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Interview

Rundschau-Debatte
Gehen die Menschen zu oft zum Arzt, Herr Laumann?

Lesezeit 4 Minuten
„Wir sollten den Heilberuf des Apothekers generell breiter denken“, sagt NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann.

„Wir sollten den Heilberuf des Apothekers generell breiter denken“, sagt NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann.

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) spricht im Interview über Terminprobleme bei Ärzten, die Rolle der Apotheken und darüber, warum die Einsätze von Rettungswagen nicht immer mit der Fahrt zu einer Klinik enden sollten.

Herr Minister Laumann, gesetzlich Versicherte warten oft einen und mehr Monate auf einen Facharzttermin. Was wollen Sie daran ändern?

In keinem anderen Land gibt es so viele Arzt-Patienten-Kontakte wie in Deutschland – eine Milliarde, jedes Jahr. Trotzdem warten viele Menschen in der Gesetzlichen Krankenversicherung zu oft zu lange auf Facharzttermine. Da stimmt etwas nicht. Manche Regionen sind ärztlich überversorgt, andere unterversorgt. Um das zu ändern, brauchen wir eine bessere Patientensteuerung.

Patienten steuern soll auf Bundesebene das sogenannte Primärarztsystem. Wer einen Facharzttermin haben will, soll zuerst zum Hausarzt gehen – wie einst bei der gescheiterten Praxisgebühr. Warum sollte das diesmal funktionieren?

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Die Praxisgebühr hat zwar Geld ins System gebracht, nämlich drei Milliarden Euro, aber sie hat leider nicht ausreichend gesteuert. Das Primärarztsystem kann das. Wir brauchen zusätzlich aber auch eine Honorarreform für die Praxen und eine Anpassung der Rahmenbedingungen. Die Praxen brauchen für ihre Finanzierung in jedem Quartal viele Krankenkassenkarten. Jede Karte ist ein Arzt-Patienten-Kontakt.

Wie bei den Krankenhäusern, die viele Fälle abrechnen wollen, damit sie sich am Ende wirtschaftlich tragen?

Mit dem Unterschied, dass niemand freiwillig in ein Krankenhaus geht, sondern man dafür eine Einweisung hat oder ein Notfall ist. Bei den ambulanten Praxen ist das etwas anderes. Das aktuelle Honorarsystem bedingt, dass Patienten in die Praxis gebeten werden, auch wenn das nicht notwendig wäre. Warum muss beispielsweise ein Bluthochdruckpatient, der seit Jahren die gleiche Pille nimmt, jedes Quartal in die Praxis, um dann jedes Mal eine Packung für drei Monate zu bekommen? Es ginge auch mit einem Jahresrezept.

Und wer kontrolliert zwischendurch den Blutdruck?

Das kann auch schon heute ein Apotheker tun, dafür zahlen die Krankenkassen bereits. Wir sollten den Heilberuf des Apothekers generell breiter denken. Apotheken vor Ort sind der einfachste Zugang ins Gesundheitssystem. So können wir Arzt-Patienten-Kontakte reduzieren.

Es gibt doch längst das Hausarztprogramm auf freiwilliger Basis und zehn Millionen Menschen machen mit.

Ja, aber wir haben insgesamt 75 Millionen gesetzlich Versicherte. Das zeigt, dass ein freiwilliges Programm, an dem auch nicht alle Hausärzte teilnehmen, nicht reicht.

Schränkt das Primärarztsystem nicht die freie Arztwahl ein?

Nein, jeder kann immer noch zu dem Hausarzt und auch Facharzt gehen, zu dem er gehen möchte. Aber die Eintrittskarte zum Facharzt ist die Überweisung vom Hausarzt. Und da erwarte ich vom Hausarzt eine Priorisierung. Zum Beispiel bei Verdacht auf Krebs sollte man sehr zeitnah einen Facharzttermin bekommen. Wer aber beispielsweise nur zum standardmäßigen Check Up gehen möchte, der kann auch etwas länger warten.

Wissen Sie, auf Versammlungen kommen oft Menschen zu mir, die ihr Leben lang in die Sozialversicherung eingezahlt haben. Dann sind sie 70, gehen zum Hausarzt, der findet etwas und schickt sie zum Kardiologen. Der Patient hat Angst, bekommt aber keinen schnellen Termin. Deswegen ist mir das Thema Terminkoordination sehr wichtig. Da müssen wir daran. Denn klar ist: Die Frage, ob die Leute glauben, dass der Staat funktioniert, hat auch etwas mit einem guten Zugang zum Gesundheitssystem zu tun.

Ist unsere Anspruchshaltung ans Gesundheitssystem zu hoch?

Das weiß ich nicht. Dass man sich um seine Gesundheit oder die seiner Angehörigen sorgt, ist doch klar. Wir müssen uns aber schon die Frage stellen, ob die Gesundheitskompetenz heute nicht mehr so hoch ist wie früher. Ich glaube schon, dass Eltern mit ihren Kindern heute schneller zum Kinderarzt gehen als früher.

Sie haben unlängst kritisiert, dass Rettungswagen heute immer in ein Krankenhaus fahren und immer mit vollem Besteck unterwegs sind. Was wollen Sie daran ändern?

Derzeit wird die Rettungsfahrt nur dann von der Krankenkasse bezahlt, wenn der Weg ins Krankenhaus führt. Aber das ist nicht immer nötig. Oft reicht eine Abklärung und Behandlung vor Ort aus und diese Fälle sind dann Fehleinsätze. Gleichzeitig schimpfen die Krankenkassen über die stark gestiegenen Kosten für Rettungsfahrten. Dieses System muss man ändern.

Wie denn?

Die Rettungsleitstellen müssten so ausgestattet sein, dass sie direkt klären können: Muss ein voll ausgestatteter Rettungswagen raus oder reicht es, wenn jemand mit einem normalen Auto hinfährt? Und am besten muss das zusammen mit dem ärztlichen Bereitschaftsdienst der 116117 laufen. So können wir auch erreichen, dass die Ambulanzen in den Krankenhäusern nicht mehr so überrannt werden. Wir arbeiten in Nordrhein-Westfalen an einer Reform des landesseitigen Rettungsgesetzes, aber am besten wäre es, wenn zunächst die Bundesreform kommt.


Das ist geplant

Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) will mit dem Primärarztsystem für stabile Kassenbeiträge sorgen. Patienten sollen in Zukunft zuerst zum Hausarzt gehen, bevor sie einen Facharzt aufsuchen. Ausgenommen seien der Gynäkologe, der Augenarzt, der Zahnarzt, betonte Warken. Mit dem neuen Modell soll auch eine Garantie für einen Termin beim Facharzt einhergehen. „Wenn der Facharzttermin in der nötigen Schnelle nicht zur Verfügung gestellt werden kann, springt dann das Krankenhaus ein“, so die Ministerin kürzlich in der ARD. (afp)