Als Zehnjährige floh sie mit ihrer Familie aus Aleppo. Fatima Ghazal Habbal (19) erzählt vom Ankommen in Deutschland, von Vorurteilen und Zukunftsplänen.
„Ich kämpfe und werde nicht gesehen“Niederkasseler Abiturientin floh vor zehn Jahren aus Syrien

Fatima Ghazal Habbal ist vor 10 Jahren aus Syrien geflohen. Heute hat die 19-Jährige in Niederkassel ihr Abitur abgeschlossen und möchte Medizin studieren.
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Fatima Ghazal Habbal war zehn Jahre alt, als sie 2015 in Deutschland ankam. In Aleppo aufgewachsen, war sie mit ihren Eltern und ihren beiden Brüdern vor dem syrischen Bürgerkrieg geflohen. Die heute 19-Jährige hat diesen Sommer in Niederkassel ihr Abitur abgeschlossen. Sie erzählt von ihren Zukunftsplänen, von der schweren Zeit nach ihrer Ankunft in Deutschland und vom Kampf gegen Vorurteile.
„Als wir Syrien verlassen haben, konnte ich mich gar nicht wirklich verabschieden“, erzählt Fatima Ghazal Habbal, „Man konnte nichts verarbeiten – man hat das eher verdrängt, was alles passiert ist.“ Zunächst sei sie mit ihrer Familie in der Sporthalle Süd an der Eifelstraße untergekommen, erzählt die 19-Jährige. Ihr jüngerer Bruder war damals erst zehn Monate alt.
Schon wenige Monate nach dem Ankommen in Niederkassel sprach sie fließendes Deutsch
Zu dieser Zeit habe sie sofort damit begonnen, sich selbst Deutsch beizubringen, mithilfe von Videos, die andere Geflüchtete oder Menschen syrischer Herkunft, die schon länger in Deutschland lebten, auf Plattformen wie YouTube hochgeladen hatten.
Ihre Familie hatte Glück: Verhältnismäßig schnell fanden sie eine Wohnung. Fatima Ghazal Habbal kam in die dritte Klasse der Niederkasseler Grundschule. „Ich war schon immer sehr ehrgeizig, was Schule angeht“, sagt Ghazal Habbal, „Mit zehn Jahren hätte ich ja eigentlich in die fünfte Klasse gemusst. Anfangs war ich sehr traurig darüber, dass ich Jahre verliere.“ Im Nachhinein sei sie darüber froh. Sie hatte einen Klassenlehrer, der ihr beim Deutsch-Lernen half.
„Es war aber nicht einfach“, erzählt die Abiturientin, „Ich musste auch Erfahrung mit Mobbing machen, weil ich natürlich kaum Deutsch gesprochen habe und viele Mitschüler nicht mit mir reden wollten.“ Es sei ihr schwergefallen, über solche Mobbingerfahrungen zu sprechen, daher hätten auch die Lehrkräfte wenig davon mitbekommen, erzählt Ghazal Habbal. Als Grundschülerin habe sie kaum jemanden gehabt, an den sie sich vertrauensvoll habe wenden können. Auch zu Hause musste sie viel Verantwortung übernehmen, da sie schon bald diejenige war, die in ihrer Familie am besten Deutsch sprach. Nach der Schule begleitete sie ihre Eltern regelmäßig zu Terminen, um zu übersetzen.
Ich habe mir immer gesagt: Egal, wie hart das ist, egal, wie alleine du bist – irgendwann wirst du Freunde haben und einen Anhaltspunkt hier finden, und du wirst auch anderen Menschen helfen können.
Ihr Ehrgeiz habe ihr in dieser Zeit geholfen, trotz fehlender Unterstützung ihre Ziele zu verfolgen. Schon als Zehnjährige wusste sie, dass sie Ärztin werden wolle; jetzt ging es darum, in einem fremden Land mit anfangs unbekannter Sprache ihr Abitur zu schaffen. Auch ihr Glaube habe ihr dabei geholfen und nicht zuletzt der Glaube an sich selbst. „Ich musste weitermachen – zu scheitern war keine Möglichkeit“, erzählt Fatima Ghazal Habbal. „Ich habe mir immer gesagt: Egal, wie hart das ist, egal, wie alleine du bist – irgendwann wirst du Freunde haben und einen Anhaltspunkt hier finden, und du wirst auch anderen Menschen helfen können.“
Fatima Ghazal Habbal besuchte die Niederkasseler Interkultur-Cafés, wo Menschen mit Fluchterfahrung Unterstützung bei bürokratischen Angelegenheiten finden. Schon mit elf Jahren sprach sie so gut deutsch, dass sie dort durch Übersetzen selbst ehrenamtlich mithalf. Da sie so schnell lernte, entschieden die Lehrkräfte nach der vierten Klasse, dass Ghazal Habbal auf das Niederkasseler Kopernikus-Gymnasium gehen sollte.
Schulaufgaben nur auf dem Handy: In der Coronazeit war die Niederkasseler Schülerin auf sich alleine gestellt
Mit der Coronazeit kam jedoch eine neue schwere Phase auf die Schülerin zu. Der Unterricht fand ausschließlich online statt, Fatima Ghazal Habbal hatte aber zu Hause weder Laptop, Tablet noch Drucker. Auch in der Schule habe sie keine Arbeitsblätter abholen können, da diese geschlossen war. Sie arbeitete ausschließlich mit dem Handy, bearbeitete dort PDFs, die sie dann online hochladen musste.
„Ich hab mich schon sehr alleine gefühlt, muss ich sagen“, erzählt sie heute. „Man lebt ja generell schon dauerhaft in einer Unsicherheit. Was ist, wenn wir abgeschoben werden?“ Auch über diese Ängste habe sie mit niemandem sprechen können: „Ich wollte meinen Eltern nicht noch mehr Sorgen bereiten, als sie sowieso schon haben.“ Das Aufarbeiten von Fluchterfahrungen sei für niemanden in ihrer Familie möglich gewesen.
Ich möchte Menschen gerne das geben, was ich selbst gebraucht hätte.
„Ich möchte Menschen gerne das geben, was ich selbst gebraucht hätte“, sagt Fatima Ghazal Habbal. Sie habe den starken Wunsch, zu helfen – auch beruflich. Nach ihrem Abitur hat sie sich für ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Krankenhaus beworben und hofft, 2026 mit dem Medizinstudium beginnen zu können. Als Plan B kann sie sich vorstellen, Soziale Arbeit zu studieren oder eine Ausbildung im Gesundheitswesen zu machen.
Seit ihrer Ankunft in Deutschland habe sie viel mit Vorurteilen kämpfen müssen. Das wurde vor allem deutlich, als sie sich entschied, ein Kopftuch zu tragen. Viele Menschen haben sie davon abbringen wollen, auch Ehrenamtliche, mit denen sie zusammenarbeitete und von denen sie sich eigentlich Unterstützung erhofft hätte. „Das erste, was man in Deutschland gesagt bekommen hat, war, ‚das hier ist ein freies Land‘“, sagt die 19-Jährige, „Ich habe doch nur das gemacht, was ich wollte, womit ich mich wohlfühle – wieso kommt das nicht an?“
Gerade weil ihr durch ihr Kopftuch so viel antimuslimische Diskriminierung entgegenschlug, entschied sie sich, viel und offen über ihre Entscheidung zu sprechen. So möchte sie Menschen zu helfen, ihre Vorurteile abzubauen: „Natürlich könnte ich auch sagen, ich ziehe mich in meine eigene Community zurück. Aber das ist meiner Meinung nach nicht die Lösung.“ An rassistische Kommentare und abwertende Blicke habe sie sich mittlerweile gewöhnen müssen. Auch, dass Menschen überrascht seien, dass sie perfektes Deutsch spricht.
„Ich habe oft das Gefühl, ich kämpfe und kämpfe und werde nicht gesehen.“ Wenn sie etwas erreicht hatte, habe sie sich oft nicht darüber freuen können, sondern immer das Gefühl gehabt, sich erneut beweisen zu müssen. Gerade über den Islam würden oft nur negative Dinge berichtet, was Vorurteile schüre. „Mir ist wichtig, dass man den Leuten zeigt: Der Glaube hat nichts damit zu tun, ob man an der Gesellschaft teilhaben, ob man Erfolg haben kann“, sagt Fatima Ghazal Habbal. „Der Glaube kann auch bewirken, dass man mehr aus sich heraus kommt, mehr schafft und ein guter Mensch sein möchte. Das, was fehlt, ist, dass man die Leute aufklärt und das Positive zeigt.“