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Rekordzahlen auf den BalearenMallorca zwischen Urlaubsstrand und Flüchtlingsdrama

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Während Mallorca Touristenzahlen in Rekordhöhe vermeldet, steigt gleichzeitig auch die Zahl der Migranten, die die Insel erreichen auf ein Rekordniveau.

Während Mallorca Touristenzahlen in Rekordhöhe vermeldet, steigt gleichzeitig auch die Zahl der Migranten, die die Insel erreichen auf ein Rekordniveau. 

Während die Urlaubsinsel einem Besucherrekord entgegensteuert, spielt sich vor ihrer Küste eine humanitäre Tragödie ab. Allein in den ersten acht Monaten wurden 5000 Menschen aus Flüchtlingsbooten gerettet.

Während Mallorca in 2025 auf einen neuen touristischen Rekord von 14 Millionen Urlaubern zusteuert, erreicht die spanische Mittelmeerinsel zugleich eine zweite und in diesem Fall dramatische Höchstmarke: Noch nie zuvor kamen so viele Bootsflüchtlinge und Migranten an der Küste an wie in diesem Jahr.

Nach Angaben der Regierung wurden von Januar bis August vor Mallorca und den übrigen balearischen Inseln bereits nahezu 5000 Menschen in mehr als 250 Booten gerettet – das sind jetzt schon fast so viele wie im gesamten Vorjahr. Aber es dürften noch sehr viel mehr werden: Die Hauptsaison für die Menschenschmuggler beginnt jetzt erst, weil im Spätsommer das Meer besonders ruhig ist.

Tödliche Verzweiflung vor Mallorcas Küste

Doch die Bilanz ist nicht nur eine Frage von Zahlen, sondern es handelt sich zugleich um eine humanitäre Tragödie. Mehr als 40 tote Migranten wurden bereits seit Jahresbeginn vor Mallorca und den Nachbarinseln Ibiza, Menorca und Formentera aus dem Wasser gezogen.

Allein am 22. August verschwanden zwölf Afrikaner in den Fluten, nachdem sie 60 Kilometer vor Mallorca ins Meer gesprungen waren – weil sie glaubten, in der Ferne Land gesehen zu haben. Zwei Tage zuvor ertranken auf ähnliche Weise drei weitere Flüchtlinge vor der Küste.

Afrikanisches Begräbnisritual statt Gewaltverbrechen

Im Juni hatte der Fund von fünf gefesselten Wasserleichen für Entsetzen gesorgt: Zunächst hielt man die Migranten für Opfer einer Gewalttat. Die Polizei schloss nicht aus, dass die jungen Männer von skrupellosen Menschenschleppern ins Wasser geworfen worden waren.

Die Ermittlungen ergaben jedoch später, dass es sich nicht um Morde, sondern um ein afrikanisches Begräbnisritual gehandelt hatte. Die fünf Männer waren nach einer tagelangen Odyssee auf dem Mittelmeer verdurstet. Ihre sterblichen Überreste waren dann von ihren Mitfahrern mit zusammengebundenen Händen dem Meer übergeben worden.

Mallorca: Urlaubsparadies und Krisenschauplatz

Solche tragischen Geschichten stehen im scharfen Kontrast zum Alltag auf den Ferieninseln: Während sich am Strand von Mallorcas berühmter Playa de Palma Urlauber dicht an dicht sonnen, patrouilliert die spanische Küstenwacht nur wenige Seemeilen entfernt und zieht erschöpfte Migranten aus dem Wasser. Die regionale Regierungschefin der Balearen, Marga Prohens, spricht von einer „beispiellosen Migrationskrise" auf den Ferieninseln.

„Allein in den letzten 20 Tagen sind 1500 Migranten angekommen", sagt sie. „Wir haben Todesopfer und Vermisste zu beklagen – Zahlen, wie wir sie noch nie gesehen haben. Unsere Inseln sind überfordert." Prohens fordert den Einsatz der EU-Grenzschutzagentur Frontex, um die örtlichen Behörden bei der Sicherung der Außengrenzen, der Suche nach Booten und der Betreuung der Ankommenden an Land zu unterstützen.

Neue Routen der Schleuser

Die Route über das Mittelmeer vom nordafrikanischen Algerien zu den etwa 300 Kilometer entfernten Balearen verzeichnete in den letzten Jahren einen stetigen Anstieg: 2023 wurden etwas mehr als 2000 Ankünfte von Bootsflüchtlingen registriert, 2024 waren es schon knapp 6000. In diesem Jahr könnten es, Schätzungen zufolge, annähernd 10.000 werden.

Auf den im Atlantik liegenden Kanarischen Inseln, die ebenfalls zu Spanien gehören, geht die Zahl der Flüchtlingsankünfte unterdessen stark zurück. Allerdings bleiben die Kanaren weiterhin das wichtigste Einfallstor für Migranten nach Spanien.

Schnellboote versus Todeskähne

Neuerdings benutzen die Schleusergruppen, welche die Migrationsrouten über das Mittelmeer kontrollieren, zunehmend leistungsstarke Schnellboote für den Menschenschmuggel. Mit ihren PS-starken Schiffen schaffen sie die Fahrt von Nordafrika bis zu den Balearen oder auch zur spanischen Festlandküste in wenigen Stunden. Danach rasen diese Speedboote zurück nach Algerien oder Marokko.

Solche Überfahrten in diesen schnellen „Migranten-Taxis" kosten bis zu 10.000 Euro pro Person. Wer sich solche Preise nicht leisten kann, und das sind die meisten, muss sich mit einem Platz in wackeligen Low-Cost-Booten begnügen. Mit entsprechend höherem Risiko: Diese Boote sind überfüllt, schlecht ausgerüstet und geraten nicht selten in Seenot. Die Mehrzahl der auf Mallorca Ankommenden stammt aus den Armuts- und Krisenländern unterhalb der Sahara. Doch auch viele junge Algerier, die der Perspektivlosigkeit in ihrem Land entgehen wollen, klettern in die Boote.

Weiterreise aufs Festland meist problemlos

Die Chancen, nach einer Ankunft auf den Balearen in Europa bleiben zu dürfen, stehen vergleichsweise gut. Auf den Ferieninseln gibt es keine umzäunten Flüchtlingslager, und das algerische Regime verweigert Rückführungen.

Alle volljährigen Migranten bekommen daher von den Behörden ein Ticket für die Fähre in die Hand gedrückt und dürfen ungehindert aufs spanische Festland weiterreisen. Von dort versuchen die meisten, Frankreich oder andere europäische Länder zu erreichen, wo die sozialen Hilfen großzügiger fließen als in Spanien.

Europäischer Trend geht in andere Richtung

Der Anstieg der Migrantenankünfte auf Mallorca und den Nachbarinseln steht im Kontrast zu den allgemein sinkenden Zahlen irregulärer Einwanderer an Europas Außengrenzen. Laut der europäischen Grenzschutzagentur Frontex wurden in den ersten sieben Monaten des Jahres EU-weit 95.200 irreguläre Grenzübertritte registriert – ein Rückgang um 18 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Entsprechend nimmt ebenfalls an den südlichen Außengrenzen Europas der Druck insgesamt ab. Obgleich örtlich, wie etwa im westlichen Mittelmeer Richtung Spanien und auf der zentralen Meeresroute Richtung Italien, derzeit wieder mehr Flüchtlinge registriert werden.

Migrationsexperten sprechen von einer „temporären Verschiebung" der Routen: Während der Andrang auf vielen Abschnitten der Außengrenzen abnimmt, weichen die Schlepper auf jede sich bietende Lücke aus – und die Balearen sind deswegen derzeit eines ihrer bevorzugten Ziele.