Veedels-CheckSeeberg im Kölner Norden – das dreigeteilte Veedel

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Das Kölner Veedel Seeberg hat viel Grün zu bieten. 

Köln-Seeberg – „Seeberg ist nicht Seeberg. Seeberg ist eigentlich Heimersdorf und Chorweiler.“ Diese Erkenntnis steht für Walter Finger unumstößlich fest, nachdem er sich für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ stundenlang durch alte Fotos, Zeitungsartikel, Bauzeichnungen, Tabellen und Karten gewühlt hat, die die Entstehung seines Stadtteils dokumentieren. Immer wieder läuft der Rentner von seinem schattigen Platz im Garten zurück zur Bücherwand im Wohnzimmer und holt weitere Unterlagen heraus, die seine Frau am Ende des Sonntagnachmittags geduldig wieder einsortieren wird. Aus Sicht des 78-Jährigen ist Seeberg-Süd kulturell, architektonisch und sozial als Teil des benachbarten Veedels Heimersdorf zu verstehen, Seeberg-Nord orientiere sich dagegen eher in Richtung Chorweiler.

Getrennt werden die beiden Teile des 1,78 Quadratkilometer umfassenden Stadtteils von einem großen, grünen Park mit altem Baumbestand. Dieser hat dem Viertel auch den fünften Platz bei den meisten Grünflächen im Veedels-Check beschert. Und natürlich der Fühlinger See, der zwar streng genommen zu Fühlingen zählt, für die Seeberger aber gefühlt ihr See ist. Die Einfahrt zum beliebten Strandbad „Blackfoot Beach“ liegt direkt auf der anderen Seite der B9.

Finger war schon 1966 beim ersten Spatenstich der südlichen Siedlung dabei. Er war damals Abteilungsleiter in einer Werbeagentur mit Sitz in der Innenstadt und erfüllte sich im Alter von gerade einmal 26 Jahren den Wunsch vom Eigenheim.

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Die Sankt-Markus-Kirche in Seeberg

Ein- und zweistöckige Bungalows sind damals genau wie in Heimersdorf als Teil des städtebaulichen Plans „Neue Stadt“ entstanden. Die Idee dieser eigenen kleinen Stadt nördlich von Köln stammte schon aus den 1920er Jahren und sollte ursprünglich 100 000 Menschen ein Zuhause bieten. In der nächsten Phase kamen nach Heimersdorf und Seeberg-Süd Chorweiler und Seeberg-Nord mit seinen Hochhäusern dazu. Als letzter Teil entstand Blumenberg, in den nächsten Jahren soll die Siedlung mit Kreuzfeld ihren Abschluss finden. Älter als die anderen Teile Seebergs ist Alt-Seeberg, das schon Ende der 1950er Jahre entstand. Hier stehen heute noch vorwiegend Einfamilienhäuser, die von großen Grundstücken mit Gemüsegärten umgeben sind.

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Finger erinnert sich an die 70er und 80er Jahre. Die katholische Gemeinde war riesig, bis zu 300 Kommunionkinder waren es pro Jahr. „Wir haben einmal zu den kinderreichsten Stadtteilen Deutschlands gehört.“ In den vergangenen Jahren waren es manchmal nur noch 25 Kommunionkinder. Das Viertel hat sich verändert, das kleine Seeberger Einkaufszentrum am Geranienhof mit Friseur, Schuster, Bäcker und Restaurant ist ziemlich ausgestorben, nur ein Kiosk, eine Pizzeria und zwei Kitas sind im Moment vor Ort. „In Seeberg lässt es sich wunderbar leben, aber zum Einkaufen brauchen wir die Infrastruktur von Chorweiler und Heimersdorf“, sagt Finger, der inzwischen die Reporterin des „Kölner Stadt-Anzeiger“ durch den Stadtteil führt und den menschenleeren Platz betrachtet.

Vorschläge in der Bezirksvertretung, wie der Geranienhof wieder belebt werden könnte, werden immer wieder vorgebracht, aber bislang nicht umgesetzt. Die Sankt-Markus-Kirche läutet zwar noch katholisch, ist seit 2001 aber an die griechisch-orthodoxe Gemeinde vermietet.

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Walter Finger im nun weitgehend leerstehenden Einkaufszentrum in Seeberg

Die Veränderungen sieht Finger nicht nur negativ. Schließlich ist Seeberg bunter und vielfältiger geworden. Die Einwohnerzahl ist in den vergangenen Jahren ziemlich konstant geblieben und viele Kinder gibt es unter den knapp 11 500 Bewohnern immer noch. 120 Nationen leben im benachbarten Chorweiler und in Seeberg-Nord im Großen und Ganzen friedlich zusammen.

So sieht auch der Seeberger Karl-Josef Munkler das Leben im Kölner Norden. Er ärgert sich über das schlechte Image, das Chorweiler immer noch hat und auf die Nachbarveedel überträgt. Der 73-jährige Pensionär leitet seit etwa einem Jahr den interkulturellen Treff des Deutsch-Türkischen Nachbarschaftsvereins DTVK in Seeberg-Nord. Munkler bringt zu jedem Treffen ein Thema mit und will erreichen, dass die Teilnehmer ins Gespräch kommen. Zum Beispiel über die drei Weltreligionen und ihren jeweiligen Anspruch, die einzig richtige zu sein.

Das klappt nicht immer gut. „Grundsätzlich sind Frauen viel interessierter an den inhaltlichen Gesprächen und einem Austausch“, stellt Munkler fest. Selbst wenn sie sich in der großen Runde nicht trauen, etwas zu sagen, wenden sie sich nach dem Treffen an ihn persönlich. Bei den Männern sei die ideologische Vorprägung oft stärker und der Wunsch, sich in andere hineinzuversetzen, geringer. Aber egal: Die Hauptsache für ein harmonisches Zusammenleben sei eben erstmal das Gespräch, findet Munkler.

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In den 1960er Jahren entstand die Siedlung Seeberg-Süd.

Der Nachbarschafts-Treff findet in den Räumen neben dem Second-Hand-Laden Fundus statt, im Innenhof der großen Wohn-Anlage an der Zörgiebelstraße, die der Architekt Gottfried Böhm entworfen hat. Der Wohnblock sollte exemplarisch für modernen Städtebau stehen und war als gehobene Wohngegend konzipiert. Wo heute Fundus ist, war ursprünglich ein Hallenbad vorgesehen. Das nie genutzte Becken im Keller ist schon lange zubetoniert. Oben erinnern etwa die abschüssige Rampe, die Betonpfeiler und der Zuschnitt der Fenster an die einstige Planung.

Der Laden ist ein Ort, an dem vor allem die weiblichen Bewohnerinnen des Veedels zusammenkommen, um Kleidung, Haushaltswaren und Bücher zu kaufen. Die etwa 20 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen des Vereins stammen ebenfalls fast alle aus der Nachbarschaft. „Wir wollten Beschäftigungsmöglichkeiten besonders für Frauen schaffen“, berichtet Fundus-Vorstandsmitglied Wolfgang Kleinjans. Viele sind nach dem Sprachkurs im Interkulturellen Zentrum in den Laden gekommen, um ihre frisch erworbenen Deutschkenntnisse gleich anwenden zu können. „Gewinne machen wir mit unserem Laden nicht, aber er ist eine große Bereicherung für Seeberg.“

Die zu verkaufenden Waren werden gespendet, nicht selten stammen sie aus dem „gut-bürgerlichen“ Teil des Stadtteils. Und so gehören die so unterschiedlichen Teile Seebergs wohl doch irgendwie zusammen. Schließlich ist ein Park keine eigentliche Grenze, sondern ein Treffpunkt. Und Seeberg hat vielleicht etwas, das vielen anderen Vierteln sowohl im Norden als auch im Süden der Stadt fehlt: eine gute kulturelle und soziale Durchmischung.

Die Geschichte von Seeberg

Seeberg setzt sich im Grunde aus drei verschiedenen Teilen zusammen, die von einer ehemaligen Rheinsenke getrennt werden: Alt-Seeberg aus den 1950er Jahren, Seeberg-Süd, erbaut Mitte der 1960er Jahre, und Seeberg-Nord, das an Chorweiler anschließt. Als Grenze gelten die Willi-Suth-Allee und die Merianstraße. Unterscheiden lassen sich die Teile nicht nur anhand des Baustils, sondern auch der Straßennamen: Die Bewohner des südlichen Teils geben als Adresse Büsche wie Lavendel oder Forsythien an, im Norden sind die Straßen nach Blumen benannt. Im Südwesten werden bekannte Kölner Persönlichkeiten wie der ehemalige Polizeipräsident Karl Zörgiebel und der Architekt Wilhelm Riphahn mit einem Straßennamen geehrt.

Kein Berg mehr am See

Das „See“ in Seeberg hat natürlich etwas mit der Nähe zum Fühlinger See zu tun. Der zweite Teil des Namens nimmt Bezug auf den Stallagsberg, eine kleine Erhöhung westlich des Stadtteils, die aber mit dem Kiesabbau rund um den See längst fortgebaggert wurde. Der heutige Hügel entlang der B9 wurde Anfang der 70er Jahre als Lärmschutz künstlich angelegt. Der Kölner Stadtrat stimmte dem Namen am 30. April 1964 zu.

Die Baustellen von Seeberg

Viele Einwohner bemängeln, dass in Seeberg einfach zu wenig los ist. So seien sowohl Seeberg-Süd als auch Seeberg-Nord mittlerweile Schlafstädte mit wenig Geschäften und Cafés. Am ehemaligen Einkaufszentrum Geranienhof in Seeberg-Süd zum Beispiel gibt es lediglich noch eine Pizzeria und einen Kiosk.

Um der Leere entgegenzuwirken, hat SPD-Politikerin Eike Danke, stellvertretende Bezirksbürgermeisterin von Chorweiler und Vorsitzende der SPD Heimersdorf, Seeberg, Lindweiler, im Juni 2017 einen Runden Tisch initiiert. Mitglieder sind der Deutsch-Türkische Verein DTVK, die alevitische, die katholische und die griechisch-orthodoxen Gemeinden, Freunde des interkulturellen Zentrums e.V., die St.-Martin-Grundschule und die Pfadfinder Seeberg. Das Ziel: Gruppen im Stadtteil vernetzen, mit Bürgern in Kontakt kommen, das Veedel neu beleben und ein Veedelsfest organisieren. Letzteres feierte im Mai diesen Jahres am Geranienhof Premiere und war laut der Veranstalter ein Erfolg.

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