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Junge Mutter über die erste Geburt„Ich fühlte mich ausgeliefert“

6 min
Eine Entbindungsstation

Eine Entbindungsstation

Zwischen Hoffnung und Ohnmacht: Ella erlebt Kontrollverlust und mangelnde Empathie während der Geburt ihres ersten Kindes. Der Schmerz hallt bis heute nach. Dabei weiß die mehrfache Mutter: Es kann auch anders laufen.

Als bei Ella – der Name wurde geändert – die Wehen einsetzen, sieht die 24-jährige der Geburt entspannt entgegen. Der Termin ist gut vorbereitet. Die Klinik wurde sorgfältig ausgewählt, der Verlauf mit einer Beleg-Hebamme besprochen, „für eine möglichst interventionsarme Geburt“. Um 8 Uhr geht es los. Eigentlich will sie in die Badewanne des Kreißsaals steigen, um sich zu entspannen und Kraft zu sammeln für die Austreibungsphasen. Aber das wird abgelehnt – anders als besprochen. „Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass man mich nicht ernst nimmt.

Was mir immer in den Ohren klingen wird und was den ganzen Zeitdruck, der dann folgte, erklärte: Die Hebamme meinte, ob sie es an dem Abend wohl noch zu dem runden Geburtstag ihrer Schwester schaffen würde.“ Ella soll sich auf das Bett legen. Dort fühlt sie sich unwohl, sie bekommt Rückenschmerzen und möchte lieber umhergehen. Doch die Hebamme weist sie an, liegenzubleiben. Denn sie hat ein CTG-Gerät angeschlossen – einen Wehenschreiber, der die Vitalwerte des Ungeborenen misst.

Ständige Untersuchungen und unzureichende Aufklärung

„Meine Intuition spielte keine Rolle“, sagt Ella. Ab Mittag erklärt die Hebamme wiederholt, es gehe zu langsam voran. Ella verzweifelt langsam: „Ich habe gemerkt, dass ich die Kontrolle über den Geburtsverlauf verliere.“ Das macht ihr Angst. „Ich wurde ganz, ganz oft vaginal untersucht“, schildert sie den weiteren Verlauf. Zum Teil war es schmerzhaft. Ella verkrampft. „Ich fühlte mich ausgeliefert und entwürdigt“, sagt sie, „aber ich war nicht in der Situation zu fragen, muss das sein?“ Dann gab es Medikamente. Ihre Fragen, wofür, seien nicht beantwortet worden. Die Hebamme holt „andauernd irgendwelche fremden Ärzte dazu“ – die ebenfalls untersuchen. Der Muttermund sei erst vier Zentimeter auf, heißt es am Nachmittag. Ella hatte als Erstgebärende damit gerechnet, dass es längere Zeit dauert. „Aber es gab enormen psychischen Druck und die Anklage, dass es nicht schnell genug ging. Als wäre es mein Versagen. Mein Mann war verzweifelter Zuschauer.“ Ella kann sich nicht öffnen. Im Gegenteil: Der Muttermund steht jetzt bei drei Zentimetern. Dem Kind geht es nach wie vor gut.

Schließlich wird Ella mitgeteilt, sie müsse an einen Wehentropf angeschlossen werden, dazu sei eine PDA notwendig – eine Periduralanästhesie mit einer Spritze in den Rücken, zur Schmerzunterbrechung. „Anders würden sie mir das nicht zutrauen, sagten sie. Ich sah für mich keine Option mehr.“ Schließlich stimmt sie zu. „Im Geburtsbericht stand dann, ich hätte darum gebeten.“ Das Setzen der Nadel sei ein „einschneidender Moment“ gewesen. „Ich wurde nicht vernünftig aufgeklärt und habe Fragen gestellt, um zu verstehen, was da mit mir passiert. Die Hebamme sagte dann zu dem Arzt: ,Das ist eine, die will das ganz genau wissen.‘ Das war schlimm.“ Was sie gebraucht hätte? „Die Frage: Wie können wir dich unterstützen? Da war niemand, der mir gut zugeredet hätte oder mich anleitet.“ Die PDA wird gesetzt – „Respekt vor jedem, der sie freiwillig nimmt“ – aber der Wehenschmerz lässt nicht nach, sondern verlagert sich nur. Ella hat kein Gefühl mehr, was in ihr passiert. Sie schildert das, was dann kommt, mit tränenerstickter Stimme als „ein Abdriften“.

Festgeschnallt: Ohnmacht statt aktiver Geburt

Nach zwei Stunden mit der PDA wird es eng. „Eine Ärztin kam rein und sagte, wenn in der nächsten halben Stunde nichts passiert, machen wir einen Kaiserschnitt.“ Für Ella bricht eine Welt zusammen, sie weint, „in Trauer um die Geburt“. Im OP mit seiner „furchtbar kalten Atmosphäre“ werden die Arme fixiert, „der Höhepunkt des Ausgeliefertseins“. Sie erhält eine weitere PDA, berichtet Ella, die furchtbare Schmerzen ausgelöst habe. „Ich habe mich gewunden und geschrien ohne Ende und dann noch etwas in den Arm bekommen, bis ich medikamentös weggeschossen war.“ Der Kaiserschnitt erfolgt, ohne dass sich Ella heute erinnern kann. Um 18.15 Uhr, zehn Stunden nach Einsetzen der Wehen, legt man ihr das nackte Baby auf die Brust. Glückwünsche folgen, die Ella nicht annehmen mag. „Wochenlang ist das Gefühl geblieben, dass ich versagt habe.“

Was von diesem Tag würde sie als Gewalterfahrung einordnen? „Dieser psychische Druck, das Nicht-ernstgenommen-Werden, die Interventionen ohne vernünftige Erklärung und Begründung und sich dann noch über mich lustig zu machen. Diese komplette Entmündigung, wo sie nicht nötig ist.“ Bei geburtshilflichen Notfällen, erkennt sie an, „muss man sofort so agieren. Aber ich war keiner. Man hätte mich mit ins Boot holen können“. Eine Hebamme aus dem außerklinischen Bereich – wie Praxis, Geburtshaus oder Hausgeburt – bestätigt diesen „Performance-Druck“, der im Kreißsaal auf den Frauen laste. Und dahin, betont sie, gehörten die Frauen eigentlich erst, wenn die Geburt richtig losgehe. Wofür es immer mehr Verständnis gebe: Die sogenannte Latenzphase, in der sich der Muttermund langsam öffne, könne bis zu zwei Tage dauern. In dieser Zeit sollten die Schwangeren umhergehen, sich Pausen nehmen und entspannen. Ein dauerhaftes CTG sei nicht notwendig, „außer wenn etwas außerhalb der Norm passiert“.

Das zu erkennen, sei der Job einer Hebamme. Dazu notwendig sei jedoch eine Eins-zu-eins-Betreuung – im klinischen Bereich oft nicht machbar, „wo Hebammen bis zu fünf Schwangere betreuen“. Eine Frau, erklärt sie weiter, werde in dieser Situation nicht als Mensch gesehen: „Sie ist dann ein Gefäß, das man kontrollieren muss, ob es funktioniert. Damit das Kind in einer vorgegebenen Zeit geboren wird.“ Die Fachfrau sieht in Ellas Fall vieles, was schiefgegangen ist – und auch die Gewalt, die die Mutter erlebt hat. Schmerzen würden oft nicht ernstgenommen, dann fielen Sätze wie „das kann doch nicht so schlimm sein“. Wie Ella stellt sie klar: „Auch in einer Klinik ist eine harmonische, schöne Geburt möglich.“ Es komme auf die Begleitung an.

Bericht zur Geburt muss zehn Jahre lang aufbewahrt werden

Was Ella bedrückt: „Ich konnte jahrelang den Geburtstag meiner Tochter nicht genießen, weil ich jedes Mal die Geburt durchging, Stunde für Stunde.“ Die Dokumentation der Klinik dazu hat sie therapeutisch aufgearbeitet, auch mit ihren späteren Hebammen: „Heute weiß ich, ohne die Summe dieser Interventionen hätte ich das Kind selbst gebären können. Es gab keinen Grund für die Eile.“ Ella hat weitere Kinder bekommen, „eng begleitet“ durch eine Hebamme, im außerklinischen Bereich. Auf natürlichem Wege, ohne Medikamente, ohne Probleme, ohne Angst und Gewalterfahrung. Und im Stehen. „Ich habe nicht einen Moment gelegen. Das waren wunderschöne Geburten. Auf dem Foto nach der ersten Geburt war ich ein verzweifeltes, weinendes Häufchen Elend.

Bei der zweiten sehe ich blendend aus, absolut glücklich.“ Ella gibt anderen Frauen drei Dinge mit auf den Weg: Sich schon in der Schwangerschaft von einer Hebamme begleiten zu lassen und mit ihr alles „sehr genau zu besprechen“. Dann, nach der Geburt, den Bericht anzufordern. Er muss zehn Jahre aufbewahrt werden. Ein Musterschreiben dazu stellt die Initiative „Gerechte Geburten“ zur Verfügung unter www.gerechte-geburt.de. Eines ist Ella besonders wichtig: „Sich nicht selbst die Schuld zu geben, wenn die Geburt nicht gut verläuft.“