Interview mit Chefin des Automobilverbands„E-Autos werden noch oft unterschätzt“

Hildegard Müller, Chefin des Verbands der Automobilindustrie (VDA)
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- Freie Fahrt für E-Autos? Hildegard Müller, Chefin des Verbandes der Automobilindustrie, ist besorgt und mahnt im Interview mit Uwe Westdörp, die Ladeinfrastruktur in Deutschland schneller auszubauen.
Frau Müller, Millionen Autofahrer überlegen, ob sie sich noch einen Verbrenner oder schon ein E-Auto kaufen sollen. Wie lautet ihr Ratschlag?
Mein Rat ist, dass man sich zunächst das eigene Fahrverhalten genau ansieht. Viele Menschen fahren häufig deutlich weniger als sie denken. Viele definieren den normalen Mobilitätsbedarf aus der einen großen Urlaubsreise heraus. Tatsächlich fahren sie im Alltag eher eine sehr überschaubare Zahl von Kilometern. Deshalb werden Elektroautos in ihren Möglichkeiten und ihren Reichweiten oft unterschätzt. Für den innerstädtischen Verkehr und kurze Strecken eigenen sich E-Autos wirklich hervorragend und wenn der flächendeckende Ladepunkteausbau nun schnell vorangeht, wird es auch bei langen Strecken einfacher. Für die Kombination aus Langstrecke und Stadtverkehr ist der Hybrid eine sehr gute Lösung.

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Stichwort Ladesäulen: Wo stehen wir in Deutschland und Europa?
Der schleppende Ausbau der Lademöglichkeiten ist eine meiner größten Sorgen. Die Schere zwischen Ladepunkten und Elektroautos wird in Deutschland jeden Tag größer statt kleiner. Wir müssten nach Berechnungen der Bundesregierung bis zu eine Million Ladestationen im öffentlichen Raum bis zum Jahr 2030 haben. In den Städten und Landkreisen zusammen müssen also pro Woche etwa 2000 Ladepunkte gebaut werden. Derzeit sind es wöchentlich aber nur 300, manchmal sogar noch weniger. Der Ausbau der Ladeinfrastruktur entscheidet aber über den weiteren erfolgreichen Hochlauf der E-Mobilität. Für die Menschen ist eine flächendeckende Versorgung mit Lademöglichkeiten eines der wichtigsten Kriterien – ohne das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Infrastruktur scheitert die Transformation.
Zusätzlich verschärft jetzt auch noch die EU die Klimaschutzziele …
Richtig. Um zum ersten klimaneutralen Kontinenten zu werden, braucht es ambitionierte Ziele. Die deutsche Autoindustrie steht aus Überzeugung hinter den Klimazielen der EU. Bei der Umsetzung der Ziele in praktische Programme muss an einigen Stellen nachgebessert werden: Für die ehrgeizigsten Ziele der Welt braucht es die besten Standortbedingungen der Welt. Klimaschutz muss ein wirtschaftliches und soziales Erfolgsmodell sein. Nur wenn unser Weg weltweit kopiert wird, ist dem Klima tatsächlich geholfen. Wichtig ist auch, dass die Politik alle zu beteiligenden Ebenen besser vernetzt und informiert. Ich habe bereits einige Bürgermeister getroffen, die von den für Ihre Stadt möglichen Förderprogrammen gar nichts wussten.
Die Bundesregierung will erreichen, dass bis Ende 2023 der nächste Schnellladepunkt überall im Land „in wenigen Minuten“ erreichbar ist. Für wie realistisch halten Sie angesichts der bisherigen Erfahrungen diese Ankündigung?
Es gibt jetzt ein neues Schnelllade-Programm des Bundes. Wir setzten dort jetzt auf eine schnelle Umsetzung. Auch die EU-Kommission plant zusätzliche Maßnahmen, was auch dringend nötig ist, denn in anderen Ländern sieht es noch viel schlechter aus als in Deutschland. Fast 70 Prozent aller Ladepunkte der EU sind in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden. Nach Zielen und Absichtserklärungen der EU, kommt es jetzt auf die Umsetzung an. Es wäre gut für Europa, wenn der politische Wetteifer bei der Umsetzung der Ziele genauso intensiv wird wie der Wetteifer um die Festlegung möglichst immer höherer Ziele.
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Sie kritisieren, die Wahlprogramme der Parteien würden den Herausforderungen des Klimawandels und der notwendigen Transformation nicht gerecht. Was genau vermissen Sie?
Die Parteien müssen die Komplexität der industriellen Transformation eines ganzen Kontinents erkennen. All die verschiedenen Themen müssen nach der Wahl in einem Koalitionsvertrag dargestellt werden, und zwar so, dass es funktionieren kann. In den Wahlprogrammen sehe ich da bisher zu wenig Ideen und zu wenig Vernetzung. Es muss branchenübergreifender gedacht werden, z.B. die Verbindung von Energieerzeugung, Ladeinfrastruktur und Elektromobilität.
Welche weiteren Herausforderungen sehen Sie auf die neue Bundesregierung zukommen?
Die neue Regierung muss ihren Teil dazu beitragen, die Klimapolitik 'Made in Europe', 'Made in Germany' international erfolgreich zu machen. Nur wenn wir beim Erreichen der Klimaziele wirtschaftlich erfolgreich sind und die Gesellschaft mitnehmen, also die Transformation sozialverträglich gestalten, wird das Vorhaben ein Erfolgsmodell und damit auch ein Ansporn für andere Regionen. Wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen, wandert die Produktion ab – in Regionen mit schlechterer CO2 -Bilanz. Wir dürfen das Problem aber nicht verschieben – wir müssen es lösen, und zwar global. Deshalb muss alles zusammen gedacht werden: die Standortbedingungen für Unternehmen, die Infrastruktur, die Energieversorgung, die soziale Ausgestaltung. Es gibt kaum ein Feld, das nicht betroffen ist. Die Debatte – besonders auch jetzt im Wahlkampf – muss viel ehrlicher werden, die Programme der Parteien müssen die Vielschichtigkeit der vor uns liegenden Veränderung vielmehr adressieren und kommunizieren.