Nur noch halb so viele Asylbewerber in der ersten Jahreshälfte: Während der Bundesinnenminister seine „Migrationswende“ lobt, sehen Experten vor allem einen Grund für den Rückgang. Zudem begannen die Zahlen schon in der Regierungszeit der Ampel zu sinken.
Rundschau-Debatte des TagesGibt es Dobrindts „Migrationswende“?

Der Verkehr an den deutschen Außengrenzen wird strenger kontrolliert, um illegale Einwanderung einzudämmen.
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Die Begrenzung und Steuerung der Migration ist eines der zentralen Versprechen der CDU-geführten neuen Bundesregierung. „Die Migrationswende wirkt“, stellte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) im Bundestag fest. Tatsächlich gehen die Zahlen der Menschen, die in Deutschland Zuflucht suchen, deutlich zurück. Allerdings ist das ein Trend, der schon vor dem Start der neuen Bundesregierung eingesetzt hat. Warum das so ist, was Experten sagen – die wichtigsten Fragen und Antworten.
Wie haben sich die Zahlen entwickelt?
Die Zahl der Menschen, die in Deutschland Asyl suchen, ist in den vergangenen Monaten deutlich zurückgegangen. Den Angaben des Bundesamtes für Migration zufolge haben bis einschließlich Juni 61.000 Menschen einen Erstantrag gestellt. Im Vorjahreszeitraum waren es noch 121.000 Erstanträge im gleichen Zeitraum – ein Rückgang von knapp 50 Prozent. Die meisten Schutzsuchenden kommen aus Syrien, Afghanistan und der Türkei.
Ein Blick in die Vorjahresstatistiken zeigt, dass die Zahlen aber schon seit 2024 deutlich zurückgehen. 2023 kamen noch 352.000 nach Deutschland, 2024 waren es mit 250.000 Personen bereits 100.000 weniger. Im Herbst 2023 hatte die Ampel-Koalition bereits verstärkt an den Binnengrenzen kontrolliert. Die neue Bundesregierung ist erst seit dem 6. Mai im Amt.
Welche Maßnahmen hat die neue Bundesregierung beschlossen? Bereits kurz nach seinem Amtsantritt Anfang Mai hat Innenminister Dobrindt die angekündigten Zurückweisungen von Asylbewerbern an den deutschen Grenzen angeordnet und die Grenzkontrollen verstärkt. Die Maßnahme ist rechtlich umstritten, ein Berliner Verwaltungsgericht kassierte bereits die Zurückweisung von drei Somaliern. Die Bundesregierung will bis auf Weiteres dennoch daran festhalten, obwohl es auch Kritik aus den Nachbarländern wie etwa Polen gibt, das nun seinerseits Kontrollen eingeführt hat. Bis Anfang Juli wurden etwa 6000 Personen zurückgewiesen.
Die schwarz-rote Koalition hat außerdem den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte ausgesetzt. Das Ziel der Begrenzung von Migration wurde ins Aufenthaltsrecht aufgenommen. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm (CDU), sagt im Gespräch mit unserer Redaktion: „Die Migrationswende wirkt, aber sie steht erst am Anfang.“ In den vergangenen zehn Jahren habe Deutschland 4,3 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. „Wir brauchen jetzt für viele Jahre unterdurchschnittliche Zahlen, um die Überforderung zu beenden.“ Dazu bräuchte es weitere Maßnahmen auf europäischer Ebene.
Was sagen Experten zu den Gründen für den Rückgang?
Der renommierte Migrationsexperte und Vordenker des damaligen EU-Türkei-Deals, Gerald Knaus, sieht für den Rückgang der Asylbewerberzahlen vor allem die veränderte Lage in Syrien nach dem Fall des Assad-Regimes als Ursache. „Die Hauptgruppe, die in den vergangenen zehn Jahren die allermeisten Anträge gestellt hat, waren Syrer. Wir haben nun einen geradezu dramatischen Rückgang von Syrern, die überhaupt in die EU kommen.“ Das Asylrecht für Syrer sei im Grunde ausgesetzt.
„In den ersten fünf Monaten des vergangenen Jahres waren noch 35.000 Syrer anerkannt, in den ersten Monaten des Jahres nur 14“, führt Knaus aus. Die Maßnahmen der neuen Bundesregierung hält Knaus für kaum entscheidend. „Die Zukunft der Migrationswende hängt vor allem davon ab, was mit den 2,8 Millionen Syrern in der Türkei passieren wird. Die entscheidende Frage ist, wo sind die Syrer der Türkei in fünf Jahren? Darum müsste sich Minister Dobrindt jetzt eigentlich kümmern“, meint er. „Die deutsche Migrationswende wird nicht davon abhängen, ob es Grenzkontrollen oder Bezahlkarten gibt.“ Das Potenzial für eine neue Flüchtlingskrise sei noch immer da.