VerwüstungSo tricksen Wildschweine die Jäger in Rhein-Sieg aus

Lesezeit 4 Minuten
Jäger Rainer Wilberg zeigt die Spuren, die Wildschweine hinterlassen haben: 20 Prozent der Weide wurden in einer Nacht vernichtet.

Jäger Rainer Wilberg zeigt die Spuren, die Wildschweine hinterlassen haben: 20 Prozent der Weide wurden in einer Nacht vernichtet.

Rhein-Sieg-Kreis – Auf diesen Besuch hätte Rainer Wilbergs Bekannte gerne verzichtet: Denn die nächtlichen Gäste haben gehaust wie die Schweine.

Die Erde ist aufgewühlt, die Grasnarbe kaputt. Gute 15 Zentimeter tief hat eine Wildschweinrotte die einen Hektar große Pferdeweide bei Hennef-Söven umgegraben. „20 Prozent der Weidefläche ist zerstört“, sagt Wilberg, der als Jagdaufseher eines 360 Hektar großen Hennefer Reviers an der Landesgrenze zu Rheinland-Pfalz solchen Schäden nur zu gut kennt.

Bestand an Wildschweinen nimmt zu

Es gebe einfach zu viele Schweine, sagt der Forstunternehmer, „im Vergleich zur Zahl von vor zehn Jahren hat der Bestand um 50 bis 70 Prozent zugenommen“.

Fette Mastjahre, in denen die Allesfresser einen gut gedeckten Tisch mit Eicheln, Bucheckern und Mais vorfinden, vier Würfe im Jahr statt wie früher nur zwei, milde Winter – das alles habe dazu geführt, dass die Wildschweinpopulation im Kreisgebiet trotz im Durchschnitt gleichbleibender Abschusszahlen so rasant angewachsen ist.

Und nicht zuletzt die Tatsache, dass die Schwarzkittel alles andere als dumme Säue sind: „Wir Jäger kommen an die kaum dran“, sagt Wilberg. Die Tiere hätten unzugängliche Rückzugsräume, „die wissen genau, wo kein Mensch hinkommt“. Und sie wissen, wo Gefahren lauern: Gibt es einen neuen Hochsitz oder liegt auch nur ein Baumstamm über dem Weg, dann kommen die erstmal nicht mehr.

„Die Schweine merken genau, ob sich etwas im Revier verändert hat. Steht die Kanzel im Wind, verschwinden sie sofort. Ist Vollmond, bewegen sie sich nur im Schatten. Oft sehen wir nicht mehr von den Tieren als den Rüssel zwischen den Bäumen.“

Es gebe Leitbachen, die zwei bis drei Schweine auf eine Lichtung vorschickten. Kämen die zurück, sei das das Signal, dass auch der Rest gefahrlos fressen könne. Kehrten die Scouts nicht zurück, ziehe die ganze Rotte weiter. „Wird ein Schwein geschossen, brauchen wir Jäger für die nächsten Wochen da gar nicht mehr sitzen, die Schweine kommen erstmal nicht mehr.“

Rotten mit bis zu 38 Tieren seien heute keine Seltenheit mehr. Viele hungrige Mäuler, die im Wald oft nicht mehr richtig satt werden. „Die gehen ja nur auf die Weiden und Maisfelder, weil sie auf Nahrungssuche sind“, sagt der Waidmann. „Ein Reh hat einen Fress-Zyklus von vier Stunden, dann macht es Pause. Ein Wildschwein unterbricht das Fressen nicht.“

Tiere legen bis zu 40 Kilometer zurück

30 bis 40 Kilometer in einer Nacht legen die Tiere auf Nahrungssuche zurück und hinterlassen dabei oft eine Spur der Verwüstung. Fallen die Wildschweine in einen Garten ein, geht der Besitzer leer aus. Den Schaden auf landwirtschaftlichen Flächen muss der Jagdherr bezahlen: Acht Cent gibt es pro Quadratmeter vernichtetem Mais, für Wiesen werden sechs Cent pro Quadratmeter gezahlt.

„Zum Teil entsteht in einer Nacht ein Schaden von 1000 Euro“, weiß Wilberg. „Da sind die Ausgleichszahlungen an die Landwirte höher als die Pacht für das Revier.“ Es gebe Gegenden im Kreisgebiet, die aus diesem Grund keinen Pächter mehr fänden.

Auf die wachsende Zahl von Schäden, die die Wildschweine verursachen, hat das Forstamt in Eitorf reagiert. Von dort aus betreuen die Mitarbeiter von Wald und Holz NRW rund 24.000 Hektar Wald, vorwiegend im links- und rechtsrheinischen Rhein-Sieg-Kreis. 6000 Hektar davon seien als Jagdreviere verpachtet, berichtet Armin Hübinger.

Die übrigen 18.000 Hektar würden von eigenen, jagdberechtigten Mitarbeitern betreut. Außerdem veranstalte das Forstamt regelmäßig Gesellschaftsjagden, an denen Jagdberechtigte gegen Gebühr teilnehmen könnten. Die Jagd auf die Wildschweine sei bis auf Bachen, also Muttertiere mit Frischlingen, derzeit völlig freigegeben.

Das hält Wilberg für richtig. Nur durch gute Bejagung lasse sich die Zahl der Wildschweine reduzieren. Gerade jetzt, im November und Dezember, sei eine gute Zeit für die sogenannten Drückjagden.

Die aber benötigen viel Zeit und Personal: Um die 25 Personen mit Hunden müssen in einer solchen Treibjagd eingesetzt werden. Mit der Zahl der erlegten Schweine reduziere sich auch die Gefahr der afrikanischem Schweinepest, die bereits in Osteuropa – Polen, dem Baltikum, der Ukraine – wütet und woran auch Hausschweine erkranken können. (mit sp)

Dünger gegen empfindliche Rüssel

Mit verschiedensten Methoden versuchen Jäger und Landwirte, marodierende Wildschweine von Weiden und Feldern fernzuhalten. Elektrozaun ums Maisfeld; stinkende, mit der Chemikalie Hukinol getränkte Lappen auf Zaunpfählen. Beides beeindruckt die Rotten offenbar aber kaum noch.

In Baden-Württemberg wird flächendeckend der für auch Bio-Betriebe zugelassene Schwefel-Dünger „Pig-S“ eingesetzt, den Rainer Wilberg auch in seinem Revier ausprobiert hat. Grüne, intakte Weidenflächen statt umgepflügter Erde zeigt er vor. Der Schwefel sei für die empfindlichen Schweinenasen unangenehm; die Mikroorganismen, die durch den Dünger umgesetzt werden, vertrügen die Schweine nicht und mieden die Flächen für drei Monate oder mehr. (seb)

Rundschau abonnieren