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Sicherheits-RanglisteWo sind wir am sichersten, wenn die Welt „untergeht“?

6 min
Alles versinkt im Chaos - wo ist man am sichersten.

Alles versinkt im Chaos - wo ist man am sichersten.

Welche Staaten überstehen eine globale Krise am besten und wo ist man selbst mit seinem Vermögen am besten aufgehoben? Antworten auf diese Frage gibt eine erstmals publizierte Rangliste.

Schlittert die Welt demnächst in eine dramatische Krise? Selbst Optimisten stellen sich die Frage, was in der gegenwärtigen Phase des abrupten Wandels alles falsch laufen könnte. Manchmal braucht es nur wenig, bis eine unheilvolle Dynamik in Gang kommt. Im April zum Beispiel, nach dem „Liberation Day“ von US-Präsident Donald Trump, standen die Finanzmärkte gefährlich nahe vor einem solchen Kipppunkt. Auch beim Sturm auf das Washingtoner Kapitol im Januar 2021 fehlte wenig zu einer unkontrollierten Eskalation. Eine globale Krise könnte ebenso drohen, falls ein hoch verschuldetes westliches Land in eine Zahlungsnot geraten oder China Taiwan angreifen würde. Angenommen, es sollte tatsächlich Chaos ausbrechen auf dieser Welt: Wo lebt man am besten, um sich und sein Vermögen zu schützen? Die Frage ist weniger theoretisch, als es zunächst scheint. Vor allem reiche Personen sind äußerst mobil und ziehen bevorzugt in Länder, in denen sie sich sicher fühlen. Laut Henley & Partners, der weltweit führenden Beratungsfirma für „Golden Visa“ und Staatsbürgerschaften, wechseln derzeit mehr Millionäre ihren Wohnsitz denn je.

Nicht Stärke zählt, sondern Agilität

Die zunehmende Wanderungsbewegung der Reichen hat die Firma Henley & Partners, welche seit 2014 vom Schweizer Christian Kälin präsidiert wird, dazu bewogen, erstmals ein Rating für das Risiko und die Resilienz aller Länder zu publizieren. „Die Welt befindet sich in einem darwinistischen Wettlauf“, sagt Kälin, „doch wie beim Survival of the Fittest im Tier- und Pflanzenreich sind es auch bei den Ländern nicht die stärksten, die den Wandel am besten bewältigen, sondern die anpassungsfähigsten.“ Für das neue Rating stützt sich Henley & Partners einerseits auf die eigenen Daten zum Migrationsverhalten und zu den Präferenzen der Reichen. Andererseits hat die Firma Alphageo mit Sitz in Singapur eine umfangreiche Analyse zu den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in den einzelnen Ländern durchgeführt. „Um in unserer Rangliste oben zu stehen, muss ein Land gleichzeitig geringen Risiken ausgesetzt sein und zudem eine hohe Resilienz aufweisen“, sagt Parag Khanna, der Gründer von Alphageo. Der 48-jährige gebürtige Inder hat an der London School of Economics promoviert und in mehreren viel beachteten Büchern das Szenario einer unsicheren neuen Weltordnung beschrieben. Zudem hat er mehr als 150 Länder bereist. Zuoberst in diesem Ranking steht die Schweiz. Eine solche Spitzenposition hat sie zwar auch bei vielen Erhebungen zur Wettbewerbsfähigkeit. Doch diese Analyse stützt sich auf ein deutlich breiteres Spektrum an Faktoren: „Wir haben nicht nur die wirtschaftliche Dynamik untersucht, sondern ebenso die politische Stabilität, die Rechtssicherheit und die klimatischen Risiken“, erklärt Khanna.

Stabilität als Handicap

Paradoxerweise könnte die Stabilität der Schweiz im Falle einer globalen Krise sogar zu einem Handicap werden: „Es handelt sich gewissermaßen um ein Luxusproblem: Wenn weltweit das Vertrauen verloren geht, so könnten riesige Mengen an Kapital in die Schweiz fließen, was eine unkontrollierte Aufwertung des Frankens zur Folge hätte.“ Was bei der Rangliste von Henley & Partners auffällt, ist das hervorragende Abschneiden vieler europäischer Länder. Ausgerechnet der alte Kontinent, der unter einem geringen Wachstum leidet und auch im Handelsstreit stark unter Druck steht, stellt neun der zehn am besten platzierten Länder. Einzig Singapur auf Rang 4 gelingt es, in diese europäische Phalanx einzudringen. „Zwar steckt Europa derzeit in einer schwierigen Phase“, sagt Khanna, „dennoch ist der vorherrschende Pessimismus übertrieben.“ Grundsätzlich stehe der Kontinent nach wie vor sehr gut da, dank Faktoren wie der guten Bildung, der sozialen Stabilität, den robusten Institutionen und der guten Lebensqualität. Zwar hinke Europa bei den Innovationen hinter den USA her. „Dies muss allerdings nicht nur ein Nachteil sein. Denn Disruption und kreative Zerstörung sind kein Selbstzweck, sondern müssen zum Wohle der gesamten Gesellschaft erfolgen.“

Klein und agil

Interessant ist ein weiterer Punkt: Die Länder an der Spitze sind alle klein. Dies erklärt Khanna damit, dass sie in der Regel agiler seien und sich besser an Veränderungen anpassen könnten. Von den großen Ländern schneidet Deutschland mit Rang 10 am besten ab. „Das größte Hemmnis für Deutschland bilden die fehlenden Investitionen in die Infrastruktur – dies ist eine Altlast aus der Regierungszeit von Angela Merkel.“ Gleichzeitig aber überzeuge das Land mit seinen gefestigten politischen Institutionen und dem gesunden Staatshaushalt, was eine hohe Finanzkraft bedeute. Deutlich schlechter dagegen sind die Noten für Frankreich, welches gerade einmal Platz 29 erreicht. Hier kritisiert Khanna namentlich die überbordenden Staatsschulden, die das Land in einer Krise sehr verletzlich machten. Überraschenderweise sind die USA noch weiter hinten platziert, sie schaffen es nur auf Rang 32. Auch wenn Amerika die internationale Agenda klar dominiere, so bedeute dies nicht zwingend, dass das Land eine globale Erschütterung gut bewältigen könne: „Wir haben bei den USA diverse Risikofaktoren identifiziert: Der soziale Zusammenhalt ist schlecht, auch die Lebenserwartung fällt tief aus. Negativ fallen ebenso die hohe Staatsverschuldung und die überalterte Infrastruktur ins Gewicht.“ Überdies seien die Klimarisiken in den USA hoch.

China erweist sich als resilient

China, der geopolitische Rivale, hat in diesem Ranking nur einen geringen Rückstand auf die USA und erscheint auf Platz 49. Das Land punkte mit moderaten Risiken und einer beträchtlichen Resilienz, namentlich in der Wirtschaft, erklärt Parag Khanna. Neben der demografischen Alterung nennt er politische Risiken. Damit meine er aber weniger die autokratische Führung der kommunistischen Partei – denn das Ranking enthalte keine moralische Wertung zu den politischen Systemen: „Ein gewichtiger Nachteil von China ist die mangelnde Rechtssicherheit: Dies kann dazu führen, dass der Staat unvermittelt Anklage gegen führende Manager erhebt oder Unternehmer enteignet.“ Indien dagegen rutscht in dieser Rangliste trotz seiner demokratischen Verfassung weit ab und erscheint erst auf Platz 155. Zu den Gründen gehören gemäß der Analyse die Klimarisiken, welche weltweit zu den höchsten gehören, ebenso der geringe soziale Fortschritt, ein schwacher Rechtsstaat sowie die mangelnde Kapazität für Investitionen.

Aufgaben der Politik

Die Welt erlebe derzeit verschiedene, sich überlappende Schocks, sagt Kälin von Henley & Partners: neben dem Handelsstreit die Revolution der künstlichen Intelligenz oder die Klimaerwärmung. „Die Fähigkeit, sich anzupassen, ist das neue Gebot der Stunde. Die Politik muss es daher schaffen, die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft gegenüber solchen Erschütterungen zu stärken.“ Der neue Risiko- und Resilienzindex zeigt nun, dass sich die Schweiz sowie zahlreiche europäische Länder auf einem guten Weg befinden. Angesichts der vielen negativen Schlagzeilen und Einschätzungen, die der Handelsstreit ausgelöst hat, mag dies immerhin als Genugtuung erscheinen.

Dieser Text erschien zuerst in der „Neuen Zürcher Zeitung“.