Die ZP10 laufen. Für viele Schüler sind sie so etwas wie ein kleines Abitur. Elternverbände und Lehrergewerkschaften rufen nach ihrer Abschaffung.
Rundschau-Debatte des TagesUmstrittene Mittelstufenprüfungen – Lohnt sich der Stresstest für Zehntklässler?

Für viele Schülerinnen und Schüler sind die Zentralen Mittelstufenprüfungen so etwas wie ein kleines Abitur – auch, was den Druck angeht.
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Im Vergleich zum Abitur bleiben die Zentralen Mittelstufenprüfungen (ZP10) immer etwas unterhalb des Radars, aber es ist eine große und für viele Jugendliche auch nervenaufreibende Prüfung: Seit Dienstag müssen sich in Nordrhein-Westfalen rund 148.000 Schülerinnen und Schüler dieser Herausforderung in den Prüfungsfächern Mathematik, Deutsch und Englisch stellen. In letzter Zeit wird die Kritik an der ZP10 lauter. Manche Lehrkräfte und Eltern stellen sogar die Sinnfrage.
Eltern: „Belastend und ungerecht“
Die Landeselternschaft der integrierten Schulen („Leis-NRW“) nimmt den Start in diese Prüfungen zum Anlass, „mit Nachdruck die Abschaffung der ZP10“ zu fordern. Integrierte Schulen sind zum Beispiel Gesamtschulen und Sekundarschulen.
„Leis-NRW“-Vorsitzender Harald A. Amelang kritisierte kurz vor dem Beginn der Prüfungen in einer Mitteilung die „erhebliche psychische Belastung“, die von den ZP 10 auf die Schülerinnen und Schüler ausgehe. „Prüfungsangst, Versagensdruck und ein reduzierter Blick auf individuelle Stärken und Interessen sind die Folgen“, warnt Amelang. Zeitgemäß seien solche Prüfungen für Zehntklässler nicht mehr.
Zentrale Abschlussprüfungen suggerierten zwar auf den ersten Blick Objektivität und Vergleichbarkeit, seien aber im Kern ungerecht. Zu unterschiedlich sei die Schullandschaft in der Sekundarstufe 1, zu benachteiligt seien Jugendliche in Schulen in „sozial belasteten Regionen“, um alle gemeinsam in eine Prüfung zu schicken, finden die „Leis“-Eltern.
Gerade die Gesamt-, Sekundar- und Primus-Schulen machten Kindern spezielle und individuelle Lernangebote, die durch die ZP10 regelrecht „konterkariert“ würden. Besser wären schulinterne Abschlussverfahren, flankiert durch landesweite Vorgaben für die Kompetenz der Schulkinder.
Hürde für alle Zehntklässler
Das Netz ist längst voller Tipps und Tutorials nicht nur für Abiturientinnen und Abiturienten, sondern auch für Jugendliche, die sich auf die ZP10 vorbereiten müssen. Früher reichte das erfolgreiche Absolvieren der Klasse 10 für die „Mittlere Reife“, seit fast 20 Jahren aber müssen alle Zehntklässler in Nordrhein-Westfalen – und seit der Rückkehr zum neunjährigen gymnasialen Bildungsgang auch die Gymnasiasten – über diese Hürde.
Ähnliche Prüfungen gibt es in vielen anderen Bundesländern. Berlin und Hamburg haben sie allerdings an Gymnasien wieder abgeschafft.
Ministerium verteidigt Konzept
Das NRW-Schulministerium hält die ZP10 für einen „wichtigen Beitrag für mehr Chancengerechtigkeit“, der für eine bessere Vergleichbarkeit bei der Vergabe von Abschlüssen und Berechtigungen sorge.
Lehrerinnen und Lehrer sowie die Schulaufsicht erhielten durch die Mittelstufenprüfung eine wertvolle Rückmeldung über den Leistungsstand der Schülerinnen und Schüler – gemessen an landesweiten Standards, heißt es. Für die Schülerinnen und Schüler selbst sei die ZP10 eine „hilfreiche Erfahrung im Umgang mit dem Instrument der zentralen Leistungsüberprüfung“ und für jene, die nach der zehnten Klasse weitermachen, eine gute Vorbereitung vor allem auf das Zentralabitur.
Alle weiterführenden Schulen können als Ausgleich zur ZP10 die Anzahl der regulären Klassenarbeiten in Klasse 10 um eine Arbeit verringern, betont die Landesregierung. Außerdem werde zur Entlastung von Lehrkräften in den Klassen 7 und 8 jeweils eine Klassenarbeit weniger in Deutsch, Mathematik und Englisch geschrieben.
Gewerkschaften wollen Überprüfung
Schon im vergangenen Jahr arbeitete sich Philologenverband an den Prüfungen ab. „Es geht auch ohne ZP10“, behauptete Sabine Mistler, NRW-Chefin des Philologenverbandes. Sie forderte den Verzicht auf die Abschlussprüfungen am Ende der zehnten Klasse an Gymnasien.
Der Philologenverband kritisiert vor allem die Zusatzbelastung für Lehrkräfte und die „fehlende Relevanz“ für einen Großteil der Schülerinnen und Schüler an den Gymnasien. „Nur wenige von ihnen verlassen das Gymnasium nach der Mittelstufe. Wir schlagen vor, dass diese überschaubare Gruppe die ZP 10 auf Wunsch freiwillig ablegen kann“, sagte Mistler damals.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in NRW riet sogar zu einer Überprüfung des Sinns aller Prüfungen für Zehntklässler. Falls die ZP10 diese Prüfung nicht bestehen sollte, müsse sie überall verschwinden, nicht nur in Gymnasien. Prüfungen seien schließlich kein Selbstzweck, meinte die GEW-Landesvorsitzende Ayla Celik.
Mittelstufenprüfung
An diesem Dienstag sind in Nordrhein-Westfalen die Zentralen Prüfungen 10 (ZP10) gestartet. Rund 148.000 Schülerinnen und Schüler an gut 2000 Schulen legen bis zum 5. Juni ihre schriftlichen Prüfungen in Deutsch, Mathematik und Englisch ab. Die mündlichen Prüfungen folgen dann im Zeitraum vom 1. bis zum 8. Juli.
An den ZP 10 nehmen Schülerinnen und Schüler der 10. Klassen an Hauptschulen, Realschulen, Gesamtschulen, Sekundarschulen, Primus-Schulen und Gymnasien mit Klasse 10 teil. Auch an den Waldorfschulen (in Klasse 11), den Weiterbildungskollegs im Bildungsgang Abendrealschule sowie an Förderschulen mit zielgleichem Unterricht werden die Prüfungen abgelegt – sofern der Erweiterte Erste Schulabschluss oder der Mittlere Schulabschluss angestrebt wird.
Vor ihren Abschlussprüfungen stehen aktuell auch viele Auszubildende, die den schulischen Teil der Berufsausbildung in einem Berufskolleg absolvieren. Diese Prüfungen werden beispielsweise bei den Industrie- und Handelskammern, den Handwerkskammern, den Kammern der Freien Berufe oder der Landwirtschaftskammer abgelegt. (mk)
Zahl
19,4 Prozent der Lehrkräfte an NRW-Gymnasien, die der Philologenverband im vorigen Jahr zur ZP10 befragte, fanden nach Auskunft der Lehrergewerkschaft die Prüfung sinnvoll – also gerade mal ein Fünftel. Über die Hälfte der Lehrerinnen und Lehrer, die die Prüfung durchführen, hätten dagegen keinen Mehrwert erkannt, hieß es. (EB)
Englisch-Abitur
Das NRW-Schulministerium unter Dorothee Feller (CDU) hat Kritik von Schülern an der Abiturprüfung im Leistungskurs Englisch zurückgewiesen. Die Landesregierung sehe „keinen Grund, die Bewertung der diesjährigen Abiturprüfung im Fach Englisch zu ändern“, heißt es in einem Bericht an den Schulausschuss im Landtag. Das Land reagierte damit auf Proteste unter anderem in einer Online-Petition mit fast 13.000 Unterschriften. Darin wurde in mehreren Punkten Kritik an der zentralen Prüfung geübt, die am 7. Mai in NRW geschrieben worden war. Das Ministerium war aufgefordert worden, eine Nachkorrektur der Klausuren sicherzustellen und eine Bonusregelung etwa durch Zusatzpunkte anzubieten.
Frage des Tages
Am Dienstag sind fast 150.000 Zehntklässler in NRW in die Mittelstufenprüfung gestartet. Aber hat die sogenannte ZP10 überhaupt eine Zukunft? Nicht nur zahlreiche Eltern, auch manche Lehrkräfte ziehen das durchaus infrage. Sie halten die Art und Weise der Leistungsüberprüfung für nicht mehr zeitgemäß.
Was meinen Sie? Ist eine zentrale Leistungsüberprüfung noch zeitgemäß? Bitte schreiben Sie uns:
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