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Countdown zur Apokalypse?Deshalb haben Forscher die Weltuntergangs-Uhr eingeführt

Lesezeit 4 Minuten
Washington: Die Weltuntergangsuhr des Bulletin of the Atomic Scientists, eingestellt auf 89 Sekunden vor Mitternacht

Washington: Die Weltuntergangsuhr des Bulletin of the Atomic Scientists, eingestellt auf 89 Sekunden vor Mitternacht

Mit der „Weltuntergangsuhr“ warnen Forscher Jahr für Jahr vor dem Ende der Menschheit. Das wirkt meist recht alarmistisch, hat aber Gründe, die bis in den Zweiten Weltkrieg zurückreichen.

Dass der Start ins neue Jahr gegen Ende Januar oft einen deprimierenden Beigeschmack bekommt, hat Tradition. In diesem Monat wird öffentlichkeitswirksam an der „Weltuntergangsuhr“ gedreht. Und in den letzten Jahren tickte sie immer näher in Richtung Apokalypse. Derzeit steht sie auf 89 Sekunden vor Zwölf; so spät wie nie zuvor. Diese Mahnung an die Menschheit gibt es seit 1947, ihre Wurzeln liegen aber bereits im Zweiten Weltkrieg. Und auch im schlechten Gewissen einiger Forscher. Hinter der Uhr steht die Nichtregierungsorganisation „Bulletin of the Atomic Scientists“, Herausgeber des gleichnamigen, zweimonatlich erscheinenden Magazins. Die Gründer waren Atomforscher an der Uni Chicago, und ihre selbstauferlegte Mission lautete, die Menschheit über die „fürchterlichen Auswirkungen von nuklearen Waffen und die Konsequenzen ihrer Nutzung“ aufzuklären. Sie wussten, wovon sie redeten – denn sie hatten mitgeholfen, die Bombe zu bauen.

Seit 1947 auf jeder Titelseite: der aktuelle Stand der Uhr

Zu den Initiatoren zählten unter anderem Albert Einstein und J. Robert Oppenheimer. Während Oppenheimer als leitender Wissenschaftler des „Manhattan Projects“ heute als „Vater der Atombombe“ gilt, war Einstein zwar nicht direkt in die Entwicklung der Waffe involviert, weil er keine Sicherheitsfreigabe erhielt. Er hatte allerdings bereits 1939 einen Brief unterschrieben, den er später bitter bereute: Anfang August, noch vor dem deutschen Überfall auf Polen, wies er gemeinsam mit seinem Physikerkollegen Leó Szilárd den US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt auf die Möglichkeit hin, das Prinzip der Kernspaltung für eine Waffe zu nutzen. Einstein forderte den Präsidenten auf, die US-Atomwissenschaft zu unterstützen, weil Physiker in NS-Deutschland ebenfalls Forschungen zur Kernspaltung vorantrieben. Zwischen den Zeilen ist herauszulesen: Wird nichts unternommen, könnten die Nazis eine solche Bombe früher haben als die USA. Das „Manhattan Project“ begann zwar erst 1942, gedanklich war es aber wohl schon mit diesem Brief geboren. Hätte er gewusst, dass die Deutschen keine Bombe zustande bringen würden, hätte er stillgehalten, sagte Einstein später. Nachdem Anfang August 1945 Atombomben Hiroshima und Nagasaki zerstört und Hunderttausende Menschen getötet hatten, gründeten die früheren „Manhattan Project“-Physiker Eugene Rabinowitch, Hyman H. Goldsmith und John Alexander Simpson wenige Wochen später die „Atomic Scientists of Chicago“, den Vorläufer des „Bulletin“.

Welt über die Gefahren aufklären

Der 1933 aus Deutschland geflohene Rabinowitch hatte bereits im Juni 1945 zu den Unterzeichnern eines Briefs gezählt, in dem Präsident Harry S. Truman dringend davon abgeraten wird, die Bombe gegen bewohnte Gebiete einzusetzen. Dieses Schreiben hatte offensichtlich weniger Eindruck gemacht als Einsteins Brief. Nachdem die Bombe nun in der Welt war, schrieben sich die Physiker auf die Fahnen, die Welt über die Gefahren der Technologie und die Notwendigkeit der Rüstungskontrolle aufzuklären. Um diese Gefahr zu visualisieren, wurde die Weltuntergangsuhr aus der Taufe gehoben: Sie zierte das Titelblatt der ersten Magazinausgabe des „Bulletin“ 1947 und findet sich bis heute auf jedem Cover. Auch Einstein, Szilárd und Oppenheimer trugen, neben vielen weiteren Forschern, zu dem Magazin bei. Zu den Sponsoren der NGO zählten nach eigenen Angaben im Lauf der Zeit insgesamt 40 Nobelpreisträger – und mit Stephen Hawking auch der prominenteste Vertreter der Physikerzunft. Entsprechend der Genese als Warnsignal vor der Atombombe war das Stellen der Uhr lange Zeit vor allem vom internationalen Konflikten geprägt – wurde sie ausnahmsweise mal zurückgedreht, dann meist aufgrund von Abkommen zur Rüstungsbegrenzung. In den Jahren der Wendezeit zwischen 1988 und 1991 waren es insgesamt satte 17 Minuten. Da mittlerweile neben Konflikten wie dem Nahost- und dem Ukraine-Krieg auch der Klimawandel oder etwa auch mögliche Risiken von Künstlicher Intelligenz eine wichtige Rolle für den meist dystopischen Ausblick der Forscher spielen, steht sie nun aber auf ihrem Rekordwert.

Die erste Uhr stand auf Sieben vor Zwölf – aus optischen Gründen

Den, könnte man meinen, hätte sie eigentlich schon zu Zeiten der Kuba-Krise 1962 erreicht haben müssen, als die Welt tatsächlich am Rande eines Atomkriegs zu stehen schien. Die Weltuntergangsuhr blieb allerdings auf ihrem Vorjahresstand von sieben Minuten vor Zwölf. Denn zum nächsten Stichtag im Januar 1963 war die Krise bereits wieder vorbei. Lange blieb die Einstellung der Uhr in den Händen der „Bulletin“-Macher. Seit 2008 übernimmt ein unabhängiges Gremium, das Science and Security Board, die „Zeitumstellung“. Neben Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen gehören ihm ein Ex-Militär und der frühere kalifornische Gouverneur Jerry Brown an. Dass die Uhr in der ersten Ausgabe von 1947 übrigens auf sieben Minuten vor Zwölf stand und nicht, was viel symbolkräftiger gewesen wäre, auf Fünf vor Zwölf, hat nichts damit zu tun, dass man die weltpolitische Lage damals etwa als vergleichsweise entspannter angesehen hätte. Der Grund ist viel schnöder: Die Designerin der Titelseite befand, dass der Zeiger so besser aussah.