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SieggessäuleSo informiert Siegburg über ein dunkles Kapitel der Geschichte

Lesezeit 3 Minuten
Eine steinerne Frauenfigur mit Flügeln und einer Feder in der Hand steht auf der Spitze einer Steinsäule.

Die Sieggessäule mit der Viktoria auf dem Siegburger Marktplatz erinnert an eine hochumstrittene Ära der deutschen Geschichte.

Eine neue Stele mit historischer Einordnung informiert jetzt über die Entstehung der Viktoria-Säule auf dem Siegburger Markt.

Ein Friedensengel ist es nicht, der hoch über dem Markt der Kreisstadt auf einer Säule wacht, auch wenn das viele Besucher der Stadt glauben. Vielmehr ist es Siegesgöttin Viktoria, deren Säule an eine hochumstrittene Ära der deutschen Geschichte erinnert: den Deutsch-französischen Krieg von 1870/71 und seine Gefallenen sowie die Einigung der Deutschen in einem Kaiserreich, das wenige Jahrzehnte später nach einem verheerenden Weltkrieg untergehen sollte.

Den historischen Hintergrund erhellt jetzt eine Stele mit einem Text, den Stadtarchiv Jan Gerull verfasst hat. Die Linke im Stadtrat hatte die Tafel beantragt.

Siegburg war ein Zentrum der deutschen Rüstungsindustrie

20.000 Goldmark habe das Denkmal gekostet, schildert Gerull, maßgeblich von der Bevölkerung finanziert. Die Viktoria ist ein Abguss einer Plastik, die auf dem heutigen Mehringplatz in Berlin steht. Dass die Säule einem aufgestellten Geschützrohr ähnelt, ist Gerull zufolge kaum ein Zufall: Seit 1875 wuchs Siegburg mit der Geschossfabrik zu einem Zentrum der deutschen Rüstungsindustrie heran.

Dieser Aspekt ist Raymund Schoen, Stadtverordneter der Linken, besonders wichtig, auch aus persönlichen Gründen: Munition aus Siegburg sei in den schlimmsten Schlachten des Ersten Weltkriegs zum Einsatz gekommen, den sein Vater, der als 17-Jähriger an der Front war, nur mit viel Glück überlebt habe.

Drei Männer stehen neben einer Informationstafel, auf der Texte und alte Fotos abgedruckt sind.

Stadtarchivar Jan Gerull, Antragsteller und Stadtverordneter Raymund Schoen und Bürgermeister Stefan Rosemann (v.l.) bei der Enthüllung der Stele mit der Informationstafel.

Gerull zufolge wurde die Säule zum Treffpunkt an vielen Gedenktagen, für den kameradschaftlichen Verein, der die Errichtung betrieben hatte, für Turner, Schützenvereine und Gesangsvereine, die den Kaisertag oder Jahrestage von Schlachten dort feierten. „Wie religiöse Akte“, so der Stadtarchivar, seien solche Tage begangen worden.

Auf ein besonderes Datum fiel auch der Tag der Enthüllung 1877: Zum siebten Mal jährte sich an diesem 18. August die Schlacht von Gravelotte, einer der blutigsten Waffengänge im Deutsch-Französischen Krieg. Gerull: „Das Denkmal gab einer militaristischen, nationalistischen und nicht zuletzt monarchischen Grundhaltung der Entstehungszeit Ausdruck.“ Diesen Charakter habe es zum Glück „im Zeitalter der 60 Jahre währenden deutsch-französischen Freundschaft verloren“.

Ein 1956 gefasster Beschluss zum Abriss der Siegessäule wurde nicht umgesetzt

1919 versuchten britische Besatzungssoldaten, die Viktoria mit Seilen zu stürzen, was aber misslang – viele Siegburger sprachen anschließend von einem „Akt der Schändung“. 1941 nutzten die Nazis sie für ihre Propaganda und bahrten die Opfer alliierter Luftangriffe vor dem Denkmal auf.

Ein Beschluss zum Abriss 1956 wurde Gerull zufolge nicht umgesetzt. Heute falle der Begriff „Kriegerdenkmal“ nur noch selten. „Und wenn, dann als Mahnung der Vergangenheit, den Frieden in der Zukunft zu wahren.“

In Kaldauen erinnert bereits eine Stele an die Opfer eines Artilleriebeschusses in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs. Als nächstes Projekt ist eine Tafel für die Gräber auf dem Nordfriedhof vorgesehen, in denen Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion bestattet sind.