An den jüngsten Abschiebungen von Straftätern nach Afghanistan gibt es Kritik – angesichts der Islamisten, die derzeit das Land regieren.
Rundschau-Debatte des TagesSind Abschiebungen nach Afghanistan der richtige Weg?

Deutschland schiebt damit zum zweiten Mal seit der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 afghanische Staatsangehörige in ihr Herkunftsland ab.
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81 afghanische Straftäter werden mit einer Chartermaschine von Leipzig aus in ihr Herkunftsland abgeschoben. Es ist der zweite Flug dieser Art nach der Machtübernahme der islamistischen Taliban im August 2021. Schon die Ampel-Regierung hatte nach einem ersten Flug im vergangenen August weitere angekündigt. Dazu kam es nicht. Die Nachfolgeregierung unter Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) versprach im Frühjahr sogar regelmäßige Flüge. Die Umsetzung gestaltet sich aber kompliziert.
Welche Straftaten haben die jetzt Abgeschobenen verübt?
Dazu äußerte sich unter anderem Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Demnach ging es bei den Männern um Sexualstraftaten, Mord, Totschlag, schwerere Körperverletzung, Drogen- und Eigentumsdelikte. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) sprach von „schweren und schwersten Straftätern“, die jetzt abgeschoben wurden. Die Betroffenen wurden mit Bussen zum Flieger gebracht. Polizisten waren auf dem Rollfeld präsent. Zu sehen war auch mindestens eine Person, die in Fußfesseln in die Maschine gebracht wurde.
Ist der Zeitpunkt der Abschiebung möglicherweise kein Zufall?
Nicht ausgeschlossen, dass dieser Eindruck bei manchen entsteht. Merz zieht am selben Tag eine erste große öffentliche Bilanz seiner bisherigen Amtszeit, Dobrindt berät mit EU-Kollegen medienwirksam auf der Zugspitze über Asylverschärfungen (siehe Seite 6). Eine Diskussion über den Zeitpunkt gab es auch vor knapp einem Jahr beim letzten Abschiebeflug nach Afghanistan. Der fand zwei Tage vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen statt.
Dobrindt wies Spekulationen in diese Richtung jedoch zurück: „Man kann solche Termine nicht direkt planen“, sagte der CSU-Politiker. Das Koordinieren von Abschiebeflügen habe einen Vorlauf von mehreren Wochen. „Das hätte auch gestern sein können, vielleicht auch morgen, aber in den letzten Tagen hat sich in intensiven Gesprächen noch mal herauskristallisiert, dass es der heutige Tag sein wird.“
Warum sind Abschiebungen nach Afghanistan so schwierig?
Die Bundesregierung hat keine offiziellen Beziehungen zu den islamistischen Taliban, die wegen ihrer Missachtung von Menschen- und vor allem Frauenrechten international isoliert sind. Deutschland erkennt die Taliban nicht als rechtmäßige Regierung Afghanistans an – das hat international bisher nur Russland getan. Mit direkten Verhandlungen auf diplomatischer Ebene würden die Machthaber in Kabul auf internationalem Parkett quasi legitimiert. Deshalb laufen Verhandlungen über die Rücknahme von hier straffällig gewordenen Afghanen über den Umweg Katar. Das Golfemirat vermittelt. Der aktuelle Abschiebeflug nach Kabul erfolgte mit einer Maschine von Qatar Airways.
Warum sind Abschiebungen nach Afghanistan so umstritten?
Bundesinnenminister Dobrindt sieht dafür ein „ganz berechtigtes Interesse der Bürgerinnen und Bürger“, wie er in der ARD sagte. Von der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl heißt es aktuell dagegen: „Abschiebungen nach Afghanistan sind ein eklatanter Verstoß gegen das Völkerrecht, denn die Taliban herrschen dort mit brutaler Gewalt wie Auspeitschungen und Hinrichtungen für Verstöße gegen ihre Sittenregeln.“

Die Taliban sind für ihre Gewaltherrschaft in Afghanistan bekannt. Trotzdem schiebt Deutschland Menschen dorthin ab. Hier feiern Taliban-Kämpfer den dritten Jahrestag des Abzugs der US-geführten Truppen aus dem Land. (Archiv)
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Kritik kam auch von Amnesty International. Niemand verdiene das, „auch nicht Straftäter“, so die Generalsekretärin für Deutschland, Julia Duchrow. „Menschenrechte gelten entweder für alle Menschen oder für niemanden.“ Aus deutschen Regierungskreisen hieß es, es gebe keine Hinweise darauf, dass das Leben der Abgeschobenen in Gefahr sei. Eine Vereinbarung mit den Taliban, dass ihnen in Afghanistan keine Folter drohe, existiere allerdings nicht.
Gab es dieses Mal auch wieder ein sogenanntes Handgeld?
Dazu gibt es bisher keine Informationen. Die damalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte nach dem letzten Abschiebeflug die Zahlung von jeweils 1000 Euro an die nach Afghanistan abgeschobenen Straftäter verteidigt. Das sei ein übliches Verfahren, um nicht zu riskieren, dass Gerichte die Entscheidung aufhöben, weil eine Verelendung der Abgeschobenen drohe, sagte sie damals im ZDF. „Das soll quasi die Sicherheit der Maßnahme absichern.“
Was geschieht mit den Rückkehrern nach ihrer Ankunft vor Ort?
Die Taliban hatten in der Vergangenheit die Bereitschaft geäußert, Rückkehrer aufzunehmen. Dazu, ob abgeschobenen Straftätern in Afghanistan grundsätzlich ebenfalls eine Haftstrafe drohen könnte, haben sich die Machthaber in Kabul bisher nicht offiziell geäußert. Nach dem ersten Abschiebeflug seit Machtübernahme der Taliban im vergangenen August kamen die in Deutschland verurteilten Straftäter kurze Zeit später wieder auf freien Fuß, wie ein hochrangiger Taliban-Funktionär berichtete. Zuvor waren die Personen überprüft worden, zudem hätten ihre Familien schriftlich versichert, dass sie keine Straftaten begehen würden.
Was bedeuten die Abschiebungen für die Taliban?
Für die regierenden Islamisten dürften die Abschiebungen eine Gelegenheit bieten, ihre politischen Beziehungen mit anderen Staaten auszubauen. Erst kürzlich berichtete ein Taliban-Funktionär von einem Treffen mit einem deutschen Diplomaten in Katar: Demnach habe es sich um Gespräche zu konsularischen Dienstleistungen für in Deutschland lebende Afghanen gehandelt. Die Taliban signalisierten nach Bestätigung des Abschiebeflugs auf X, solche Gespräche weiterführen zu wollen.
„Es ist inzwischen nicht mehr zu leugnen, dass die Bundesregierung Gespräche politischen Charakters mit dem Taliban-Regime führt, auch wenn sie weiter darauf beharrt, dass es sich lediglich um sogenannte technische Kontakte handele“, sagt Afghanistan-Experte Thomas Ruttig.
Welche Länder schieben derzeit noch nach Afghanistan ab?
Unter anderem tun das die direkten Nachbarländer Iran und Pakistan, in denen in den vergangenen Jahrzehnten Millionen Afghanen Schutz gesucht haben. Dies geschieht vor allem auf dem Landweg. Auch die Türkei schiebt nach Afghanistan ab, was Menschenrechtler immer wieder anprangern. (dpa)