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Rundschau-Debatte des TagesUrteil zum VW-Dieselskandal – Gerechte Strafen oder Bauernopfer?

Lesezeit 6 Minuten
Ein Volkswagen parkt vor dem Landgericht Braunschweig.

Im Prozess zur VW-Dieselaffäre wurden vier Haftstrafen ausgesprochen, nur in zwei Fällen gab es Bewährung.

Lässt sich die strafrechtliche Verantwortung für den Dieselskandal bei VW noch klären? Ein Gericht sieht persönliche Schuld bei vier Männern.

„Manipulieren und Volkswagen, das darf nie wieder vorkommen“ – mit diesem Satz trat Vorstandschef Martin Winterkorn am 22. September 2015 vor die Kamera. „Mr. Volkswagen“ entschuldigte sich, räumte Fehlverhalten ein und versprach: „Wir klären das auf.“ Einen Tag später trat Winterkorn zurück und die umfassende Klärung der Verantwortung für die Manipulationen dauert bis heute an. Ein riesiges Betrugsverfahren gegen vier frühere Manager und Ingenieure ist nun vorerst abgeschlossen. Die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Braunschweig verurteilte zwei Angeklagte zu mehrjährigen Haftstrafen, zwei Ex-Mitarbeiter erhielten Bewährungsstrafen. Die Verteidigung mindestens eines der Männer will allerdings Revision einlegen.

Worum ging es in dem Strafprozess genau?

Im April 2019 informierte die Staatsanwaltschaft Braunschweig über ihre Anklage gegen Winterkorn und vier weitere frühere Führungskräfte beim Autobauer. Die Strafverfolger warfen ihnen eine „Mehrzahl von Straftatbeständen“, vor allem aber einen besonders schwereren Fall des Betruges vor.

Nach mehreren coronabedingten Verzögerungen begann das komplexe Verfahren in der Braunschweiger Stadthalle. Damit startete die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts den Versuch, die mutmaßliche persönliche Verantwortung von VW-Führungskräften für einen der größten deutschen Wirtschaftsskandale überhaupt aufzuklären.

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Aber schon vor dem Beginn war klar geworden, dass Winterkorn auf der Anklagebank fehlen würde. Sein Komplex war aus gesundheitlichen Gründen abgetrennt worden. Die meisten Beteiligten kritisierten das Fehlen des einst bestbezahlten deutschen Konzernlenkers scharf. Viele sprachen von einem Auftakt ohne die eigentliche Hauptperson.

Fast vier Jahre Verhandlung: Wie verlief der Prozess?

Ohne Winterkorn als Schlüsselfigur ebbte die Aufmerksamkeit für den Prozess schnell ab. Das Verfahren zog in normale Gerichtssäle im Landgericht um und fand dort vertieft in die technischen Details nahezu ohne mediale Begleitung statt. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft sollen die Ingenieure und Manager tief in die Entwicklung und den Einsatz der Manipulations-Software in Millionen Fahrzeugen verstrickt gewesen sein. Zur Klärung der Frage, wer wann was über das geheime Programm wusste, überzogen die vier Angeklagten ihren damaligen obersten Chef Winterkorn und sich gegenseitig mit Vorwürfen.

So steht Aussage gegen Aussage. Ingenieure, die die Abschalteinrichtung vorgeschlagen haben sollen, sagen sinngemäß: Wir haben Bedenken geäußert und vor Konsequenzen gewarnt. Die Vorgesetzten entgegnen: Es wurde über Probleme gesprochen, nie aber über ungesetzliches Handeln oder gar Betrug. An dieser Konstellation änderte sich in 174 Verhandlungstagen mit rund 150 Zeugen nichts Wesentliches.

Was weiß man heute zur Dieselaffäre?

Der Ursprung des Industrieskandals geht weit zurück. Mitte der Nullerjahre wollte VW mit Dieselautos in den USA gegenüber der Konkurrenz aufholen. Probleme bei der Einhaltung von Abgasnormen führten nach Überzeugung der Ermittler zu einer Serie von Verschleierungen rund um den Software-Trick. Der Skandal flog im September 2015 auf, als die US-Umweltbehörde EPA über Manipulationen bei Abgastests von Dieselautos informierte. Kurz zuvor hatte VW falsche Testergebnisse eingeräumt. Der Autobauer schlitterte in eine der größten Krisen der Unternehmensgeschichte.

In der Folge gab es durchaus scharfe Konsequenzen wie Haftstrafen in den USA, VW zahlte ein Milliardenbußgeld an das Land Niedersachsen und Entschädigung für rund eine Viertelmillion Dieselkunden. In einem Anlegerverfahren gegen den Volkswagen-Konzern und die Dachholding Porsche SE wird seit 2018 um Schadenersatz für Investoren gestritten, die nach der Dieselgate-Affäre Kursverluste in Milliardenhöhe erlitten.

Im ersten strafrechtlichen Urteil in Deutschland wurde Ex-Audi-Chef Rupert Stadler in München wegen Betrugs zu einem Jahr und neun Monaten Haft auf Bewährung und einer Zahlung von 1,1 Millionen Euro verurteilt. Dabei hatte es zunächst eine Verständigung gegeben, anschließend legten die Verteidiger aber überraschend Revision ein. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Wie sehen die Angeklagten ihre Rolle in dem Skandal?

In Braunschweig war die Überraschung bei vielen Prozessbeteiligten deutlich erkennbar, als die Ankläger ihre Forderungen für das Strafmaß vertrugen. In ihren emotionalen Schlussworten betonten die Angeklagten daraufhin, wie kräftezehrend und ermüdend sie den fast vier Jahre langen Prozess empfanden. Die Männer machten außerdem deutlich, dass sie das geforderte Strafmaß fassungslos mache.

Ein Justizbeamter steht im Gerichtssaal im Landgericht Braunschweig.

Im Strafprozess zur Dieselaffäre sind vier frühere Führungskräfte von Volkswagen wegen Betrugs schuldig gesprochen worden.

Mit viereinhalb Jahren Gefängnis für einen ehemaligen Leiter der Dieselmotoren-Entwicklung gingen die Richter sogar über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus. Der 59-Jährige stand nach Überzeugung der Kammer „im Zentrum des Geschehens“. Zwei Jahre und sieben Monate Haft bekam der frühere Leiter der Antriebselektronik. Der ranghöchste Angeklagte, ein Ex-Entwicklungsvorstand der Marke Volkswagen, erhielt ein Jahr und drei Monate auf Bewährung. Ein ehemaliger Abteilungsleiter wurde zu einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung verurteilt.

Die Verteidiger hatten drei Freisprüche und eine Verwarnung gefordert. Entsprechend fiel ihre Reaktion am Montag aus: „Das Urteil ist falsch“, sagte Rechtsanwalt Philipp Gehrmann nach der Verkündung. Besonders für seinen Mandanten sei die Kammer mit dem Strafmaß von mehr als zweieinhalb Jahren Haft weit über das Ziel hinausgeschossen.

Während die vier Männer aus Sicht der Staatsanwaltschaft des Betrugs überführt sind, sehen sie sich eher als Bauernopfer. Zum Ende des Prozesses wiederholten sie auch ihre Verwunderung darüber, dass Ermittlungen gegen andere Betroffene eingestellt wurden. Dabei schwingt der Vorwurf mit, dass sich einige Beschuldigte mit Gefälligkeitsaussagen bei den Ermittlern aus der Verantwortung stehlen konnten.

Wie geht es weiter – und was ist mit Winterkorn?

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, es wird eine Revision zum Bundesgerichtshof geben. Die juristische Aufarbeitung, die allein VW nach jüngsten Konzernangaben 33 Milliarden Euro kostete, ist auch ansonsten noch nicht beendet. In Braunschweig sind neben dem ersten Prozess und dem Verfahren gegen Winterkorn noch vier weitere Strafverfahren gegen insgesamt 31 Angeklagte offen, wie ein Sprecher des Landgerichts sagte.

Bei neun Angeklagten wurden die Verfahren nach Angaben der Staatsanwaltschaft gegen Geldauflagen eingestellt. Gegen weitere 47 ursprünglich Beschuldigte des Gesamtkomplexes wurden die Verfahren demnach schon während der Ermittlungen gegen Geldauflagen und mit Zustimmung des Landgerichts eingestellt.

Und Martin Winterkorn? Nach Jahren ohne große Auftritte in der Öffentlichkeit wurde der frühere VW-Boss Anfang 2024 vom Oberlandesgericht Braunschweig als Zeuge im Investorenprozess befragt und wies dabei die Verantwortung für den Dieselskandal von sich. „Ich halte diese Vorwürfe für unzutreffend“, sagte Winterkorn damals.

Ein paar Monate später äußerte sich der mittlerweile 78-Jährige als Angeklagter vor Gericht. Dabei widersprach er erneut den Vorwürfen gegen sich und sah seine erfolgreiche Karriere durch die Dieselaffäre beschädigt. Ein Unfall Winterkorns unterbrach den Prozess aber nach nur wenigen Tagen. Ob und wann das Verfahren fortgesetzt werden kann, ist offen. (dpa)


Standpunkt 1

Der Konzern Volkswagen sieht die strafrechtliche Aufarbeitung des Dieselskandals für sich als abgeschlossen an. „Die Volkswagen AG ist nicht an dem Strafverfahren in Braunschweig beteiligt“, zitierte die „Welt“ einen Sprecher. „Aus Sicht der Volkswagen AG folgen aus dem beim Landgericht Braunschweig geführten Strafverfahren gegen Einzelpersonen keine nennenswerten Folgen für Rechtsstreitigkeiten vor Zivilgerichten zur sogenannten Dieselthematik, an denen die Volkswagen AG beteiligt ist.“ (EB)

Standpunkt 2

Die Verantwortung für den Dieselskandal bei Volkswagen tragen nach Überzeugung des Landgerichts Braunschweig nicht nur die vier verurteilten früheren Führungskräfte. Die betroffenen Motoren seien von einer Vielzahl von Personen entwickelt worden, sagte der Vorsitzende Richter Christian Schütz bei der Urteilsverkündung. Nach Überzeugung der Wirtschaftsstrafkammer gebe es weitere Involvierte mit Schlüsselrollen, die teils gar nicht angeklagt seien. Der Richter machte auch klar, dass er mit einigen Zeugenaussagen während des Prozesses nicht einverstanden war. Zeugen hätten vorsätzlich unzutreffende oder ungenaue Angaben gemacht, da sie teilweise selbst Beteiligte seien. (dpa)


Frage des Tages

Es war ein riesiges Strafverfahren um einen der größten Wirtschaftsskandale der Bundesrepublik: Vier Männer sind wegen ihrer Beteiligung am VW-Dieselskandal zu Haftstrafen verurteilt worden. Hat es mit ihnen die Richtigen getroffen?

Was meinen Sie? Wer trägt die Schuld am VW-Dieselskandal? Bitte schreiben Sie uns:

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