Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Interview

dbb-Chef Volker Geyer
„Neiddebatten und Beamtenbashing helfen uns nicht weiter“

8 min
Volker Geyer, Bundesvorsitzender des Deutschen Beamten Bundes (dbb)

Volker Geyer, Bundesvorsitzender des Deutschen Beamten Bundes (dbb)

Geyer kritisiert unzureichende Bezahlung und Arbeitsbedingungen für Beamte und fordert konkrete Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung. Den Regierungsplan nennt er unzureichend.

Arbeitsministerin Bärbel Bas will, dass Beamte in die Rentenkasse einzahlen. Sören Becker hat sich mit Beamtenvertreter Volker Geyer über seine Kritik an den Plänen unterhalten.

Herr Geyer, Beamtenkarrieren gelten vielen als entspannte Jobs, in denen man viel Geld für wenig Arbeit bekommt. Ist die Wahrnehmung richtig?

Das ist natürlich Quatsch. Ich glaube, niemand würde ernsthaft behaupten, dass Polizisten oder Lehrer einen entspannten Job haben. Wenn man die getragene Verantwortung und die nötige Ausbildung bedenkt, ist die Bezahlung einfach nicht konkurrenzfähig mit der freien Wirtschaft. Auch die Karrierechancen und Arbeitsbedingungen sind oft schlechter.

Immerhin, die Bezahlung wird regelmäßig in Einkommensrunden angepasst. Was bedeutet der jüngste Tarifabschluss mit Bund und Kommunen für die Beamten im Bund?

Wir fordern wie immer die zeit- und systemgerechte Übertragung auf die Beamtinnen und Beamten des Bundes. In der Regel gelingt das auch. Dieses Mal ist es etwas anders: Obwohl wir uns bereits im April auf den Tarifabschluss geeinigt haben, ist die Übertragung bis jetzt nicht erfolgt. Die Wartezeit ist natürlich in erster Linie wegen des Regierungswechsels so uncharakteristisch lang. Jetzt muss aber endlich etwas passieren. Wir haben mit Alexander Dobrindt (CSU) einen neuen Innenminister und damit obersten Dienstherren, der um die Dringlichkeit weiß, und dem gegenüber ich unsere Erwartungshaltung klar zum Ausdruck gebracht habe.

Das Verfassungsgericht hat schon entschieden, dass die Besoldung von vielen Beamten nicht amtsangemessen ist, weil der Abstand zur Grundsicherung nicht groß genug ist. Bald soll wohl über die Nachbesserungsmaßnahmen der Länder entschieden werden. Und im Bund?

Hier muss die Bundesregierung ebenfalls tätig werden, denn das Urteil ist bereits fünf Jahre alt. Die Ampel als Vorgängerregierung hatte ein Gesetz entworfen, um die Besoldung diesem Urteil anzupassen. Das war aber aus unserer Sicht absolut nicht sachgerecht. Darum sind wir nicht traurig, dass das nun letztlich im Sande verlaufen ist. Wir erwarten von der neuen Bundesregierung jetzt natürlich zügig einen neuen Anlauf. Von Beamtinnen und Beamten wird zu Recht erwartet, dass sie sich an Recht und Gesetz halten und so muss es selbstverständlich auch sein. Das müssen die Kolleginnen und Kollegen im Gegenzug natürlich auch von ihrem Dienstherrn erwarten dürfen. Deshalb muss dieses höchstrichterliche Urteil zeitnah umsetzt werden.

Die Anpassung könnte den Steuerzahler allerdings Milliarden kosten.

Natürlich kostet das Geld. Aber wir reden hier doch nicht über fürstliche Gehälter, sondern über eine Besoldung, die wenigstens den Mindestanforderungen aus Karlsruhe entsprechen soll. Es ist doch traurig, dass überhaupt erst so ein Urteil kommen muss, damit der Bund seine Beamtinnen und Beamten anständig bezahlt. Da ist der alleinige Blick auf die Kosten die falsche Herangehensweise. Der Punkt ist doch, dass der Staat handlungsfähiger werden muss. Diese Handlungsfähigkeit haben ihm zuletzt 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in unserer jährlichen Umfrage abgesprochen. Kein Wunder, wenn man zum Beispiel ewig auf einen Termin beim Bürgeramt warten muss. Und für diese Handlungsfähigkeit braucht der Staat ausreichend viel und gutes Personal. Da dieses knapp ist, müssen wir Bewerberinnen und Bewerbern eine anständige Bezahlung, gute Arbeitsbedingungen und überzeugende Karrieremöglichkeiten anbieten. Im Moment gehen die Bewerberzahlen aber Jahr für Jahr zurück und viele Stellen können nicht mehr besetzt werden. Neiddebatten und Beamtenbashing helfen uns hingegen nicht weiter, auch wenn sie zunehmend populärer werden.

Wo wir gerade bei Handlungsfähigkeit sind: Was halten Sie von den Vorschlägen der Initiative für einen handlungsfähigen Staat, die kürzlich ihren Abschlussbericht vorgestellt hat?

In diesem umfassenden Bericht gibt es einige gute Punkte. Darin steht zum Beispiel richtigerweise, dass der Staat mehr Personal braucht und attraktiver werden muss. Aber daraus werden die falschen Schlüsse gezogen. Statt klar zu sagen, dass wir bessere Bezahlung und attraktivere Arbeitsbedingungen brauchen, ist einer der wenigen konkreten Vorschläge, dass die Zuständigkeit für die Personalgewinnung zentralisiert werden soll. Das mag auf dem Papier gut aussehen, ist aber aus unserer Sicht nicht praxistauglich. Auch die Forderung nach mehr Einstiegsmöglichkeiten für Quereinsteiger geht am Problem vorbei. Die Einstiegsmöglichkeiten gibt es bereits. Aber es wollen schlicht zu wenig Menschen zu den aktuellen Konditionen im öffentlichen Dienst arbeiten. Das können wir nur ändern, wenn wir die Jobs attraktiver machen.

Die Bundesregierung ist anscheinend anderer Meinung über die Zahl der Beamten und will diese reduzieren.

Der angekündigte pauschale Stellenabbau ist ein Vorschlag aus der Mottenkiste und wird nicht funktionieren. Ich kann nicht einfach Personal streichen, ohne konkret zu sagen, welche Aufgaben wegfallen sollen. Wir predigen das seit Jahren: Es muss eine ehrliche Aufgabenkritik geben. Dann muss Politik den Bürgerinnen und Bürgern klar sagen, was der Staat leisten kann und was nicht – und dafür muss entsprechend Personal bereitgestellt werden. Welche Aufgaben wegfallen sollen, dazu hat die Bundesregierung allerdings noch nichts gesagt.

Haben Sie Ideen, welche Aufgaben wegfallen können?

Ich bin Gewerkschafter. Die Entscheidung darüber, was öffentlicher Dienst leisten kann und soll, müssen Parlamente und Regierungen treffen. Die müssen es ja am Ende auch den Bürgerinnen und Bürgern vermitteln. Aber klar ist: Immer neue Aufgaben schaffen, dafür aber nicht genügend Stellen zu schaffen und zu besetzen, ist unredlich. Und führt zu Stress und Frust – bei unseren Kolleginnen und Kollegen übrigens ebenso wie bei den Bürgerinnen und Bürgern.

Auch die Bundesregierung will das Beamtentum attraktiver machen …

Sie muss es! Der öffentliche Dienst lebt von Fachkräften, die im Privatsektor heiß begehrt sind. Wenn der Beruf nicht attraktiv ist, findet man die nicht.

… heißt es im Koalitionsvertrag. Unter anderem durch flexiblere Arbeitszeitmodelle. Da müssten Sie doch eigentlich zufrieden sein?

Die Themen sind die richtigen, aber es fehlt an konkreten Maßnahmen. Was heißt zum Beispiel „flexible Arbeitszeitmodelle“? In der letzten Tarifrunde haben Bund und Kommunen bei fast allen unseren Vorschlägen dazu gemauert. Und für Bundesbeamtinnen und -beamte gilt aktuell sogar eine wöchentliche Arbeitszeit von 41 Stunden.

Also mehr als die 39 Stunden für Angestellte im öffentlichen Dienst.

Ja. Als diese Arbeitszeitverlängerung eingeführt wurde, hatte man uns versprochen, dass sie nur vorübergehend gelten soll. Das ist jetzt über zwanzig Jahre her! Wir erwarten von der Bundesregierung, dass diese Sonderbelastung endlich abgeschafft wird. Da geht es auch um Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit. Besonders ungerecht ist das, weil es vor allem Kolleginnen und Kollegen betrifft, die dieses Land rund um die Uhr am Laufen halten. Zum Beispiel die Bundespolizisten an den Hauptbahnhöfen oder die Kolleginnen und Kollegen vom Zoll an den Flughäfen.

Wie begründen die Arbeitgeber die Zurückhaltung?

Geldmangel, Personalmangel … das Übliche. Aber Berufseinsteiger, die diese Arbeitszeiten sehen, überlegen sich natürlich zweimal, ob sie die Karriere wirklich antreten wollen.

Mehr als konkurrenzfähig ist bei Beamten freilich die Pension, die deutlich üppiger ist als die Rente für Angestellte. Immer wieder gibt es Forderungen, auch Beamte in das gesetzliche Rentensystem einzubeziehen, zuletzt von Arbeitsministerin Bärbel Bas.

Was Frau Bas da vorschlägt, ist nicht bezahlbar. Die Beiträge für die Beamten müssen ja irgendwo herkommen und würden so die Personalkosten in den Haushalten hochschrauben. Hinzu kommt: Wenn die Beamtinnen und Beamten einzahlen, erwerben sie auch entsprechende Ansprüche. Durch diese Vorschläge löst man also keine Probleme, sondern schafft neue. Abgesehen davon, befeuert Bas„ Vorschlag nur die Neiddebatte, die uns beim besten Willen nicht weiterbringt. Ich rate ihr und ihren Kollegen, von solchen Vorstößen abzusehen. Stattdessen sollte die Politik lieber versuchen, die Menschen zusammenzubringen, statt sie gegeneinander auszuspielen.

Allerdings gibt es tatsächlich einen Gerechtigkeitsaspekt bei dem Thema. Wer sein ganzes Leben Angestellter war, hat ja im Alter die gleichen Bedürfnisse wie ein ehemaliger Beamter.

Zwischen Beamtinnen und Beamten und Dienstherrn besteht ein besonderes Dienst- und Treueverhältnis. Das beinhaltet beispielsweise den Verzicht auf das Streikrecht. Im Gegenzug verpflichtet sich der Dienstherr zur amtsangemessenen Alimentation, auch im Alter. Rentnerinnen und Rentner haben natürlich ebenso einen Anspruch auf ein gutes Auskommen im Ruhestand. Dafür kämpfen wir, denn wir vertreten ja auch über 350.000 Tarifbeschäftigte. Vergleiche zwischen diesen beiden völlig unterschiedlichen Systemen sind aber in der Regel reiner Populismus, um Stimmung gegen das Beamtentum zu machen. Wer durchschnittliche Renten und Pensionen vergleicht, vergleicht außerdem Äpfel mit Birnen. Da wird beispielsweise ausgeblendet, dass zwei Drittel der Beamtinnen und Beamten einen Hochschulabschluss haben und diese Gruppe in der Regel keine Unterbrechungen in der Erwerbsbiografie hat. Bei dem Vergleich werden zudem die Betriebsrenten nicht berücksichtigt, die Tarifbeschäftigte im öffentlichen Dienst und in vielen Teilen der Privatwirtschaft bekommen – Beamtinnen und Beamte jedoch nicht.

Was halten Sie vom sogenannten „Boomer-Soli“, den das deutsche Institut für Wirtschaftsforschung vorgeschlagen hat? Also eine Abgabe auf alle Alterseinkommen über einem gewissen Freibetrag, um das Rentensystem zu finanzieren. Das würde Beamte wegen der höheren Pension ja am ehesten treffen.

Das ist der falsche Ansatz. Ob man nun Angestellter oder Beamter war: Durch seine Arbeit hat man gewisse Ansprüche erworben, die durch die zusätzliche Abgabe de facto reduziert würden. Eine reine Umschichtung innerhalb des Systems ist keine richtige Lösung.

Trotz des Personalmangels, den Sie beschrieben haben, sind wohl nicht alle Bewerber willkommen. In vielen Bundesländern werden etwa Versuche unternommen, AfD-Mitgliedern den Eintritt in die Beamtenlaufbahn zu erschweren.

Eines ist klar: Extremisten haben im Staatsdienst nichts zu suchen. Punkt. Ganz egal, aus welcher Ecke sie stammen. Wenn bei einem Staatsdiener der Verdacht auf Extremismus besteht, muss das im Einzelfall in einem rechtsstaatlichen Verfahren geprüft werden.

Sie lehnen also Maßnahmen wie etwa in Rheinland-Pfalz ab. Dort sollte eine Parteimitgliedschaft bei der AfD zum Ausschlusskriterium für eine Beamtenlaufbahn erklärt werden.

Entscheidend ist immer der Einzelfall. Alles andere würde man vor Gericht gar nicht durchbekommen.