Der neue Reaktor Sizewell C soll in England sechs Millionen Haushalte versorgen. Aber sollte ein AKW im Überschwemmungsgebiet gebaut werden?
Atomkraft gegen Klimakrise„Sizewell C“ soll Englands Energie retten – Bedenken wegen Sicherheit

Blick auf das Atomkraftwerk Sizewell B
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Kaum hat die britische Finanzministerin Rachel Reeves ihre Ankündigung ausgesprochen, brandet Applaus durch den Saal in der englischen Küstenstadt Brighton. „Diese Regierung stellt sich vollständig hinter das Atomkraftwerk Sizewell C und stellt 14,2 Milliarden Pfund (rund 16,7 Milliarden Euro) an zusätzlicher Finanzierung bereit – für das erste direkt staatlich finanzierte Kernkraftwerk seit 1988“, sagte die Schatzkanzlerin jüngst auf dem GMB-Kongress, dem jährlichen Treffen einer der größten britischen Gewerkschaften.
Einstige Tory-EntscheidungDer Bau des Atomkraftwerks an der Ostküste Englands soll nicht nur sechs Millionen Haushalte mit Strom versorgen, sondern auch über 10.000 Arbeitsplätze schaffen und 1500 Ausbildungsplätze ermöglichen, versprach sie. Es gehe um Energiesicherheit, den Kampf gegen die Klimakrise und darum, die Abhängigkeit von unsicheren fossilen Brennstoffen zu beenden, so Energie- und Klimaminister Ed Miliband.
Historischer Rückblick auf Atomkraftpläne in Großbritannien
Auch wenn die Labour-Regierung nun aktiv wird, so reicht der Plan zu Sizewell C bereits Jahre zurück. Noch unter den Tories wurde der Bau des Atomkraftwerks vorangetrieben. Bereits im Januar 2024 – also vor der Labour-Übernahme – erteilte die konservative Regierung das offizielle Startsignal. Der Labour-Plan setzt bei der Finanzierung zwar stärker auf eine stärkere Einbindung der öffentlichen Hand, folgt jedoch einem übergeordneten Trend: Großbritannien baut wieder verstärkt auf Atomkraft und arbeitet dabei gegen die Zeit. Denn das Land droht die Vorteile der Kernenergie zu verlieren, weil alte Kraftwerke schneller vom Netz gehen, als neue gebaut werden können.
Diese Regierung stellt sich voll- ständig hinter das Atom- kraftwerk Sizewell C.
Das Problem: Dadurch entsteht eine Lücke bei der Versorgung mit CO2-armem Strom – und das ausgerechnet in einer Zeit, in der der Bedarf an sauberer Energie wächst. Derzeit liefern fünf aktive Kernkraftwerke noch etwa 14Prozent des britischen Stroms – deutlich weniger als in den späten 1990er-Jahren, als 18 Reaktoren über ein Viertel des Strombedarfs deckten. Vier dieser Anlagen sollen noch vor Ende des Jahrzehnts abgeschaltet werden, weil ihre technische Lebensdauer erreicht ist. Dies macht Experten zufolge eine zwischenzeitliche Erhöhung der Gasverbrennung fast unvermeidlich.
Für den drohenden Engpass mitverantwortlich sind Verzögerungen beim Bau des Kraftwerks Hinkley Point C an der Westküste Englands. Statt wie ursprünglich geplant 2025 ans Netz zu gehen, dürfte der Reaktorblock nun erst um das Jahr 2030 in Betrieb genommen werden. Rob Gross, Direktor des UK Energy Research Centre (UKERC), führt die Probleme unter anderem auf die fehlende Erfahrung zurück. „Wir haben in Großbritannien schon sehr lange keinen Kernreaktor mehr gebaut.“
Drastischer Anstieg der Projektkosten
Auch die Kosten für das Projekt des französischen Energiekonzerns EDF stiegen unaufhörlich: Lagen die Schätzungen zu Baubeginn „Europäischen Druckwasserreaktors“ (EPR) 2016 noch bei umgerechnet rund 21 Milliarden Euro, so geht das Unternehmen heute auf Basis der damaligen Preise von mehr als 37 Milliarden Euro aus. Nach heutigem Geldwert wären es damit über 50 Milliarden Euro.
Als Gründe nennt EDF strenge Auflagen der britischen Aufsichtsbehörden, den Brexit, die Folgen der Pandemie, den Fachkräftemangel und die hohe Inflationsrate. Auch der EPR im französischen Flamanville von EDF ging mit zwölf Jahren Verspätung ans Netz kostete über 20 Milliarden Euro statt wie ursprünglich gedacht 3,4 Milliarden.
Bedenken und Unterstützung für das Sizewell C Projekt
Die massiven Budgetüberschreitungen und Verzögerungen befeuern auf der Insel Bedenken, wonach Sizewell C, ebenfalls ein EDF-Reaktordesign, einem ähnlichen Schicksal entgegensehen könnte. Und nicht nur die Kosten rufen Kritiker auf den Plan: Schon seit der Ankündigung des Projekts regt sich in dem Küstenort massiver Widerstand gegen das Vorhaben. Umweltgruppen und Anwohner kritisieren unter anderem den hohen Wasserbedarf für Bau und Betrieb des Kraftwerks sowie die Lage in einem potenziellen Überschwemmungsgebiet. Bei einem extremen Hochwasser, so die Sorge, könnte radioaktives Material freigesetzt werden.
Befürworter entgegnen, dass moderne Schutzmaßnahmen solche Risiken beherrschbar machten. Die Wiederaufnahme großer Kernkraftprojekte sei strategisch notwendig, und SizewellC werde effizienter gebaut, indem Erfahrungen aus Hinkley genutzt werden, betont die Labour-Regierung. „Die Anfangskosten sind zweifellos hoch“, sagt Iain Staffell, der am Imperial College London zu nachhaltiger Energie forscht. Mit mehr als 16 Milliarden Euro ließen sich rund zehn Gigawatt Offshore-Windkraft finanzieren – im Vergleich zu lediglich 3,2 Gigawatt Kernkraft. Aber: „Diese Reaktoren laufen Tag und Nacht, was besonders dann wertvoll ist, wenn der Wind nicht weht.“