Viktoria-Präsident Holger Kirsch„Köln ist keine Sportstadt! Schon gar nicht für Leistungs- und Profisport“

Lesezeit 5 Minuten
Holger Kirsch; Viktoria Köln;
3.Liga, Porträttermin 2020/2021,
20.08.2020
Herbert Bucco

Holger Kirsch ist seit Dezember 2023 Präsident des FC Viktoria Köln.

Holger Kirsch ist Leiter des Rosenmontagszugs, Architekt und seit Kurzem Präsident des FC Viktoria. Ein Interview über die Situation in Höhenberg

Herr Kirsch, Sie sind auf der Mitgliederversammlung am 12. Dezember einstimmig zum neuen Präsidenten des FC Viktoria Köln gewählt worden. Was haben Sie in jenem Moment gefühlt?

Ich habe an Frau Wernze, die Witwe unseres verstorbenen Freundes und Mäzens Franz-Josef Wernze, gedacht. Sie hatte mir vor der Wahl gesagt, dass dieser Vorstand in dieser Konstellation sehr im Sinne Ihres Mannes gewesen wäre. Das hat mir ein gutes Gefühl gegeben. Es ist eine Auszeichnung und Ehre, dass uns die Mitglieder das Vertrauen ausgesprochen haben.

Sie sind somit der dritte erste Vorsitzende seit der Neugründung des FC Viktoria im Jahr 2010. Was unterscheidet Sie von Ihren beiden Vorgängern Tobias Kollmann und Günter Pütz?

Mein Dienstgradabzeichen in der Prinzengarde Köln (lacht). Ich glaube, ich bin der rangniedrigste von uns Dreien.

Haben Sie sich bei den beiden Herren bereits erkundigt, wie ein Klub wie die Viktoria zu führen ist?

Tobias Kollmann hat seinerzeit den Wiederaufbau der Viktoria begleitet und somit seinen Anteil an der Erfolgsgeschichte. Wenn Günter Pütz von einem vermeintlichen Gönner mit leeren Händen zurückkam, dann konnten wir uns sicher sein, dass da wirklich nichts zu holen ist. Das hat mich immer beeindruckt.

Welche Themen haben Sie sich als Präsident als erstes auf die Fahne geschrieben?

Jeder Kölner ist FC-Fan, auch ich! Und das ist auch gut so. Aber in einer Millionenstadt wie Köln muss auch Platz sein für eine starke Nummer zwei – wie die Viktoria. Wir haben inzwischen einen Schnitt von fast 5000 Zuschauern, das ist eine tolle Entwicklung. Jeder, der einmal bei uns war, kommt wieder. Der Sportpark Höhenberg ist etwas für Fußballromantiker. Hier riecht es noch nach Grillwurst und Bier.

Und abseits des Fußballplatzes?

Da ist mir vor allem ein verantwortungsvoller, empathischer Umgang mit den Menschen wichtig. Dass wir in den Verträgen unserer Spieler eine Gemeinwohlklausel verankert haben, ist bei den Menschen angekommen. Die Viktoria blickt über den Tellerrand und verliert auch nicht die Menschen aus dem Auge, die eben nicht nur auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Vielleicht ist das sogar der größte Erfolg, den wir in der Vergangenheit zu verzeichnen hatten.

Sie haben nach dem Ausscheiden von Günter Pütz im vergangenen Jahr dem Verein zuletzt gemeinsam mit Franz Wunderlich und Willy Scheer vorgestanden. Warum haben gerade Sie sich als Präsidentschaftskandidat aufstellen lassen?

Ich habe mich nicht schnell genug weggedreht (lacht). Aber im Ernst: Wir waren uns im Vorstand einig, dass an dieser Stelle Konstanz zum Erfolg führt. Franz wird sich auch in Zukunft uneingeschränkt um das Sportliche kümmern. Willy Scheer ist seit Jahren eine unverzichtbare Konstante, ein wichtiger Ratgeber und Netzwerker. Er arbeitet aber lieber im Hintergrund. Ganz bewusst ergänzen wir unsere Mannschaft um Markus Buchcik. Markus ist nicht nur Fan und mit seinem Unternehmen ein wichtiger Unterstützer des Vereins, sondern wir versprechen uns durch sein wirtschaftliches Knowhow auch neue Sichtweisen auf komplexe monetäre Zusammenhänge. Ich selbst trete als Präsident diesen einen Schritt hervor, ohne aber auch nur ansatzweise das altbewehrte Team zu verlassen. Ich werde meine Verbindungen in alle Bereiche der Stadtgesellschaft in unserem Sinne nutzen.


Zur Person: Holger Kirsch (49), geboren in Porz, ist seit 12. Dezember 2023 Präsident des FC Viktoria. Zuvor war der Architekt sieben Jahre Vizepräsident. 2015 war Kirsch Prinz Karneval in Köln, seit 2020 ist der Familienvater Leiter des Kölner Rosenmontagszuges. Holger Kirsch ist verheiratet und Vater von drei Töchtern. (ol)


In Ihrem Hauptberuf sind Sie Architekt, nebenbei sind Sie Zugleiter des Kölner Rosenmontagszuges und jetzt auch noch Präsident eines Drittligisten. Wie bekommen Sie diese zeitlich aufwändigen Ämter unter einen Hut?

Meine Familie und mein wundervoller Beruf stehen immer an erster Stelle. Sicherlich ist die Funktion des Zugleiters des Kölner Rosenmontagszuges eines der wahnwitzigsten Ehrenämter in unserer Stadt, und die Jubiläumssession mit geänderter Zugwegstrecke über den Rhein hat uns alle an den Rand jeder nur erdenklichen Belastung gebracht. Wir haben im Festkomitee aber personell deutlich nachgebessert, so dass ich spürbar entlastet bin. Durch meine Tätigkeit für die Viktoria habe ich mich aber nie auch nur eine Sekunde eingeschränkt gefühlt. Im Gegenteil: Viktoria Köln ist für mich Familie, Freundschaft und Zusammenhalt.

Zuletzt hat Sportvorstand Franz Wunderlich in dieser Zeitung geäußert, dass es wohl „die schwerste Amtsperiode eines Viktoria-Vorstands seit der Neugründung wird“, Was halten Sie von dieser Einschätzung?

Der Verlust von Franz-Josef Wernze wiegt in jeder Hinsicht schwer. Aber das muss ja auch jedem klar sein. Wir hätten es uns einfach machen können: Die Erfolge der Vergangenheit nehmen wir mit und die Verantwortung übertragen wir von nun an anderen. Zu keinem Zeitpunkt war das für uns eine Option, nur das wollte Franz ausdrücken. Und keiner kann es emotionaler als er. Franz ist „Mr. Viktoria“, zu 100 Prozent!

Müssen sich die Viktoria-Fans Sorgen um den Fortbestand des Klubs machen? Vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht?

Franz-Josef Wernze hat uns ein stabiles Fundament hinterlassen, auf dem wir nun selbständig stehen, wachsen und langfristig überleben müssen. Alle künftig anstehenden Überlegungen können wir dank ihm und unserer Weitsicht aus einer äußerst gestärkten Position tätigen. Beim FC Bayern würde man sagen: „Das Festgeldkonto ist voll!“ Das dürfen auch wir aktuell behaupten. Aber natürlich müssen wir wachsam und offen sein für neue Wege, um den Verein in eine stabile Zukunft zu führen.

Was halten Sie von der Idee, einen Investor in Höhenberg zu präsentieren, ähnlich wie beim Ligakonkurrenten 1860 München? Wäre dieses Szenario bei einem familiengeführten Verein wie dem FC Viktoria darstellbar?

Der Begriff des Investors ist im Fußball leider negativ besetzt. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir nochmals einen derart selbstlosen Mäzen wie Franz-Josef Wernze finden, ist aber sicher nicht sehr groß. Grundsätzlich muss eine Familie auch immer bereit sein, neue Mitglieder aufzunehmen. Entscheidend aber ist, dass sie sich in den Familienverbund einfügen und den Familienfrieden nicht gefährden. Vielleicht liegt unsere Chance aber auch darin, uns zum Top-Ausbildungsverein zu entwickeln.

In den vergangenen Jahren wurde immer wieder von der Perspektive „Zweite Liga“ gesprochen. Ist ein Aufstieg in den kommenden Jahren noch ein realistisches Ziel?

Wir sprachen ja schon darüber: Unser Ziel ist langfristig gesetzt, dauerhaft wollen wir zu den 50 besten Klubs in Deutschland gehören. Aber natürlich wehren wir uns auch nicht gegen Erfolg. Aktuell geht es uns aber eher um Bestandswahrung.

Sie haben 2019 wesentlich am Ausbau des Sportparks Höhenberg zu einem drittligatauglichen Stadion mitgewirkt. Gibt es bereits Pläne, die Arena weiter zu vergrößern und zu verschönern?

Der Ausbau wurde ganzheitlich aus der eigenen Tasche finanziert. Das ist Wahnsinn! Jetzt ist die Stadt Köln gefordert. Wir sind zwar drittligatauglich, bewegen uns aber sicher nicht in einem drittligawürdigen Umfeld. Stand heute haben wir nicht einmal ausreichend Strom. Jede zusätzlich angeschlossene Fritteuse treibt uns Schweißperlen auf die Stirn. Für unsere Fans würde ich mir eine überdachte Stehplatztribüne wünschen. Auch den VIP-Bereich haben wir komplett aus Eigenmitteln finanziert. Sonst hätten wir überhaupt keine Vermarktungsmöglichkeiten.

Stand heute haben wir nicht einmal ausreichend Strom. Jede zusätzlich angeschlossene Fritteuse treibt uns Schweißperlen auf die Stirn
Holger Kirsch

Nach dem FC und den Haien sind wir auf sportlicher Ebene der drittgrößte Repräsentant der Stadt und alle 14 Tage kommen von überall her Menschen nach Köln, die zur Stärkung unserer Wirtschaft beitragen. Wo bleibt die Gegenleistung? Köln ist keine Sportstadt! Schon gar nicht für Leistungs- und Profisport. Das möchten wir verbessern.

Eine letzte Frage: Was sind Ihre Wünsche für das neue Jahr? Persönlich und sportlich?

Wir leben gerade in einer verrückten Zeit. Die Welt ist aus dem Gleichgewicht geraten, nichts ist mehr so, wie es war. Umso wichtiger sind vor diesem Hintergrund ein liebevolles Zuhause und familiärer Zusammenhalt. Sportlich? Wenn es um die schönste Nebensache der Welt geht, freue ich mich, wenn unsere Viktoria auch weiterhin eine sichere und kostbare Konstante darstellt, die Freude und Ablenkung vom Alltag schenkt.

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