendeckend.“

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Hochwertiges Futter verwendet Lukas Tölkes für die Tiere.

In der Landwirtschaft gibt es einige Stellschrauben, zum Beispiel das Futter, bei dem er mit satten Preissteigerungen rechnet. Seine auf Effizienz gezüchteten Öko-Legehennen der Rasse Lohmann hätten kleine Mägen und bräuchten sehr hochwertige, proteinreiche Mischungen, weiß Tölkes. Die Gebrauchskreuzungen hätten größere Mägen, das Futter könne komplett in Deutschland angebaut werden. Und womöglich sogar in Ruppichteroth.

Die nächsten Pläne gibt es schon

Der junge Bauer denkt schon weiter. Im ersten Schritt will er Federvieh für andere Höfe aufziehen. Und im zweiten eine Elterntierherde aufbauen, vom Brüten bis zur Schlachtung soll alles auf Gut Fussberg stattfinden. Zusätzlich ist Gemüseanbau geplant, mit Unterstützung seiner Frau Miriam, die derzeit noch Wichtigeres zu tun hat. Die Familie hat jüngst Nachwuchs bekommen: Die Zwillinge, Kind Nummer drei und vier, sind erst ein paar Wochen alt.

Auf Gut Schiefelbusch gedeihen auch die „Kerle“

Die 300 „Kerle“ werden auf Gut Schiefelbusch in Schleiderhöhe mit durchgefüttert. Und noch dazu brauchen die schmächtigen, mitunter aggressiven Vögel mehr Platz als ihre produktiven, friedfertigeren „Schwestern“, wie Landwirt Albert Trimborn vom Gut Schiefelbusch zeigt. Ihre Aufzucht ist Gewissenssache, Kunden könnten mit den „Bruderhahneiern“ etwas tun gegen das Kükentöten, sagt Jungbauer Andreas Trimborn.

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Vater, Sohn und Bruderhähne: Andreas und Albert Trimborn ziehen auch die männlichen Küken der Legehühner auf. 

Der Betrieb in Scheiderhöhe war nach unseren Recherchen Pionier in der Region, zog die ersten männlichen Küken bereits ein Dreivierteljahr vor Inkrafttreten des deutschen Verbots auf. Bis Ende 2021 durften die Hähne der Legerassen mit Kohlenmonoxid vergast werden, das Schreddern war hierzulande schon länger verboten.

Zwei Cent mehr für Bruderhahneier

Nach 18 Wochen lassen die Trimborns die männlichen Tiere schlachten, mit einem runden Kilo eher Leichtgewichte. Als Brathähnchen nicht geeignet, landen sie im Frikassee oder in der Suppe, die es in den Hofläden auf dem Berg und im Sülztal im Glas gibt.

Die sogenannten Bruderhahneier, die natürlich von den „Schwestern“ gelegt werden, kosten nun zwei Cent mehr. Ein Zehnerpack ist für drei bis 3,50 Euro zu haben. Noch lagern auf Gut Schiefelbusch Vorräte des selbst erzeugten Körnerfutters. Ist das verbraucht, könnten künftig die Eierpreise aufgrund der allgemein gestiegenen Kosten vor allem für Diesel und Gas steigen, kündigt der 62-jährige Seniorbauer an. Aber nur leicht und nicht sprunghaft.

Man wolle Lebensmittel auch für durchschnittliche Kunden herstellen, regional und möglichst nachhaltig, wenngleich ohne Bio-Label. „Wir bewegen uns im Wettbewerb.“ Von den Dumpingangeboten der Discounter sei man indes weit entfernt. „Zehn Eier für 1,29 Euro, da kann es den Hühnern nicht gut gehen.“ Die Direktvermarkter vor Ort hätten durch den kurzen Draht zu den Kunden die Chance, die Zusammenhänge zu erklären.

Aussortieren bis zum 13. Tag

Das Thema sei komplex. Die männlichen Embryos müssten erst gar nicht reifen, eigentlich, doch mit der Geschlechtserkennung im Ei hapere es. In einer Übergangszeit sei daher das Aussortieren bis zum 13. Tag erlaubt – viel zu spät, finden die Trimborns. Bis zum siebten Tag, den der Gesetzesgeber anstrebt, könne man die Eier noch verarbeiten, zum Beispiel zu Nudeln. „Ein gutes Verfahren, wenn das funktioniert, schwenken wir vermutlich um“, sagt Andreas Trimborn (35).

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Bauern, die die „Kerle“ nicht selbst aufziehen wollen, können eine Legehenne zum doppelten Preis kaufen und so einen „Bruder“ retten. Ob dieser dann ordentlich und tiergerecht aufgezogen würde, entziehe sich indes der Kontrolle, gibt Albert Trimborn zu bedenken.

Andere Betriebe kauften die Junghennen vermehrt im Ausland, zum Beispiel in den Niederlanden, wo die männlichen Eintagsküken noch getötet werden dürfen.

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