VolkstrauertagIn Sankt Augustin halten ein Rabbi und ein Imam Plädoyers für den Frieden

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Eine Frau und mehrere Männer stehen mit gefalteten Händen und gesenkten Köpfen in einer Reihe.

In Mülldorf wurde der Volkstrauertag gemeinsam begangen von katholischer, evangelischer Kirche, einem Imam und einem Rabbi. Ortsvorsteherin Angelika Ackermann (l.) war die Organisatorin. Daneben Rabbi Oleg Zorin, Imam Reduan El Gai, Pater Bernd Wehrle und dem evangelischen Pfarrer Simon Puschke.

Erstmals begehen Christen, Juden und Moslems in Sankt Augustin das Gedenken interreligiös.

Es war ein ganz besonderes Gedenken. Erstmals begingen die Bürgerinnen und Bürger von Sankt Augustin-Mülldorf den Volkstrauertag als interreligiöse Gedenkfeier unter dem Motto „Gehen für den Frieden“. Am Ehrenmal sprachen nicht ein evangelischer und ein katholischer Pfarrer, sondern auch ein Imam und ein Rabbi.

Die Ortsvorsteherin Angelika Ackermann (SPD) hat diese außergewöhnliche Aktion organisiert. „Ich wollte damit den Bezug zum aktuellen Weltgeschehen herstellen“, sagte sie. „Nicht nur in der Rede, sondern auch aktiv.“ Dabei hatte sie insbesondere den Nah-Ost-Konflikt im Sinn. Per Telefon und Internet hatte sie recherchiert. Gerade an der Grenze zu ihrem Stadtteil stieß sie auf den Marokkanischen Kulturverein. Dessen Imam Reduan El Gai war sofort bereit. 

Der Troisdorfer Rabbi Oleg Zorn floh im Ukrainekrieg selber aus Kiew

Die orthodoxe jüdische Gemeinde aus Bonn war anderweitig verplant, aber Ackermann fand die jüdisch-messianische Gemeinde in Troisdorf, die es erst seit einem Jahr gibt. Deren Rabbi Oleg Zorin hat selbst eine Fluchtgeschichte, ist vom Krieg vertrieben worden. Er ist nach dem Angriff der Russen aus Kiew in der Ukraine in den Rhein-Sieg-Kreis geflüchtet. Aus einem Gebetskreis ist nun eine Gemeinde geworden.

Alles zum Thema Bonner Straße (Köln)

Nach dem Gottesdienst in der Kirche St. Mariä Heimsuchung ging es im stillen Friedenszug zum Ehrenmal auf dem Friedhof an der Bonner Straße. Die Freiwillige Feuerwehr ging nicht nur voran, sie half auch bei der kurzfristigen Sperrung der Straßen. Zwei Feuerwehrmänner standen am Ehrenmal mit Fackeln in der Hand.

Vor der Kranzniederlegung ergriff zunächst Ackermann das Wort. In einer kurzen Collage sprach sie eindringliche Worte: Trauer. Krieg. Zerstörung. Leid. Sie erinnerte nicht nur an die, die in den beiden Weltkriegen gefallen sind. Sie gedachte aller Opfer, „die gestern, heute, jeden Tag durch die grausamen Folgen von Kriegen und Gewaltherrschaft ihr Leben gelassen haben“.  

Der katholische Pater segnete in Sankt Augustin Juden, Muslime und Christen gleichermaßen

Die Ortsvorsteherin forderte die Zuhörerinnen und Zuhörer auf: „Fangen wir heute damit an, jeden Tag etwas mehr Frieden in uns sebst zu kultivieren und in die Welt zu tragen. Lassen Sie uns alte Feindschaften begraben.“ Ihr folgte der evangelische Pfarrer Simon Puschke, der für den Frieden gemeinsam mit allen betete. Seine eindrückliche Mahnung, mit Blick auf den Krieg im Gaza-Streifen: „Wie leicht ein Krieg beginnen kann und wie schwer es ist ihn zu beenden.“

Der Imam trug die Sure 49, Verse 12, 13 und 14 aus dem Koran vor, die vom allvergebenden, allwissenden, barmherzigen und Reue annehmenden Allah berichtet. Lorri Pomazan sang das Shalom Alechem vor, Rabbi Oleg Zorin sprach ukrainisch, übersetzt von Pomazan aus den Schriften der Propheten und beschwor den Frieden in der Welt.

Pater Bernd Wehrle schließlich knüpfte an die Worte aus der Sure an und erzählte von den friedlichen Absichten eines allgegenwärtigen Gottes.  Menschen, die gesegnet seien, müssten dort, wo sie sind, ein Segen sein. Und so segnete er Juden, Muslime und Christen gleichermaßen.

In Ittenbach forderte Landrat Sebastian Schuster auf, für Respekt und Menschlichkeit einzutreten

Rhein-Sieg-Landrat Sebastian Schuster hatte anlässlich des Volkstrauertages alle Menschen aufgefordert, „sich gegen Abgrenzung, Egoismus und Nationalismus zu wehren und dagegen aufzubegehren“. Stattdessen müssten sie „für Respekt, Menschlichkeit und Miteinander“ eintreten, forderte Schuster bei der zentralen Gedenkfeier des Kreisverbandes Rhein-Sieg des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge auf der Kriegsgräberstätte in Königswinter-Ittenbach.

„Wir gedenken insbesondere den Menschen, die bis heute unter bewaffneten Auseinandersetzungen, Terror und Folter leiden und an den Folgen sterben“, nahm der Landrat auch Bezug auf die Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen und den Terrorangriff der Hamas. „Weiterhin sterben weltweit viel zu viele Menschen durch Terror und Krieg.“ Deshalb sei gedenken eine menschliche Verpflichtung, betonte der Kreisvorsitzende des Volksbundes auf der Kriegsgräberstätte in Ittenbach.

Dort ruhen 1871 Tote des Zweiten Weltkrieges. Neben 1626 Deutschen sind dort auch Bürger der ehemaligen Sowjetunion sowie Polen, Niederländer, Belgier, Franzosen und Italiener bestattet. Schuster zitierte den Arzt und Philosophen Albert Schweitzer „Die Soldatengräber sind die großen Prediger des Friedens“ und äußerte den Wunsch, „dass weltweit die Menschen in Regierungsverantwortung die stummen Prediger wahrnehmen“.

Pfarrer Georg Kalckert sagte: „Der Weltkrieg ist nicht zu Ende, er geht weiter, in Raten“

Pfarrer Georg Kalckert sagte in seiner Gedenkansprache: „Dieser Tag ist wirklich ein Trauertag.“ Ob er ein Volkstrauertag sei, lasse sich nicht so klar beantworten. „Wo ist das Volk, das trauert, heute und hier?“ Es gehe um das Gedenken an die Toten aller Völker, betonte der Pfarrer. Was in der Ittenbacher Kriegsgräberstätte„denkmalhafte Erinnerung geworden ist, das kann jeden Augenblick noch schrecklicher, noch totaler über unsere Erde gehen. Der Weltkrieg ist nicht zu Ende, er geht weiter, in Raten und mühsam begrenzt.“

Wer den Volkstrauertag zu deuten versuche, der werde auf etwas Umfassenderes verwiesen. „Auf eine Zukunft, die nicht allein das Werk des Menschen sein kann, auf eine Geschichte, die zu ihrem gelingen, die Hand eines anderen braucht“, so der katholische Geistliche bei der Feierstunde, bei der Königswinters Bürgermeister Lutz Wagner das Totengedenken sprach. Darin heißt es unter anderem auch: „Wir gedenken der Opfer von Terrorismus und Extremismus, Antisemitismus und Rassismus in unserem Land.“

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