Siegburger Familie angeklagtRollstuhlfahrer erzählt unter Tränen von Martyrium

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Der Eingang zum Bonner Landgericht. (Symbolbild)

Siegburg/Bonn – Irgendwann konnte der Zeuge nicht mehr. Die brüchige Stimme versagte, er begann zu weinen: „Es ist zu viel“, sagte er und wischte sich die Tränen mit einem Papiertaschentuch ab. Er hatte gerade vor der 1. Großen Strafkammer des Bonner Landgerichts über ein Martyrium berichtet, dem er laut Anklage ausgesetzt war.

Der 54-jährige frühere Bauarbeiter, wegen einer Muskelerkrankung auf Rollstuhl oder Rollator angewiesen, soll vom 8. Februar bis 5. März 2021 festgehalten, misshandelt und bestohlen worden sein. Drei Männer und zwei Frauen im Alter von 29 bis 44 Jahren sind, wie berichtet, wegen schwerer Freiheitsberaubung, gefährlicher Körperverletzung, Beihilfe und unterlassener Hilfeleistung angeklagt. Der 54-Jährige war in den Saal geschoben worden. Er könne kaum gehen, in seiner Wohnung nutze er den Rollator, außerhalb den Rollstuhl, sagte seine Betreuerin. Ihr Klient leide heute an Schlafstörungen, Panikattacken und Angstzuständen.

Rollstuhlfahrer baute Vertrauen zu Siegburger Familie aus

Möglicherweise ist die Sehnsucht nach Gesellschaft des allein lebenden Mannes die Folie, auf der sich das Drama abgespielt hat. Denn in einem Siegburger Supermarkt lernte er beim Einkaufen eine heute 33-Jährige kennen, die im gleichen Viertel wie er lebt. Er besuchte sie und ihren Mann öfter und vertraute ihnen schließlich so sehr, dass er ihnen während eines Krankenhausaufenthalts seinen Hausschlüssel übergab.

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Nach der Entlassung aus der Klinik ließ er sich zur Wohnung des Paares fahren, in die inzwischen der Bruder der Ehefrau eingezogen war, um diesen nach dem Schlüssel zu fragen. Der 29-Jährige hatte gerade eine Freiheitsstrafe von 15 Monaten wegen Nötigung und Besitzes von Dateien mit der Darstellung sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen abgesessen.

Zunächst wurde der 54-Jährige vertröstet, dann sei der Ton „rauer und brutaler“ geworden, schließlich hätten die Bekannten Geld für die Herausgabe seines Eigentums gefordert. Er habe 140 Euro auf den Tisch gelegt: „Ich wollte nur nach Hause.“ Vor Angst habe er sich auf dem Sofa eingenässt, deshalb sei nochmal Geld verlangt worden, um die Couch zu reinigen: „Sonst kommst du hier nicht raus“, sei ihm bedeutet worden. Der Zeuge: „Da wusste ich, das wird eine Katastrophe werden.“

54-Jähriger soll in Siegburger Wohnung wochenlang misshandelt worden sein

Das wurde es, wenn die Vorwürfe stimmen. Demnach wurde das Opfer geschlagen und getreten, gedemütigt, beleidigt und beraubt. Er habe meist am Küchentisch gesessen. „Wo haben Sie denn geschlafen?“, fragte Kammervorsitzende Stefanie Johann to Settel. „Auf dem Stuhl, mit dem Kopf auf der Tischplatte.“ Eines Tages habe der 29-Jährige ein Handy hochgehalten, auf dem Display ein Kontoauszug, mit den Worten: „Und der erzählt uns, er habe kein Geld.“ Danach sei ihm seine Bauchtasche mit 800 Euro entrissen worden. Er soll auch vom Konto des Bauarbeiters rund 25 000 Euro abgehoben haben.

Die Frage des Gerichts, warum er in vier Wochen keine Hilfe geholt habe, konnte der Zeuge nicht eindeutig beantworten: „Ich war zu geschwächt“, sein Rollstuhl sei ihm weggenommen worden, er sei ohne Schlüssel gewesen. „Hatten Sie kein Handy?“, wollte die Vorsitzende wissen. Anfangs noch, aber dann habe der 29-Jährige das Gerät mit einem Hammer zertrümmert. Und wieder weinte er.

Die Angeklagten schwiegen, in einer Pause standen sie vor dem Gerichtsgebäude, rauchten und feixten mit Freunden. 

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