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Interview

Hochstapler Hendrik Holt
„Ich war ein sehr helles Licht mit einer gewissen Strahlkraft“

Lesezeit 9 Minuten
Der Hochstapler Hendrik Holt

Der Hochstapler Hendrik Holt im Gespräch über Vergangenheit und Zukunft

Hendrik Holt wurde bekannt als der Hochstapler mit dem Einstecktuch, der internationalen Energiekonzernen frei erfundene Windparkprojekte andrehte. Vor fünf Jahren wurde er im Luxushotel Adlon festgenommen. Unsere Redaktion hat ihn jetzt in Berlin zum Gespräch getroffen.

Ein sonniger Freitagnachmittag in Berlin. Treffpunkt ist das „Kaiserliche Postamt“ im Stadtteil Zehlendorf unweit der Justizvollzugsanstalt Düppel. Hendrik Holt wird im Mini-Cooper vorgefahren; nicht in einem teuren Bentley, was dereinst seine bevorzugte Automarke war. Es hat sich einiges geändert im Leben des früheren Windkraftwunderkindes seit jenem frühen Morgen im April vor fünf Jahren.

Polizisten hatten sein Bett im Luxushotel Adlon umstellt. Dort residierte der vermeintlich erfolgreiche Unternehmer zuletzt bei seinen Deutschlandaufenthalten. Aus. Vorbei. Festnahme.

Damit einher ging der Zusammenbruch eines Kartenhauses, das der damals gerade einmal 30 Jahre alte Holt gemeinsam mit weiteren Familienmitgliedern aufgebaut hatte. Die Holts verkauften weitgehend erfundene Windparkprojekte an internationale Energiekonzerne und kassierten dafür Millionenbeträge. Mit dem Geld finanzierten die Betrüger ein Luxusleben inklusive Bentley-Fuhrpark.

Fünf Jahre und mehrere Verurteilungen später darf Hendrik Holt das Gefängnis phasenweise verlassen. Im „Kaiserlichen Postamt“, in dem schon lange keine Briefe mehr sortiert werden, wird es in den kommenden 60 Minuten darum gehen, was war, was ist und was sein wird. Am Ende steht aber vor allem eine Frage im Raum: Wer ist dieser Hendrik Holt, den die Welt als Hochstapler mit dem Einstecktuch kennengelernt hat, eigentlich wirklich?

Das kleine, aber gleichsam markante Kleidungsstück steckt auch für dieses Gespräch im Jackett –natürlich! Dazu Manschettenknöpfe an den Hemdsärmeln, der Siegelring am Finger und eine teure Uhr am Handgelenk, laut Holt eine Patek Philippe. Sein eigentümliches Auftreten sei keine Verkleidung, dieser Hendrik Holt sei keine Kunstfigur. „Das bin ich“, sagt Holt. Ein Auszug aus dem Gespräch.

Ihre Verbrechen sind auf alle Zeit mit Ihrem Namen verbunden...

...das muss nicht unbedingt negativ sein. Die heutige Zeit ist sehr verzeihlich und mag Persönlichkeiten wie mich. Das polarisiert und zieht Aufmerksamkeit auf sich, was mir nie missfallen hat. Das ist nichts, was mich stört. Ganz im Gegenteil. Niemand hat zu mir gesagt: Das ist ja ganz furchtbar, was du da gemacht hast.

Charakterisieren Sie sich doch einmal selbst.

Ich bin sicher ein strategischer Mensch. Und auch jemand, der seinen Willen und seine Ideen umsetzt.

In den Jahren vor der Festnahme haben Sie diese Talente nicht zum Guten genutzt.

Genau. Das muss man sehen. Da hat ein Denkwandel eingesetzt. Heute bin ich, was viele Dinge angeht, wesentlich entspannter. Ich glaube, ich kann meine Fähigkeiten auch einsetzen, um Besseres zu bewirken.

Bereuen Sie, was Sie gemacht haben?

Ganz klar. Die Auswirkungen auf das private Umfeld und die Spannungen, die es da gibt, und die emotionalen Schäden, die da angerichtet werden, das sind Dinge, die einem vorher nicht klar sind. Das erkennt man erst, wenn man durch diese Situation geht.

Hendrik Richard Holt wurde 1990 in der Kleinstadt Haselünne im Landkreis Emsland in eine Unternehmerfamilie hineingeboren. Das vom Vater geführte Bauunternehmen ging insolvent. Ein Makel, der an der Familie haftete. Diesen Part der Familiengeschichte sollte der Sohn später aussparen, als es darum ging, den Aufstieg seiner eigenen Unternehmungen in Werbetexten auszuschmücken.

Darin klang es so, als sei er der Thronfolger einer Dynastie von regionaler Relevanz, die er auf die wirtschaftliche Weltbühne gehievt hat. Er, Hendrik Richard Holt, das Windkraftwunderkind aus dem Emsland.

Mit seiner Heimat hadert der mittlerweile 35-Jährige, der in seiner Zeit im Gefängnis heiratete und Vater wurde, bis heute. Nein, die Pleite des elterlichen Betriebes sei keine Kränkung und kein Antrieb gewesen, es allen zu zeigen, sagt Holt. Er sei der Region „unternehmerisch entwichen“, wie er es formuliert. Er habe nicht hineingepasst „in den Verein“ als jemand, der weder Fußball spielte noch gern aufs Schützenfest ging.

Noch mal zurück ins Emsland: Inwieweit war die Kränkung in Form der Insolvenz der Firma Ihres Vaters eine Motivation, es den Leuten doch noch einmal zu zeigen?

Ich habe sehr früh erkannt, dass man es denen nicht zeigen kann. Weil, selbst wenn ich etwas gezeigt hätte, hätte man das vor Ort gar nicht gesehen. Jungen Leuten wird da Erfolg abgesprochen. Ich habe noch nie gehört, dass jemand im Emsland sagt: Das ist ja toll, der ist 20 Jahre alt und hat eine Million verdient. Was ich legal hatte zu der Zeit. In Berlin ist das cool. Da sagen die Leute: Endlich mal jemand, der was kann! Im Emsland heißt es gleich: Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen.

Ging es dann bei der Holt Holding ab einem gewissen Zeitpunkt allerdings auch nicht mehr. Statt auf ehrliche Art und Weise durch das Putzen von Klinken Flächen für Windparks zu sichern, begannen die Holts damit, Unterschriften von Grundstückseigentümern zu fälschen – im ganz großen Stil. Von Bauern, von Bürgermeistern, von Pastoren, selbst von Toten. Für Dr. Holt, der Titel war erschwindelt, schien nichts unmöglich.

Die Holt-Bande richtete eine Art Fälscherwerkstatt in Osnabrück in Sichtweite der Staatsanwaltschaft ein, in der sie die Dokumente für die vermeintlichen Windparkprojekte erstellte. Die fantastisch anmutenden Pakete verkauften sie für Millionenbeträge an drei internationale Energiekonzerne, die auf den Schwindel hereinfielen. Holt sagt: „Es wurde alles gekauft, was ich angeboten habe. Alles.“

Man kann Ihnen sicher viel vorwerfen, aber nicht, dass nicht gearbeitet wurde. Es war vielleicht keine ehrliche, aber harte Arbeit...

Genau, wir waren immer sehr fleißig. Akribisch und fleißig.

Nun ja, die Akribie würde ich infrage stellen, vor dem Hintergrund, dass auch Unterschriften von Toten gefälscht wurden. Wäre es möglich gewesen, das System noch länger aufrechtzuerhalten?

Wir hatten durchaus Bestrebungen, Projekte zurückzukaufen. Das ist uns im Prozess zwar abgesprochen worden, aber das gab es. Wir haben erkannt, wo wir uns da hinein manövriert haben. Die Frage ist doch: Hätte man das Schiff noch anhalten können? Das frage ich mich bis heute.

So ganz scheinen Sie nicht mit dem Prozess und dem Urteil abgeschlossen zu haben. Ich spüre eine gewisse Unzufriedenheit mit dem Ausgang...

Ach, wenn man da anfängt, wird es fast philosophisch. Man muss das hinnehmen. Man muss auch daraus lernen, dass, wenn Fehler passieren, nicht mehr differenziert wird. Das war auch durch die Staatsanwaltschaft so geprägt und geprägt vom Verfolgungsinteresse, das ich höher einschätze, als dass es der Region entsprungen ist. Da war einfach ein vorgefertigtes Bild da. Und da wollte man jemanden aufhängen. Das ist dann am Ende auch gemacht worden. Eine Sache ist ganz klar: Ich war verurteilt, bevor der Prozess begonnen hat.

Wer soll denn ein politisches Interesse gehabt haben?

Das will ich nicht so konkretisieren.

Aus der Sicht von Hendrik Holt scheint nicht denkbar, was tatsächlich war: Er stolperte nicht aufgrund des Wirkens einer höheren Macht, sondern wegen einer aufmerksamen Kommunalbeamtin aus Niedersachsen. Sie entdeckte eine gefälschte Unterschrift von sich und erstattete Anzeige. Der Anfang vom Ende der Holt“schen Erfolgssaga.

Die Staatsanwaltschaft Osnabrück übernahm die Ermittlungen, die in der Festnahme im Adlon gipfelten. Aus dem Windkraftwunderkind Holt wurde in diesem Moment in der Öffentlichkeit der Hochstapler. Eine Zuschreibung, die Holt bis heute verfolgt: „Das ist völlig absurd! Das sagt auch mein unternehmerisches Umfeld. Die sagen: Du bist vieles, aber kein Hochstapler.“

Der Fall jedenfalls war tief. Traf er vor seiner Festnahme noch hochrangige Politiker, darunter sogar Präsidenten wie den von Aserbaidschan oder den von Simbabwe, war damit abrupt Schluss. Keine teuren Sausen mehr in der „Brandenburger Suite“ im Adlon, bei denen es sich Bundestagsabgeordnete nachweislich gut gehen ließen bei teurem Wein – bezahlt von Holt.

Keine Teilnahme mehr an der Münchner Sicherheitskonferenz, wo er samt Einstecktuch wie selbstverständlich zwischen den wichtigsten Menschen dieses Planeten saß. So als könnte er mit seinem Geschäftsmodell die Probleme dieser Zeit lösen.

Es gab auch eine erstaunliche Anzahl von Leuten, die Ihre Nähe gesucht haben, oder vielleicht eher zu Ihrem Lebensstil.

Die Fliegen suchen das Licht.

Sie waren ein sehr helles Licht?

Ja, ein helles Licht. Mit einer gewissen Strahlkraft. Man hat das als Menschenfänger bezeichnet. Aber das ist der gute Vertriebler immer, er muss es sein. Sie können niemanden Vertrieb machen lassen, mit dem niemand am Tisch sitzen will. Ich hatte zwei Erkenntnisse. A): Die Menschen sind dafür empfänglich. Und B:) Jeder kocht nur mit Wasser.

Holt fühlt sich verkannt, falsch verstanden und auch ungerecht behandelt. Über seine – in Ansätzen vorhandenen – seriösen Geschäftstätigkeiten sei hinweggegangen worden in der Öffentlichkeit. Auch die Tatsache, dass er die größten Energiekonzerne Europas foppte, wurde ihm bislang nicht ausreichend gewürdigt.

Er bezweifelt, dass dort niemand etwas von dem Betrug mitbekommen haben will: „Wir reden von der Konzernelite Europas. Das war nicht die kleine Großmutter. Die haben also nichts gewusst? Das soll man glauben? Ein 25-jähriger Hendrik Holt schafft es im Alleingang, die größten Energiekonzerne Europas an der Nase herumzuführen? Das glaubt doch keiner! Ich zumindest nicht.“

Angeklagt wurde indes nur die Holt-Bande. Nur ihr konnten strafbare Handlungen nachgewiesen werden. Auch wenn der Prozess tatsächlich eine unglaubliche Leichtfertigkeit auf Konzernseite offenlegte. Holt spricht von einem „Verfolgungswahn“ der Gegenseite.

Sie sehen sich also auch als Opfer?

Ein Stück weit schon. Wenn Sie der gesamten Staatsmacht ausgesetzt sind, dann fragt man sich, ob die Verhältnismäßigkeit die richtige ist. Sie bekommen ja nicht die Möglichkeit, sich zu wehren. Hätte man mir die Möglichkeit eingeräumt, mich auf Augenhöhe auf diesen Prozess vorzubereiten, dann bin ich sicher, hätten wir so ein Ergebnis nicht gesehen. Ich war vorher verurteilt. Für uns war klar, und das war uns auch als Familie klar: Wir gehen diesen Weg zu Gericht nicht mit einem ergebnisoffenen Ausgang. Die Frage war nur: wie viel? Die Stimmung war...das war wirklich Kriegsmodus.

Was Hendrik Holt zweifelsohne hat, ist seine ziemlich unglaubliche Geschichte, aus der sich Kapital schlagen ließe. Eine TV-Dokumentation über ihn ist derzeit in Arbeit. Auch ein Buch will er geschrieben haben. Was darin wird Wahrheit sein? Was Dichtung? Die Grenzen sind fließend in der Geschichte des Hendrik Holt.

Jedenfalls scheint er bemüht darum, wieder Kontrolle über seine Erzählung zu bekommen, im Großen wie im Kleinen. So wie früher, als er seine sensationell anmutenden, tatsächlich aber teilweise erlogenen Erfolge in Pressemitteilungen feiern ließ. Einige Tage nach dem Gespräch in Berlin meldet er sich noch mal per Telefon aus dem Gefängnis, um auf etwas hinzuweisen: In dem Wikipedia-Eintrag über ihn heiße es, eine Firma in Andorra sei liquidiert. Das stimme nicht. Irgendjemand spiele ihm da übel mit, sagt Holt.

Tatsächlich existiert die Firma noch. Aber angesichts des großen Rades, das er einst drehte, erscheint diese Sorge doch arg kleinlich. Was ist schon so eine kleine Randnotiz in einem Wikipedia-Artikel, in dem es früher hieß, Holt gehöre mit einem Vermögen von 250 Millionen Euro zu den reichsten Menschen in Norddeutschland?

Zu acht Jahren Haft wurde er am Ende verurteilt. Er wird absehbar wieder freikommen. 35 Jahre ist er jetzt alt. Er werde sich erst einmal der Rolle des Privatiers widmen, kündigt er an. Von welchem oder von wessen Geld er das finanzieren wird, lässt er offen. „Es ist nicht wichtig, Geld zu haben. Es ist wichtig, Zugang zu Geld zu haben“, sagt er.