Serie

Rheinische Pioniere (4)
Alexe Altenkirch – eine Frau mit vielen Talenten

Lesezeit 7 Minuten
Zeichnung Alexe Altenkirch

Ein Entwurf von Alexe Altenkirch für die werkseigene Gartensiedlung Gronauerwald, 1900.

Alexe Altenkirch war die erste und lange Zeit einzige Dozentin der Kölner Kunstgewerbeschule. Die Winzertochter kämpfte für die Rechte von Frauen und war eine international renommierte Grafikerin.

Sie waren die ersten Startup-Gründer und Influencer: Menschen, die im Rheinland wirkten und deren Ideen bis heute faszinieren. Unsere Serie stellt die „Rheinischen Pioniere“ und ihre Erfolgsgeheimnisse vor.

Was macht Alexe Altenkirch zu einer Pionierin?

1902 begegnete Alexe Altenkirch beim Kölner Frauentag den Frauenrechtlerinnen Gertrud Bäumer und Helene Lange. Es war wohl so etwas wie eine Initialzündung für die junge Frau, die in ihrem weiteren Leben selbst zu einer Verfechterin der Frauenrechte werden sollte und sich für die Aus- und Weiterbildung Kölner Mädchen einsetzte. Alexe Altenkirch war die erste und 15 Jahre lang auch die einzige Dozentin an der Kölner Kunstgewerbeschule, den späteren Werkschulen Köln. Als Werbegrafikerin für die Papierfabrik J.W. Zanders in Bergisch Gladbach schuf sie bis 1932 unzählige international anerkannte Werbeanzeigen. Auf der Weltausstellung in Brüssel gewann sie 1910 die Goldmedaille für die Gestaltung des Ausstellungsstandes der Firma Zanders.

Was ist über ihre Herkunft bekannt?

Alexe Altenkirch wurde am 5. Juli 1871 als Winzertochter auf einem Weingut bei Bad Kreuznach geboren. Zum Weingut Altenkirch in der Rheingrafenstraße von Carl Altenkirch und Marie Eccard gehörte ein prächtiges Winzerhaus unweit von Nahe und Kurpark. Noch heute sind Weingüter des Namens in der Region vorhanden. Alexe hatte zwei ältere Geschwister und besuchte ab dem 10. Lebensjahr das private „Eliseninstitut für höhere Töchter“. 1887 arbeitete sie für ein Jahr als Hauswirtschaftsschülerin, was der Mädchenrolle der Zeit entsprach.

Ihre Affinität zu Kunst und Kunstgewerbe war ihr praktisch in die Wiege gelegt: Viele Familienmitglieder waren künstlerisch aktiv oder förderten lokale Kunst. Ihre Schwester war unter anderem Kunstgewerbelehrerin in Hanau gewesen. Der ältere Bruder betätigte sich als Papiervertreter auf dem Gelände des Weinguts Altenkirch. Die Altenkirchs waren mit weiteren lokalen Winzer- und Kellereifamilien verwandt und verschwägert, so auch durch die Ehe ihrer Schwester Else mit dem berühmten Architekten und Winzer Emil Thormählen.

Was war die Grundlage für ihren Erfolg?

Alexe Altenkirch hätte ebenfalls gerne Architektur studiert, jedoch waren vor 1900 Frauen im Kaiserreich an Hochschulen nicht zugelassen. Altenkirch entschied sich für ein technisch ausgerichtetes Kunststudium. Zunächst ging sie an die Zeichenakademie Hanau, besuchte dann die Damenakademie des Münchener Künstlerinnenvereins. In Paris lernte sie Aktzeichnen und begeisterte sich für den Impressionismus, danach lernte sie zwei Jahre in Nizza beim Genfer Maler Edouard Menta. Reisen war ohnehin ihre Leidenschaft — sie hatte schon früh ihren Vater im Ausland begleitet. Um 1900 reiste sie gemeinsam mit einer Freundin vom Balkan bis in den Kaukasus.

1900 eröffnete sie in Karlsruhe erstmalig ein eigenes Atelier. In einem Kurs für Druckverfahren bildete sie sich weiter und erstellte erste Lithografien. Das Multitalent bot zudem in Bad Kreuznach Kunstkurse an – auch für Berühmtheiten wie Mitglieder der russischen Zarenfamilie, welche sie als Porträtmalerin an den Zarenhof holen wollten. Altenkirch jedoch lehnte ab.

Nach ihrer Begegnung mit Gertrud Bäumer und Helene Lange 1902 beim Frauentag des ADF (Allgemeiner Deutscher Frauenverein) setzte sie sich gemeinsam mit Mathilde von Mevissen für die Weiterbildung von Mädchen ein. Auch gab sie kunstgewerbliche und technische Zeichenkurse in der Schule am Klapperhof und unterrichtete am humanistischen Mädchengymnasium. Ihr zweites Atelier sollte ebenfalls in Köln stehen: Am Hohenzollernring 48 öffnete 1911 ihr „Atelier für freie und angewandte Kunst“.

Gab es Widerstände?

1907 wurde an der Kölner Kunstgewerbeschule eine Damenklasse für figürliches Zeichnen eingerichtet, mit Altenkirch als Dozentin. Die fortschrittliche Künstlerin überschritt die Grenzen des bürgerlich-preußischen Geschmacks: Ab 1910 gab sie Aktzeichnen für Frauen, was in Deutschland damals ein Tabu darstellte. Zu ihrem Glück übernahm 1910 ihr Schwager Emil Thormählen die Leitung der Ausbildungsstätte – so zog ein liberalerer Geist ein. 1920 hob dann Martin Elsässer die nach Geschlechtern getrennten Kurse ganz auf.

Dennoch blieb sie 15 Jahre lang die einzige lehrende Frau. Während zu Beginn nahezu ausschließlich „Höhere Töchter“ unterrichtet wurden, konnten nach dem Ersten Weltkrieg auch Mädchen der unteren Klassen teilnehmen. Für Alexe Altenkirch, die ab 1912 Mitglied im Deutschen Werkbund war, sicher ein großer Fortschritt.

Wie gelang der Durchbruch?

Die sozialen Veränderungen der Weimarer Republik taten Altenkirch gut: Ab 1923 wurden im gesamten deutschen Reich Frauen als Professorinnen zugelassen, im gleichen Jahr wurde ihr der Professorentitel für Freie und angewandte Kunst an den Kölner Werkschulen verliehen. Sie konzentrierte sich als Dozentin vor allem auf Textilentwurf und Freie Malerei, lehrte jedoch auch Innenarchitektur und Werbegrafik. Nach 25 Jahren erfolgreicher Arbeit musste sie 1932, im Alter von 61 Jahren, krankheitsbedingt ihre Tätigkeit beenden.

Ihre zweite Erfolgsstory war die Zusammenarbeit mit der Papierfabrik Zanders in Bergisch Gladbach: Inhaber Hans Zanders übertrug ihr 1906 die Leitung der Werbeabteilung. Bis 1932 zeichnete sie für die meisten Anzeigen der Firma verantwortlich. Deren Leiterin Olga Zanders, Altenkirchs spätere Lebensgefährtin, war begeistert von der produktiven Grafikerin, deren Arbeit wegweisend in der Werbeindustrie war. Ihre moderne Industriewerbung erregte im In- und Ausland Aufsehen: Die Internationale Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik in Leipzig zeigte ihre Werbung genauso wie die Faserstoffausstellung in Turin 1911 – auch ihre Mitarbeit an einem Bild mit der Ansicht der Papierfabrik für die Weltausstellung in Brüssel 1918 gehört zu den Highlights.

Auch nach dem Ersten Weltkrieg blieb sie äußerst aktiv: Auf der internationalen Presse-Ausstellung „Pressa“ 1928 gestaltete sie unter anderem den Messestand der Firma Zanders und den Stand der deutschen Druckpapierindustrie.

Was gab ihr Kraft? Welche Charaktereigenschaft stach hervor?

Sie wohnte zeitweilig in Lindenthal auf dem Kringsweg, wo sie gerne und ausgiebig feierte. Besonders begehrt waren Einladungen zu ihren Atelierfesten, auch den Karneval schätzte sie. Neben ihrer Lebensfreude fiel vor allem ihr Arbeitseifer auf. Jedoch zahlte sie einen hohen Preis: Die Mehrfachbelastungen sowie der Tod von Vater und Bruder verstärkten die Parkinson-Symptome, die ihr ab 1925 das Schreiben und Malen erschwerten.

Ihre große Stütze war die seit 1915 verwitwete Olga Zanders, die sie bald auf Reisen begleitete und mit der sie zärtliche Briefe austauschte. Bei den Familienfesten der Zanders war Altenkirch ebenso an ihrer Seite wie später in der Unternehmensführung. Die beiden Frauen wohnten 1935 in der Theresienstraße in Lindenthal. 1938 verließ Alexe Altenkirch Köln und zog zu ihrer Schwester Else, wo sie am 25. September 1943 starb und beigesetzt wurde. Der Kontakt zu Olga blieb bis zu ihrem Tod.

Was ist aus ihren Ideen geworden?

Von ihrem Einsatz als Frauenrechtlerin profitierte der Kölner FrauenKlub, den sie mitbegründete, sowie die Nationale Frauengemeinschaft und der Verein weiblicher Angestellter. Als Mitbegründerin engagierte sie sich auch aktiv in der GEDOK, dem europaweit größten Netzwerk für Künstlerinnen.

Das Werk von Altenkirch besitzt eine große stilistische Vielfalt. Früh liebte sie schon den Impressionismus, dann vor allem den Jugendstil, schließlich die neue Sachlichkeit. Sie hat jedoch nur wenige ihrer Werke signiert und zeigte kaum Interesse an Ausstellungen ihrer Gemälde. Vieles findet sich im Besitz der Stiftung Zanders: Margarete, die älteste Tochter von Olga und Hans Zanders, war eine leidenschaftliche Sammlerin der Objekte und organisierte 1976 in der ehemaligen Villa Zanders eine erste Ausstellung von Altenkirchs Werken und würdigte sie im Rheinisch- Bergischen Kalender unter dem Titel „Alexe Altenkirch: Malerin, Werbegrafikerin und Pädagogin – Eine Frau prägte die frühe Industriewerbung zur Zeit des Jugendstils“.

Was bleibt von ihr?

Seit 1998 ist in Bilderstöckchen eine Straße nach ihr benannt. Ein Schreiben des Vorstandes der GEDOK an Olga Zanders 1943 betont: „Alexes geistiger Reichtum ist unzerstörbar in uns und ihre Liebeskraft wirkt in uns, und je mehr wir uns irdisch von ihr entfernen müssen, je stärker tritt die Gesamterscheinung von allen Zufälligkeiten befreit zu uns.“ Prof. Dr. Heijo Klein, Kunsthistoriker an der Universität Bonn, sieht Alexe Altenkirch vor allem im Bereich der Grafik „auf der Höhe der Zeit, was der internationale Erfolg ihrer Werbung beweist. Ihre geometrisierende Sachlichkeit war einzigartig.“


Lebenslauf von Alexe Altenkirch

5.7. 1871           Geburt in Bad Kreuznach, Eltern Carl August und Maria Gabriele Altenkirch

1888 – 1895     Besuch der Königlichen Zeichenakademie in Hanau, später Studium an der Damenakademie in München

1895 – 1900     Studium der Aktmalerei an der Acadèmie Julian in Paris, anschließend Aufenthalt in Nizza

1900 - 1902       Eröffnung eines Ateliers in Karlsruhe

1903 - 1909       Lehrtätigkeit in dem vom Mathilde von Mevissen gegründeten Cölner Mädchengymnasium am Apostelnkloster

1906 – 1932     „Reklame-Leiterin“ bei der Papierfabrik J.W. Zanders

1907 – 1932     Dozentin an der Kölner Kunstgewerbeschule, später Kölner Werkschulen

1911 - 1938       „Atelier für freie und angewandte Kunst“ auf dem Hohenzollernring 48

25.9. 1943         Tod in Bad Kreuznach am 25. September

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