Die Bundesregierung will das Arbeitszeitgesetz grundlegend reformieren. Statt täglicher Höchstarbeitszeit soll künftig eine flexible Wochenregelung gelten. Gewerkschaften schlagen Alarm.
Pläne der Merz-RegierungKommt das Aus für den Acht-Stunden-Tag?

Seit 1918 gilt in Deutschland der Acht-Stunden-Tag. Gehört er jetzt auf den Müllhaufen der Geschichte?
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Als Friedrich Merz seinen ersten Shitstorm als Kanzler abbekam, war er noch keine zwei Wochen im Amt. „Wir müssen in diesem Land wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten“, hatte er im Mai auf dem CDU-Wirtschaftstag in Berlin gesagt, und die anschließende tagelange „Sind die Deutschen zu faul?“-Debatte verlief derart hitzig, dass Merz schon bald relativierte: Man könne natürlich nicht „so ganz pauschal“ sagen, die Leute arbeiteten zu wenig.
Doch nun geht seine Bundesregierung trotzdem daran, die Arbeitsdauer der Deutschen neu zu regeln. Und auch wenn die Menschen anschließend vielleicht gar nicht zwangsläufig länger, sondern nur anders arbeiten, können Merz und seine Minister nach den Erfahrungen im Mai schon mal gewarnt sein: Das Thema ist heiß.
Forderungen der Arbeitgeber
Entsprechend heikel ist das Projekt, das mit Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas ausgerechnet eine Sozialdemokratin in diesen Tagen auf den Weg bringt: Sie soll nach dem Wunsch des Kanzlers den Acht-Stunden-Tag abschaffen, den es in Deutschland seit 1918 gibt. Statt einer täglichen soll es dann eine wöchentliche Höchstarbeitszeit geben: Nach EU-Recht wären bis zu 48 Stunden möglich.
Damit könnten Arbeitnehmer und Betriebe freier als bisher verabreden, wie sich die Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage verteilt: Soll weiter täglich acht Stunden gearbeitet werden – oder aber an manchen viel mehr, dafür an anderen weniger oder gar nicht?
Noch im Herbst soll dazu ein Gesetzentwurf im Arbeitsministerium entstehen. Er soll „mehr Flexibilität“ und zugleich eine „bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ bringen, so steht es im Koalitionsvertrag. Soll heißen: Darüber müssten sich eigentlich alle freuen, Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen. Nur: Davon kann keine Rede sein.
Die Arbeitgeber fordern flexiblere Tagesarbeitszeiten schon lange. Sie argumentieren, das moderne Berufsleben sehe eben anders aus als im Jahr 1918. Wenn heute in einer international tätigen Firma spätabends noch eine Video-Konferenz mit einem Kunden in Übersee ansteht, sei es doch auch im Sinne des Arbeitnehmers, ausnahmsweise halt bis 22 oder 23 Uhr zu arbeiten und dafür etwa am nächsten Tag nachmittags joggen gehen zu können.
Gewerkschaften befürchten längere Arbeitszeiten
Auch im Gastro-Bereich könnten sich für die Betriebe Vorteile ergeben: Wenn an manchen Abenden die Gäste eine oder zwei Stunden länger bleiben, müsste der Wirt dafür nicht extra eine zweite Schicht einplanen, die er wegen des Fachkräftemangels womöglich sowieso nicht besetzen könnte. Das deutsche Arbeitszeitgesetz erlaubt unter bestimmten Bedingungen die Verlängerung der Tagesarbeitszeit von acht auf zehn Stunden, aber nicht mehr.
Die Gewerkschaften dagegen wittern hinter einer „Flexibilisierung“ der Arbeitszeit vor allem eine Verlängerung. Sie befürchten, dass künftig auch diejenigen an bestimmten Tagen mehr arbeiten müssen, die das gar nicht wollen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat sogar eigens eine Umfrage in Auftrag gegeben, die belegen soll, dass 72 Prozent der Beschäftigten keine längeren als Acht-Stunden-Tage wünschen. Außerdem hätten Studien gezeigt, dass mit jeder zusätzlichen Arbeitsstunde das Unfallrisiko steige.
Bas im Dialog mit Arbeitgebern und Gewerkschaften
Wie weit die Positionen auseinander liegen, davon kann sich Arbeitsministerin Bas derzeit persönlich überzeugen. Sie sondiert mögliche Reformideen noch bis Anfang Oktober in einem „Dialogprozess“ mit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und dem DGB. Und hat anschließend die Wahl, ob sie es sich bei dem Thema dann lieber mit dem Kanzler oder mit den Gewerkschaften verscherzen will.
Entsprechend verhalten klingt es, wenn ihr Arbeitsministerium den aktuellen Stand der Dinge kommentiert. Man wolle das im Koalitionsvertrag genannte Ziel „zügig umsetzen“, teilte ein Sprecher dieser Redaktion zwar mit. Wie aber „die konkrete gesetzliche Ausgestaltung im Einzelnen aussehen wird“, sei noch völlig offen.
Verhandlungen über Arbeitszeiterfassung
Beobachter vermuten, die SPD könnte in den bevorstehenden Verhandlungen mit dem Koalitionspartner das Thema Wochenarbeitszeit mit der Frage nach einer verpflichtenden Arbeitszeiterfassung verknüpfen, einer Lieblingsforderung der Gewerkschaften. Die Gespräche darüber mit den Arbeitgebern, aber auch mit der Union könnten dann so zäh werden, dass irgendwann allen Beteiligten die Lust an der ganzen Reform vergeht. Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dagmar Schmidt sagt im Gespräch mit dieser Redaktion schon einmal: „Gute Arbeit braucht klare Regeln – dazu gehört auch eine flächendeckende, elektronische und verlässliche Zeiterfassung, die wirksam vor Ausbeutung schützt.“
Der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing, den der Arbeitsausschuss des Bundestages in der vergangenen Legislaturperiode schon als Sachverständigen zum Thema flexiblere Arbeitszeiten hörte, fühlt sich bereits an die Vorgängerregierung erinnert. „Unterschiedliche Ziele haben schon bei der Ampel dazu geführt, dass es am Ende gar keine Regelung gab“, so Thüsing.
Endet am Ende also alles wie das Hornberger Schießen? Wenn man SPD-Vizefraktionschefin Schmidt fragt, ob die Ministerin in jedem Fall einen Gesetzentwurf zur neuen Arbeitszeitregelung vorlegen wird, sagt sie nur: Den derzeit laufenden Dialog mit den Sozialpartnern „gilt es abzuwarten“.
