Verbotene WeichmacherHormonelle Auffälligkeiten bei Kindern – das sagen Mediziner

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In den Proben von zahlreichen Kleinkindern aus Nordrhein-Westfalen konnte der Weichmacher Di-n-hexyl-Phthalat (DnHexP), der die Fruchtbarkeit schädigen soll, nachgewiesen werden.

In den Proben von zahlreichen Kleinkindern aus Nordrhein-Westfalen konnte der Weichmacher Di-n-hexyl-Phthalat (DnHexP), der die Fruchtbarkeit schädigen soll, nachgewiesen werden.

In Proben von Kinderurin ist verbotener Weichmacher gefunden worden. 

Nach dem Nachweis von verbotenen Weichmachern in Proben von Kinderurin durch das Lanuv, das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (wir berichteten), empfiehlt der Bundesverband der Kinder und Jugendärzt*innen (BVKJ) Eltern erst einmal gelassen zu bleiben. Zwar sei in Tierversuchen nachgewiesen worden, dass Weichmacher im Körper die Samenproduktion vermindern und auch zu einem Hodenhochstand führen können, aber von einer unmittelbaren gesundheitlichen Gefährdung sei aktuell nicht auszugehen, sagte auf Rundschau-Anfrage Dr. med Axel Gerschlauer. Der niedergelassene Kinderarzt in Bonn ist Landespressesprecher des BVKJ Nordrhein. Er empfiehlt Eltern allerdings ihr Konsumverhalten zu überdenken und ihren Kindern beispielsweise weniger Plastik zu geben. Gerade auch bei Getränken sei es sinnvoller Glas zu benutzen, als Plastikbecher, auch wenn dann schon mal ein Glas zu Bruch geht.

Allgemein beobachten Kinder- und Jugendärzte seit rund 20 Jahren eine Zunahme verschiedener hormoneller Auffälligkeiten bei Kindern, antwortete Prof. Dr. med. Bettina Gohlke vom Eltern-Kind-Zentrum der Universitätsklinik Bonn auf Anfrage der Rundschau. So beginne nach weltweiten Erkenntnissen die Pubertät von Mädchen und Jungen im Durchschnitt alle zehn Jahre etwa drei bis vier Monate früher, berichtet die Kinderärztin. Aktuell gebe es verschiedene Hypothesen, aber keine gesicherten Erkenntnisse, die diese Beobachtung erklären. Unter anderem werden so genannte endokrine (hormonell) aktive Substanzen, zu den auch die beschriebenen Weichmacher gehören, als (mit) verursachend für diese zeitliche Vorverlegung des Pubertätsbeginns angenommen, so die Medizinerin.

Weiterführende Untersuchungen sind drigend nötig

Zum aktuellen Zeitpunkt sei dies aber noch spekulativ, weil die Datenlage spärlich sei und weiterführende Untersuchungen dringend nötig seien. Eine unmittelbare „gesundheitliche Gefährdung“ bestehe zum aktuellen Zeitpunkt aus Sicht der Hormonspezialistin nicht.

Verlässliche Aussagen über die Auswirkung der Weichmacher im Körper auf die spätere Fertilität (Fruchtbarkeit) seien zum aktuellen Zeitpunkt auch nicht möglich.

Sollten bei den Kindern Zeichen einer zu frühen Pubertät (bei Mädchen, Brustentwicklung vor dem achten Lebensjahr, bei Jungen Genitalvergrößerung vor dem neunten Lebensjahr) auftreten, empfiehlt Professorin Gohlke den Besuch bei einem Spezialisten („Endokrinologen/Endokrinologin“), zudem wäre es aus ihrer Sicht wünschenswert, die Kinder, in deren Urinproben die verbotenen Weichmacher analysiert wurden, zukünftig mit Blick auf ihren Pubertätsbeginn regelmäßig zu untersuchen

Wie berichtet, hatte das Lanuv bei einer verdachtsbezogenen Untersuchung im Herbst 2023 die Substanz Mono-n-hexyl-Phthalat (MnHexP) erstmals in Urinproben von Kindern im Alter zwischen zwei und sechs Jahren aus dem Zeitraum 2020/21 nachgewiesen. Auch in Rückstellproben aus den Jahren 2017/18 sei die Substanz gefunden worden, allerdings in geringeren Konzentrationen, hatte das Amt am Mittwoch mitgeteilt. Die Substanz MnHexP kann als ein Abbauprodukt des Phthalates Di-n-hexyl-Phthalat (DnHexP) im Körper entstehen. Seit 2013 steht der Weichmacher DnHexP in der Europäischen Union auf der Liste der besonders besorgniserregenden Stoffe. Als Weichmacher ist dieses Phthalat in kosmetischen Mitteln, Lebensmittelkontaktmaterialien und in Spielzeug deshalb nicht mehr zugelassen. Trotz dieser Beschränkungen sei in 61 Prozent der untersuchten 250 Urinproben aus den Jahren 2020/21 der Metabolit nachgewiesen worden. Bisher gebe es keine Hinweise, dass die Belastungen aus der Umwelt oder dem Trinkwasser kommt. Die Experten halten eine bundesweite Belastung für wahrscheinlich.

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