Porträt zum 75. GeburtstagWarum Franz Beckenbauer der einzig wahre Kaiser ist
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München: Der von deutschen Sportjournalisten zum "Fußballer des Jahres 1976" gewählte Mannschaftskapitän des FC Bayern München, Franz Beckenbauer, nimmt vor dem Spiel gegen Fortuna Düsseldorf den "Goldenen Ball" entgegen.
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Am Freitag wird Beckenbauer nun 75 Jahre alt. Dann werden die Schlagzeilen wieder für einen Tag ihm gehören.
Und die Fans werden ihm trotz allem wieder huldigen, ihrem einzig wahren Kaiser.
Dennoch haben die letzten Jahre Kratzer im Lack der Lichtgestalt hinterlassen.
Ein Münchner Kollege, der „den Franz“ seit den 1970er Jahren als Journalist eng begleitet, erzählt immer gerne eine Anekdote aus den frühen 2000er Jahren. Ganz offiziell hatte er Franz Beckenbauer für ein Interview zum Essen eingeladen. Irgendwann stand Beckenbauer auf und ging. Der Kollege bestellte die Rechnung – doch die hatte der Kaiser längst still und heimlich bezahlt, inklusive 100 Euro Trinkgeld an die überglückliche Bedienung.
Als großmütig, freundlich, zuvorkommend, höflich wird Beckenbauer immer wieder von Lebensgefährten beschrieben. „Er ist als Mensch eine große Persönlichkeit. Alle, die mit ihm zu tun hatten und haben, schätzen seine Wertschätzung gegenüber allen Menschen“, beschrieb einst Ex-Nationalspieler Matthias Sammer den „Weltstar ohne Allüren“ (Ex-DFB-Präsident Wolfgang Niersbach). Dabei hätte gerade Beckenbauer, der Überflieger auf allen Ebenen, genügend Gründe, sich als etwas Besseres zu fühlen, abgehoben, schwebend über der Masse der Durchschnittlichen.
Begründer der einzigartigen Bayern-Dynastie im deutschen Fußball
Der ehemalige Fußballer und Fußballtrainer Franz Beckenbauer.
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Weit gekommen ist er, der kleine Franz Anton aus Obergiesing, seit er am 11. September 1945 in München das Licht der Welt erblickte. Die Ohrfeige eines Spielers von 1860 München, wo er eigentlich mit 13 Jahren hinwechseln wollte, wies ihm den Weg zum FC Bayern München. Vier Deutsche Meistertitel, vier DFB-Pokalsiege, vier Trophäen als Europapokalsieger der Pokalsieger (1) und der Landesmeister (3) sowie einen Weltpokal später steht er als das Sinnbild der frühen großen Erfolge des FC Bayern da. Als der Begründer der einzigartigen Bayern-Dynastie im deutschen Fußball.
Dass er an dieser nach seiner großen Spielerkarriere auch als Trainer und vor allem langjähriger Präsident des Clubs maßgeblichen Einfluss hatte, ist unumstritten. Noch wichtiger für die Erschaffung des Mythos Beckenbauer waren jedoch seine Leistungen mit der Nationalmannschaft.
Welt- (1974) und Europameister (72) war er, Vize-Welt- (66) und Vize-Europameister (76) auch, dazu noch einmal WM-Dritter (70). DFB-Kapitän, mit 103 Länderspielen Rekordnationalspieler (bis Lothar Matthäus kam) und natürlich auch Ehrenspielführer. Und dann war da noch die Sache mit dem Teamchef. Ohne Fußballlehrerschein wurde er 1984 Bundestrainer, zwei Jahre später war Deutschland mal wieder Vize-, 1990 dann zum dritten Mal Weltmeister. Und Beckenbauer nach dem Brasilianer Mario Zagallo erst der zweite Fußballer weltweit, der als Spieler und Trainer den WM-Pokal hochrecken durfte.
Franz Beckenbauer (r) und der Niederländer Johan Cruyff in Aktion beim Fußballweltmeisterschafts-Finale Deutschland gegen Niederlande.
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Legendenbildung der „Lichtgestalt“
Auch sein stiller Marsch damals, in Gedanken verloren, demütig über den Rasen des Olympiastadions von Rom trug zur Legendenbildung der „Lichtgestalt“ des deutschen Fußballs bei. Er ist der Mann, der alles, was er anfasst, zu Gold macht. Der Mann, der sogar mit einem auf einem Weißbierglas liegenden Ball die Torwand trifft. Und der Mann, der 2006 die WM nach Deutschland holte und fünf Wochen lang die Sonne scheinen ließ (obwohl er dafür wohl nicht wirklich etwas konnte).
Das Sommermärchen war sicherlich Beckenbauers größte Leistung, auch wenn im Nachhinein viele Schatten über der Art und Weise liegen, wie es zum Stimmenfang unter den Fifa-Exekutivmitgliedern gekommen ist. Deutschland präsentierte sich der Welt als offenes, gastfreundliches Land, die Deutschen lernten sich selbst neu kennen, erfanden „Rundelgucken“ (Public Viewing) und Fähnchen schwenken. Und dank Jürgen Klinsmann und Jogi Löw verwandelte sich die Nationalmannschaft von „Rumpelfüßlern“ (Beckenbauer) zu einer der attraktivsten und erfolgreichsten Mannschaften der vergangenen 20 Jahre.
Beckenbauer, der mit dem Hubschrauber über Deutschland schwebend, bei 46 der 64 WM-Spiele im Stadion war und zuvor dutzende Länder weltweit zur Werbung für die deutsche WM besucht hatte, wurde zu einem der wichtigsten Diplomaten des Landes. Und wahrscheinlich zum beliebtesten Deutschen.
Daran konnten lange Zeit auch seine gelegentlichen Eskapaden nichts ändern. Sein Wechsel in die „Operettenliga“ in die USA zu Cosmos New York 1977, weshalb ihn Bundestrainer Helmut Schön aus der Nationalelf warf. Sein uneheliches Kind mit seiner Sekretärin (und heutigen Ehefrau), angeblich während einer Weihnachtsfeier des FC Bayern gezeugt („der liebe Gott liebt jedes Kind“). Seine Umzüge in die Schweiz und nach Österreich, um die hohen Steuern in Deutschland zu umgehen. Seine gelegentlich verwirrenden Aussagen zu politischen Themen („ich habe noch nicht einen Sklaven in Katar gesehen“). All das haben ihm die Fans immer wieder verziehen. Auch dass er gerne in die eine Kamera dies und die andere das komplette Gegenteil erzählte, spielte nie eine Rolle. So ist er halt, der Franz. Zumal Beckenbauer lange Zeit omnipräsent war. Als Kolumnist der „Bild“, als Experte bei Premiere/Sky, als Rekordgast (57 Auftritte) im „aktuellen Sportstudio“ des ZDF. Und doch immer so nah und zuvorkommend, nie einen Selfie- oder Autogrammwunsch eines Fans ablehnend.
Doch seit ein paar Jahren ist alles anders. Beckenbauer hat sich zurückgezogen, nur selten tritt er noch öffentlich auf. Sein Gesundheitszustand ist daran mit Schuld. Zwei Herzoperationen und einen Augeninfarkt hat er hinter sich. Der Tod seines drittgeborenen Sohnes Stephan mit nur 46 Jahren an einem Hirntumor hat ihn zudem schwer mitgenommen. Und dann der Skandal um das Sommermärchen, der viele Kratzer im strahlenden Lack der Lichtgestalt hinterlassen hat. Juristisch ist er aus der Geschichte raus, die Anklage musste wegen Verjährung fallengelassen werden. Doch unschuldig ist er in den Augen der Öffentlichkeit deshalb nicht. „Was da alles war in den letzten Jahren. Mit all den Operationen und auch mit der Geschichte 2006. Das hat mich schon sehr mitgenommen“, sagte Beckenbauer diese Woche der „Bild“-Zeitung.
Am Freitag wird Beckenbauer nun 75 Jahre alt. Dann werden die Schlagzeilen wieder für einen Tag ihm gehören. Und die Fans werden ihm trotz allem wieder huldigen, ihrem einzig wahren Kaiser.