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Arbeitet hier jemand?Was es mit den Geister-Baustellen auf Autobahnen auf sich hat

Lesezeit 4 Minuten
Bei Sanierungsarbeiten auf deutschen Autobahnen ist der Stau quasi garantiert.

Bei Sanierungsarbeiten auf deutschen Autobahnen ist der Stau quasi garantiert.

Verwaiste Autobahn-Baustellen entstehen oft durch Koordinationsprobleme, Personalmangel und unerwartete Hindernisse, nicht durch Inaktivität.

Steckt man auf der Autobahn im Stop-and-Go fest, dann wahrscheinlich deshalb, weil gerade eine Brücke saniert oder der Fahrbahnbelag erneuert wird. Sobald gebaut wird, sind Verkehrsbehinderungen quasi garantiert. Und während man sich im Schritttempo an Warnschildern und Leitbaken vorbeischiebt und durch verengte Fahrstreifen quält, stellt sich eine Frage fast automatisch: Warum arbeitet hier niemand?

Bauzeiten und Dauer: Die Realität der Autobahn-Baustellen in Deutschland

Deutschland, deine Baustellen: Im vergangenen Jahr gab es auf den Autobahnen 860 Bauabschnitte – zusammen fast 3.600 Kilometer lang. Zum Vergleich: Das gesamte Autobahnnetz in Deutschland umfasst rund 13.200 Kilometer. Nach Angaben der Autobahn GmbH liegt die durchschnittliche Dauer einer Baustelle derzeit bei 505 Tagen. Das verstärkt die Annahme: Wenn weit und breit keine Bauarbeiter zu sehen sind, geht auch nichts voran.

„Der Eindruck, dass sogenannte Geisterbaustellen auf Autobahnen existieren, trügt oft“, sagt Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie. Nur selten hätten Verzögerungen mit einer insolventen Baufirma zu tun, trotz Baukrise und schwacher Konjunktur.

Meistens führten „Koordinationsprobleme“ zwischen den Auftraggebern zu Problemen: Normalerweise sind mehrere Firmen an den Baumaßnahmen beteiligt. Diese Firmen verfügen während der Bauzeit über eigene Entscheidungsspielräume, was den Ablauf des Bauvorhabens beeinflussen kann.

Verschiedene Faktoren behindern den Fortschritt auf Baustellen

Müller nennt weitere Gründe, warum es auf Baustellen häufig nach Stillstand aussieht. Bauzeiten würden oft sehr großzügig bemessen, um Spielraum für Verzögerungen zu lassen. In einigen Fällen müssten Bauleistungen nachträglich ausgeschrieben werden. Und nicht selten stoßen Bauarbeiter auf unerwartete Funde, sobald der Asphalt abgetragen ist – Blindgänger oder archäologische Überreste.

Es gibt also zahlreiche Faktoren, die die Arbeit auf Autobahnbaustellen ins Stocken bringen oder ganz zum Erliegen führen können. Auch das Wetter spielt dabei eine Rolle.

Wärmer als zehn Grad und kein strömender Regen – nur unter diesen Bedingungen kann nach Angaben der Autobahn GmbH gearbeitet werden. Setzt Starkregen ein, müssen die Tätigkeiten unterbrochen werden. Ein weiterer Punkt: der Asphalt selbst. Dieser wird in drei Schichten aufgetragen. Jede Schicht muss mindestens 24 Stunden lang trocknen. Während man sich als Autofahrer echauffiert, warum kein Bauarbeiter weit und breit zu sehen ist, kann es daran liegen, dass der Asphalt aushärtet.

Mangel an Ressourcen und Personal auf Autobahnbaustellen

Anruf bei Michael Schreckenberg, Professor an der Universität Duisburg-Essen. Wie schätzt er das Thema Geisterbaustellen ein? „In Deutschland wurde zu lange zu wenig in die Autobahn investiert“, sagt er. „Die Baufirmen haben Personal abgebaut, das jetzt auf den Baustellen fehlt.“ Daneben gebe es einen erheblichen Mangel an Maschinen und Baumaterialien. „Das macht es unmöglich, dass überall auf einer Baustelle gleichzeitig gearbeitet wird.“

Aber wäre es in Anbetracht dessen nicht sinnvoll, Baustellen in einzelne Abschnitte zu unterteilen und kilometerweise vorzurücken? Die Idee: Erst wird Kilometer eins fertiggestellt, dann folgt Kilometer zwei, und so weiter. Das würde die Wartezeiten für die im Stau stehenden Autofahrer verkürzen. Und Nerven schonen.

In der Praxis sieht das anders aus. Wandernde Abschnitte seien schlicht zu unökonomisch, erklärt Schreckenberg. Der ständige Auf- und Abbau von Schildern und Absperrungen würde das Bauvorhaben zusätzlich verzögern. Vielmehr müsse die Branche eine verbreitete Geiz-ist-geil-Mentalität überwinden. „Bei Ausschreibungen erhalten oft die billigsten Unternehmen den Zuschlag“, kritisiert der Experte. „Die sind in der Regel aber nicht am schnellsten.“

Herausforderungen und Grenzen der Nachtarbeit auf Baustellen

Ließe sich das Problem nicht lösen, wenn während verkehrsarmer Zeiten gebaut wird? Auch dieser Gedanke drängt sich beim Anblick vermeintlich verlassener Baustellen auf: Wenn nachts auf Autobahnbaustellen gearbeitet würde, wären die Bauvorhaben schneller fertig und der Verkehr könnte wieder unbehindert fließen. Nachtarbeiten gebe es durchaus, betont Bauindustrie-Mann Tim-Oliver Müller, „jedoch nicht überall und nur bei dringendem Bedarf.“

Einfach umzusetzen ist das für Bauunternehmen jedoch nicht. Zum einen, weil die Arbeiten bei Tageslicht sicherer sind. Nachts müssen die Baustellen taghell ausgeleuchtet werden. Zum anderen sind Baufirmen wie alle anderen Arbeitgeber an die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes gebunden. Nacht- und Schichtarbeit ist zwar erlaubt. Die werktägliche Arbeitszeit der Nachtarbeitnehmer darf allerdings die acht Stunden nicht überschreiten. Zudem brauchen die Firmen genügend Mitarbeiter, wenn Nachtarbeit geleistet werden soll. Bei drei Schichten á acht Stunden, wird das dreifache Personal benötigt. Ansonsten fehlen die Beschäftigten für die Arbeiten am Tag.

Lohnzuschlag bei Nachtschichten

Dazu kommt: Nachtschichten müssen laut Tarifvertrag mit einem Lohnzuschlag von 20 Prozent honoriert werden. Das treibt die Personalkosten in die Höhe und verteuert das Projekt. „Viele Auftraggeber sind oftmals nicht bereit, dies in der Auftragsvergabe zu berücksichtigen“, erklärt Müller. „Daher findet in der Regel keine Nachtarbeit statt.“

Beim Autobahnbau könne Deutschland durchaus von den Niederlanden lernen, sagt Professor Schreckenberg. Dort müssten Unternehmen wissenschaftlich belegen, dass ihre Baustellen den Verkehrsfluss nicht übermäßig behindern. Das zwinge sie zu besonders effizientem Arbeiten. Der Forscher schätzt, dass in Deutschland bis zu 70 Prozent der Bauzeit eingespart werden könnte, wenn auf Baustellen ebenso effektiv gearbeitet würde wie bei unseren Nachbarn im Westen.