28-Jähriger muss sich wegen gefährlicher Körperverletzung vor dem Bonner Landgericht verantworten
Nach gescheitertem FahrradverkaufInformatiker aus Siegburg im Bett mit Messer schwer verletzt

Das Opfer wollte ein Fahrrad kaufen und traf sich mit einem angeblichen Anbieter nachts in Siegburg. (Symbolfoto)
Copyright: Paul Zinken/picture alliance/dpa
Die Blutspuren sind überall. Am Körper eines Mannes, über den sich Rettungssanitäter in gelber Einsatzkleidung beugen. Auf einem weißen Handtuch, auf dem Bett, auf dem Fußboden, auf einem Bürostuhl, auf fast jeder der 18 Holzstufen, die zu der Einzimmerwohnung im ersten Stock eines Wohn- und Geschäftshauses in Siegburg führen.
Die Fotos haben Polizeibeamte gemacht, die am 20. Januar 2023 gegen 23.30 Uhr als erste am Tatort in der Fußgängerzone eingetroffen waren. Gerufen hatte sie das Opfer, ein heute 28-jähriger Wirtschaftsinformatiker, der von wahrscheinlich zwei Männern überfallen und schwer verletzt worden war.
Nächtliches Treffen auf einem Spielplatz an der Siegburger Kaiserstraße
Einer der mutmaßlichen Täter, ein ebenfalls 28 Jahre alter Syrer ohne festen Wohnsitz, zurzeit in der Justizvollzugsanstalt Siegburg in Untersuchungshaft, muss sich wegen gefährlicher Körperverletzung vor der 3. Großen Strafkammer des Bonner Landgerichts verantworten. Sein mutmaßlicher Komplize ist unbekannt. Der Angeklagte wolle sich schweigend verteidigen, sagt sein Anwalt Peter-René Gülpen. Die Bilder aus der Wohnung des Opfers, die im Gerichtssaal gezeigt wurden, sind Beweismittel der Staatsanwaltschaft.
Die Geschichte hinter dem Überfall ist mysteriös. Im September 2022 suchte das spätere Opfer, damals noch Student, in einem Kleinanzeigenportal ein Fahrrad. Bald meldete sich ein Anbieter namens „Jakob“, der sich mit dem Inserenten nachts auf einem Spielplatz, fünf Minuten von der Wohnung an der Kaiserstraße, entfernt treffen wollte. Dort tauchte einer der mutmaßlichen Anbieter aus dem Dunkeln auf, soll aber gesagt haben, er habe gar kein Fahrrad. Es gab weitere Kontakte, doch letztlich kam das Geschäft nicht zustande.
Drei Monate später, am 20. Januar 2023, folgte der Überfall: Nach der Spurenlage traten zwei Männer die hölzerne Haustür ein, hasteten die Treppe hoch, brachen die Wohnungstür auf, und entweder der Angeklagte oder sein Begleiter sollen auf den Mieter eingestochen haben, der schlafend im Bett lag. Er wurde von mehreren Messerhieben an den Ober- und Unterschenkeln getroffen. Die Wunden waren 20 bis 25 Zentimeter lang und vier bis fünf Zentimeter tief, an den Füßen trafen die Stiche fast die Knochen. Der Schwerverletzte wurde in der Uni-Klinik Bonn notbehandelt und lag anschließend zehn Tage lang im Krankenhaus.
Menschenschmuggel soll bei dem jetzt verhandelten Überfall in Siegburg eine Rolle spielen
Der Angeklagte, der von dem Opfer nach einer Lichtbildvorlage identifiziert worden war, hat sich die Polizeifotos scheinbar ungerührt angesehen. Im Jahr 2014 kam der gelernte Elektriker nach Deutschland, er ist viermal vorbestraft. Am 22. Oktober 2020 wurde er auf der Autobahn bei Regensburg gestoppt, in seinem Pkw vier syrische Landsleute, die er aus Österreich illegal in die Bundesrepublik bringen wollte. 500 Euro sollte er von jedem als Schleuserlohn bekommen. Ein Gericht in Regensburg verurteilte ihn dafür 2021 zu einem Jahr und fünf Monaten Haft, die Strafe hat er verbüßt.
Menschenschmuggel soll auch bei dem jetzt verhandelten Überfall in Siegburg eine Rolle spielen. Der geschädigte Zeuge berichtete dem Gericht, er habe nach dem gescheiterten Fahrradkauf eine dubiose Facebook-Nachricht erhalten: „Du hattest heute deine Chance gehabt“. Als er die Nummer angerufen habe, habe ihm eine Stimme gesagt: „Pass auf, was du machst!“. Drei Monate später, kurz vor der Attacke in seiner Wohnung, sei ihm, wieder über Facebook, ein Beleg geschickt worden, angeblich eine Anweisung über 66.000 Euro an seinen in der Türkei lebenden Vater für Hilfe beim Menschenschmuggel. „Ich habe meinen Vater gefragt, er sagte, das stimme nicht“, versicherte der 28-Jährige. Laut Staatsanwaltschaft soll er wiederholt aufgefordert worden sein, einer Person in der Türkei Geld zu schicken.
Der Zeuge, der mit einem Anwalt als Beistand erschienen war, erzählte weiter, er sei nach dem Überfall für ein Jahr in die Niederlande gezogen, weil er in Siegburg nicht mehr habe leben können. Auch heute noch fühle er sich nicht sicher, wechsele die Straßenseite, wenn er meine, er werde verfolgt.
Die weiteren, von der Kammer geladenen Zeugen haben ebenfalls angekündigt, nur mit rechtlichem Beistand aussagen zu wollen. Die Richter wollen den mysteriösen Fall bis Ende Juli aufklären.