Die Debatte um die Zukunft der Rechtsaußen-Partei spaltet die Politik und die Gesellschaft. Worauf es bei einem Verbotsverfahren ankommt und welche Irrtümer die Diskussion prägen.
Rundschau-Debatte des TagesDie AfD wegverbieten oder wegregieren?

Die AfD setzt sich juristisch gegen die Einstufung als rechtsextremistische Bestrebung durch den Verfassungsschutz zur Wehr. (Symbolbild)
Copyright: Carsten Koall/dpa
Hat Alexander Dobrindt eine neue Lieblingsphrase? Auf den Gedanken kann man kommen, wenn der CSU-Mann zur Zukunft der AfD gefragt wird. Die Partei müsse man „wegregieren, statt wegverbieten“. Das hat Dobrindt mehrfach betont, seit er vor rund einem Monat Bundesinnenminister geworden ist. Erst vorige Woche wieder im Talk mit Sandra Maischberger in der ARD. Da sagte er zudem: Das Gutachten des Verfassungsschutzes sei zu dünn für ein Verbotsverfahren.
Aus juristischer Sicht mag sich die Verbotsdebatte – zumindest vorübergehend – etwas beruhigt haben. Weil die AfD gegen die Einstufung gerichtlich vorgeht, hat der Verfassungsschutz eingewilligt, die Bewertung bis zu einer Entscheidung ruhen zu lassen. Gibt es keine rechtlichen Einwände, dann hieße das: Die AfD, mit 151 Abgeordneten größte Oppositionskraft im Bundestag, ist eine Bedrohung für die Demokratie.
Wie positionieren sich die Parteien und Bundesländer?
Im politischen Raum tobt die Debatte weiter. So fordern die Grünen eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, in der Material gesammelt werden soll, um beim Verfassungsgericht in Karlsruhe ein AfD-Verbotsverfahren zu beantragen. „Bei der AfD handelt es sich um eine brandgefährliche Partei, die die Grundprinzipien unserer freiheitlichen Demokratie offen missachtet“, sagten die Bundestagsabgeordneten Konstantin von Notz und Irene Mihalic vergangene Woche der „Funke-Mediengruppe“. SPD und Linke unterstützen den Vorschlag. Natürlich lässt das Thema auch die schwarz-rote Bundesregierung nicht kalt. Vor allem die SPD zeigt sich offen. Vizekanzler Lars Klingbeil mahnt, ein AfD-Verbot dürfe nicht vom Tisch genommen werden.
Und die Bundesländer? Laut einer Recherche der „Frankfurter Rundschau“ sind bislang nur drei Länder für ein Verbotsverfahren: die beiden von der SPD geführten Stadtstaaten Hamburg und Bremen sowie das CDU-regierte Schleswig-Holstein. Die restlichen Länderchefs sind dagegen oder haben sich noch nicht entschieden. Bremen will nun vorangehen. Dort hat die rot-rot-grüne Koalition einen Dringlichkeitsantrag beschlossen, um sich im Bundesrat für ein Verfahren einzusetzen.
Schon in der vergangenen Legislaturperiode gab es Bemühungen, durch das Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen, ob die Partei auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Im November 2024 wollte eine fraktionsübergreifende Gruppe von Bundestagsabgeordneten um den CDU-Politiker Marco Wanderwitz ein Verbotsverfahren einleiten. Dann zerbrach die Ampel-Regierung, es kam zu Neuwahlen. Über den Antrag wurde nie abgestimmt. Ob ein neuer Anlauf Erfolg hätte, ist fraglich. Anders als SPD und Grüne lehnt die Union ein Verbotsverfahren weitgehend ab. Neben Dobrindt äußerte sich auch Kanzler Friedrich Merz skeptisch und hob hervor, er halte wenig von Parteiverbotsverfahren.
Ohne CDU/CSU wäre ein Verfahren aber kaum vorstellbar. Die Union führt die Bundesregierung, sie stellt die größte Fraktion im Bundestag und hat die meisten Mitglieder im Bundesrat. Es sind die drei Organe, die ein Verbotsverfahren in Karlsruhe anstoßen können.
Merz begründet seine Skepsis damit, dass eine Partei wie die AfD „,aggressiv kämpferisch' gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung“ arbeiten müsse, wie er neulich im Interview mit der „Zeit“ sagte. Das müsse nachgewiesen werden.
Wie bewerten Juristen die Argumentation von Merz?
„Das ist Unsinn“, sagt der Würzburger Rechtsanwalt Chan-jo Jun. „Die Formulierung, dass eine Partei aktiv kämpferisch und aggressiv vorgehen muss, stammt aus den 50er-Jahren, als die KPD wegen solcher Merkmale verboten wurde“, erklärt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Heute beziehe sich der Begriff des Kämpferischen auf das „planvolle und zielgerichtete Vorgehen“ einer Partei bei der Beseitigung des demokratischen Rechtsstaats.
Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch der Berliner Universitätsprofessor Christoph Möllers, einst Bevollmächtigter des Bundesrates im zweiten NPD-Verbotsverfahren. „Die Formulierung, dass eine Partei aktiv kämpferisch und aggressiv vorgehen muss, spielt in den NPD-Urteilen keine Rolle mehr“, sagte Möllers dem „Spiegel“. Den Begriff des Kämpferischen hält er für „tot“.
Tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht 2017, als es um die NPD ging, noch einmal bekräftigt: „Eine Partei kann auch dann verfassungswidrig sein, wenn sie ihre verfassungsfeindlichen Ziele ausschließlich mit legalen Mitteln und unter Ausschluss jeglicher Gewaltanwendung verfolgt.“ Nach Auffassung von Rechtswissenschaftlern ist damit vielmehr gemeint, dass eine Partei ihre verfassungsfeindliche Gesinnung durchzusetzen versucht, indem sie zu Wahlen antritt und dadurch an politischer Bedeutung gewinnt.
Verbreitet Innenminister Dobrindt „Quatsch-Jura“?
Auch mit einer anderen Äußerung hat die Union bei Juristen für Stirnrunzeln gesorgt. Jüngst behauptete Innenminister Dobrindt auf der Bundespressekonferenz, dass für ein Verbotsverfahren eine Partei gegen die drei Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verstoßen müsse: nämlich Menschenwürde, Rechtsstaat und Demokratie. Doch zu den beiden letzten Elementen sage das Gutachten nichts.
Dieser Aussage widerspricht Chan-jo Jun. „Der Innenminister liegt gleich doppelt falsch“, kommentiert er. Erstens beziehe sich das Gutachten sehr wohl auch auf eine mögliche Demokratie- und Rechtsstaatsfeindlichkeit der AfD, wenn auch in einem geringeren Umfang. Zweitens genüge es laut Bundesverfassungsgericht, wenn sich eine Partei auch nur gegen eines dieser Prinzipien richte.
Ein Blick ins besagte NPD-Urteil von 2017 zeigt: Es reicht, wenn sich eine Partei gegen „eines der Wesenselemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ wende, da diese „miteinander verschränkt sind und sich gegenseitig bedingen“. Der Innenminister suggeriere aber das Gegenteil, kritisiert Jun: „Dobrindt verbreitet Quatsch-Jura.“
Was braucht es außer dem Bericht des Verfassungsschutzes für ein Verbot?
In einem Punkt gibt er dem CSU-Politiker aber recht: Dass das Gutachten allein nicht für ein Verbotsverfahren ausreiche. „Das kann es auch gar nicht, weil für ein solches Verfahren zusätzliche Kriterien gelten als für die Bewertung des Verfassungsschutzes.“ Es braucht Beweise, dass die AfD systematisch die Demokratie zerstören möchte. Auch kann eine Partei erst ab einer gewissen Bedeutung verboten werden – die sogenannte Potenzialität.
Eine Voraussetzung, die die AfD aus Juns Sicht klar erfüllt: zweitstärkste Kraft im Bundestag, in fast allen Landesparlamenten vertreten. „Sie muss nicht regieren, um politischen Einfluss zu nehmen“, sagt er.
Hätte ein Verbotsverfahren Aussicht auf Erfolg?
Auch wenn sich die anderen Parteien momentan nicht einig sind: Chan-jo Jun sieht den Zeitpunkt für ein AfD-Verbotsverfahren gekommen. Je mehr Material und Belege die Antragsteller Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung vorlegen, desto schneller könnte das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung treffen. Vor der nächsten Bundestagswahl sei das möglich, ist Jun überzeugt. Und wenn ein Verfahren scheitert? Es würde zeigen, sagt Jun, dass sich die AfD „demokratisiert“ hätte. Dafür müsste sich die Partei aber von ihren radikalsten Mitgliedern trennen.