Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Am LimitFinanzdruck auf Krankenhäuser in NRW steigt weiter

4 min
Immer mehr Kliniken droht die Insolvenz.

Immer mehr Kliniken droht die Insolvenz. 

Die wirtschaftliche Lage deutscher Krankenhäuser ist kritisch. Liquiditätskrisen und Fachkräftemangel verschärfen die Situation.

Der Krankenhauschef findet klare Worte: „Wir brauchen sicher keine apokalyptische Stimmung, aber die Menschen müssen wissen, wie die wirtschaftliche Lage in ihren Krankenhäusern ist“, sagt der Direktor eines großen Krankenhauses mit mehreren Standorten im Ruhrgebiet. Und die Lage sei „bescheiden“.

Finanzielle Engpässe bedrohen deutschen Krankenhausbetrieb

Viele Kliniken gerieten derzeit in extreme Not, das Finanzpolster schmelze dahin, sagt der erfahrene Klinikmanager, der anonym bleiben möchte. Sein Haus habe investiert, zentralisiert, unrentable Abteilungen aufgegeben. Und trotzdem: „Wir hatten früher Rücklagen, um Ausgaben für zwei, drei Monate zu decken. Heute sind wir trotz aller Anstrengungen auf ein Drittel runter. Damit sind wir nicht allein“, sagt er. Zwar habe der Bund kürzlich Überbrückungshilfen zugesagt, „aber insgesamt ist der finanzielle Spielraum eng“.

RWI-Report zeigt alarmierende Ergebnisse

Wie angeschlagen die Krankenhäuser in Deutschland sind, zeigt ein neuer Report des RWI Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Essen. Der „Krankenhaus Rating Report“ spricht von einer so angespannten Lage wie nie zuvor. 43 Prozent der Krankenhäuser schrieben demnach im Jahr 2023 rote Zahlen. Das durchschnittliche Jahresergebnis fiel laut den Autoren erstmals unter null – auf minus 0,2 Prozent der Erlöse. Auf Basis bereits analysierter Jahresabschlüsse schätzen Fachleute, dass der Anteil der Kliniken mit Verlusten 2024 auf 56 Prozent gestiegen ist. 2020 waren es noch 22 Prozent.

Die Ursachen für den Druck sind vielfältig. Nach der Pandemie führten Inflation und gestiegene Löhne zu höheren Ausgaben. Gleichzeitig stagnierten die Einnahmen, da nicht mehr so viele Patienten stationär behandelt werden wie vor Corona. Der Fachkräftemangel verschärfte die Lage zusätzlich. Personal fehlte – Betten blieben leer, teure Leiharbeiter mussten beschafft oder ausländische Kräfte angeworben werden. Das Defizit ist, so sagen Stimmen in der Branche, in der Nach-Corona-Zeit auf etwa 15 Prozent angewachsen.

Liquiditätskrise in Kliniken wird zunehmend kritisch

Das hat Konsequenzen: Der Klinik-Report 2024 zeigt, dass immer mehr Krankenhäuser über zu wenig liquide Mittel verfügen. Die Autoren analysierten unter anderem 124 Jahresabschlüsse aus dem Vorjahr. Die Hälfte der Kliniken verfügte demnach nur noch über ausreichend Mittel für zwei Wochen oder weniger. „Für eine ausreichende Deckung sind erfahrungsgemäß mindestens vier Wochen erforderlich“, heißt es im Report. Bei etwa jedem siebten Krankenhaus in Deutschland sehen die Autoren eine erhöhte Insolvenzgefahr.

Oft erledigen in Kliniken überqualifizierte Kräfte einen Teil der Pflegearbeit. (Symbolbild)

Oft erledigen in Kliniken überqualifizierte Kräfte einen Teil der Pflegearbeit. (Symbolbild)

Größere Kliniken mit bis zu 900 Betten, Standorte von Klinikketten und spezialisierte Einrichtungen kommen zwar besser zurecht. Dennoch gilt die Stimmung in der Branche als so schlecht wie nie. Matthias Blum, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW), spricht gar von einer „anhaltenden Defizitkrise“. „Sie führt zu einer gefährlichen Erosion der Daseinsfürsorge“, warnt der Lobbyist. Allein in NRW belaufe sich das Defizit auf über 3,5 Milliarden Euro.

Auswirkungen auf Patientenversorgung spürbar

Die Auswirkungen dieser Krise spüren auch die Patienten: In ersten Kliniken wird bereits Servicepersonal reduziert. Vermehrt brächten deshalb Pflegefachkräfte das Essen ans Bett – obwohl sie dafür eigentlich überqualifiziert sind und an anderer Stelle dringend gebraucht würden. Der Grund sei einfach, sagt der Klinikchef aus dem Ruhrgebiet: Das Anreichen von Mahlzeiten gelte als pflegerische Leistung und werde über das Pflegebudget refinanziert. Bei Assistenzkräften sei das nicht so. „Man zwingt Kliniken dazu, ihr Servicepersonal abzubauen oder zu reduzieren.“

Wer Standorte zusammenlege, spare zwar langfristig, weil in modernste Infrastruktur investiert werde. „Aber der Weg dahin?“ Zugesagte Fördergelder von Bund und Land entlasteten nicht im Hier und Jetzt. Deshalb habe man jeden Tarifabschluss im Blick. Höhere Löhne für Pflegekräfte müssen die Kliniken vorfinanzieren – da gehe es schnell um Millionenbeträge. Manche Häuser prüften bei jeder neuen Stelle, ob sie tragbar sei.

NRW als Vorreiter bei der Klinikreform

In NRW hat das Gesundheitsministerium eine lang vorbereitete Reform an den Start gebracht. Kliniken sollen sich stärker spezialisieren, besser kooperieren und den oft ruinösen Wettbewerb verringern. Der Umbau der Kliniklandschaft soll gefördert werden. Auch auf Bundesebene ist eine Reform nach NRW-Vorbild geplant. Sie soll ab 2028 auch die Finanzierung verändern. Laut Report könnte das die Lage der Kliniken verbessern.

Bis dahin hat der Bund Hilfen zugesagt: Für ein Jahr erhalten die Kliniken bis Herbst 2026 einen Aufschlag auf jede Abrechnung für ihre Betriebskosten. So würden die im Koalitionsvertrag versprochenen vier Milliarden Euro Inflationsausgleich umgesetzt, urteilt die Krankenhausgesellschaft. Branchenkenner sagen, diese Maßnahme habe eine Pleitewelle zunächst verhindert.