„Wir führen die Rentendebatte, als ginge es um Almosen“: Ex-Wirtschaftsweise Peter Bofinger kritisiert den Fokus auf die Generation der Boomer in der aktuellen Rentendiskussion. Von Instrumenten wie der Mütterrente hält der Volkswirtschaftler wenig.
Ex-Wirtschaftsweise Peter BofingerSetzen die Boomer das Rentensystem unter Druck?

Sind die Boomer Schuld an der Krise im Rentensystem?
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Die Boomer-Generation hat es derzeit nicht leicht: Ihr wird die Verantwortung dafür zugeschoben, dass das Rentensystem immer weniger finanzierbar wird. Insbesondere bei Jüngeren wächst der Unmut darüber, vermeintlich allzu hohe Rentenansprüche der Älteren schultern zu müssen. Der Volkswirtschaftsprofessor und frühere Wirtschaftsweise Peter Bofinger warnt im Interview mit Sören Becker davor, in der Debatte die Generationen gegeneinander auszuspielen. Braucht es einen differenzierteren Blick?
Herr Bofinger, viele junge Menschen haben das Gefühl, dass es der Generation Babyboomer sehr gut ging – und sie nun die Rechnung dafür bezahlen müssen. Stimmt das?
Das kann man so nicht sagen. Die Lebensstandards, die junge Menschen heute genießen, sind deutlich höher als bei den Boomern im selben Alter. Der Wohlstand ist enorm angestiegen. Und man muss auch feststellen, dass junge Menschen heute sehr viel mehr Möglichkeiten haben als die Boomer in den Achtzigern.
Für viele junge Leute fühlt sich das nicht so an.
Viele junge Menschen halten die Möglichkeiten, die ihnen das Internet und die Digitalisierung bieten, für selbstverständlich. Allein, dass man rund um die Uhr fast umsonst jede Musik hören kann, die man will, und sich keine Platten kaufen muss. So eine Langspielplatte war früher eine echte Investition. Man hat heute rund um die Uhr kostenfreien Zugang zum gesammelten Weltwissen und kann sich oft auch noch aussuchen, ob man es lieber lesen oder als Podcast anhören möchte. 1980 hatte man eine Tageszeitung, drei Fernsehprogramme und – wenn man es sich leisten konnte – vielleicht noch eine Brockhaus-Enzyklopädie.
Von der Rente bis zur Wehrpflicht: Viele wichtige Fragen diskutieren wir derzeit als Generationenkonflikt. Warum?
Mein Eindruck ist: Die Boomer-Debatte soll von echten Problemen ablenken. In diesen Debatten werden im Grunde Kinder gegen ihre Eltern ausgespielt. Wenn Fragen wie die Rente als Generationenkonflikt artikuliert werden, muss man nicht über die tiefergehenden Probleme reden.
Welche sind das?
In der Rentendebatte versuchen wir gerade zwei Fragen zu klären: Wieviel Rente sollen die Boomer bekommen, und was müssen die Jungen dafür bezahlen? Das Narrativ, wie es beispielsweise Herr Fratzscher mit seinen Thesen prägt, lautet, überspitzt formuliert: Die Boomer haben ihr Geld zum Fenster herausgeschmissen, und jetzt wollen sie auch noch mehr Rente. Dabei vergessen wir aber, dass auch viele Menschen, die jetzt in Rente gehen, wirklich kein tolles Leben hatten. Viele Boomer hatten mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen.
Haben Sie ein Beispiel?
Hohe Arbeitslosigkeit und viele Jahre ohne Reallohnsteigerungen in der ersten Hälfte der 2000er-Jahre. Unter Helmut Kohl lag der Spitzensteuersatz bei fast 57 Prozent, wenn man den Soli berücksichtigt. Die deutsche Einheit ist ein großes Glück, aber war mit vielen Kosten verbunden, die ohne großes Murren solidarisch finanziert wurden. Und zwar hauptsächlich von Boomern. Das hat sich neben hohen Steuern auch in deutlich steigenden Sozialbeiträgen geäußert. Man darf nicht vergessen: Boomer haben ein Leben lang ein Fünftel ihres Einkommens in die Rentenkasse eingezahlt und dürfen zu Recht eine auskömmliche Rente erwarten. Wir führen die Rentendebatte aber, als ginge es um Almosen für Bittsteller. Diese Erwartungen zu enttäuschen, wäre fatal für die Akzeptanz des Rentensystems.
Ich glaube, das ist auch der Punkt für viele Jüngere: Viele rechnen einfach damit, dass sie keine vernünftige Rente mehr bekommen, und sind dementsprechend wenig bereit, Beiträge zu bezahlen.
Das ist ein Denkfehler. Es stimmt, dass wir im Moment ein Problem haben, weil geburtenstarke Jahrgänge, die selbst relativ wenige Kinder hatten, in Rente gehen. Die Zahl der Rentner wächst also schneller als die Zahl der Arbeitenden. Aber in 30 Jahren wird sich dieses Problem aus biologischen Gründen ausgewachsen haben. Es liegt dann allein an der Kinderzahl der Generation Z, wie hoch ihre Rente einmal ausfallen wird. Statt in der Zwischenzeit das Rentenniveau zu senken, wäre es besser, mehr Menschen in die Rentenversicherung zu bekommen. Etwa, indem man Selbstständige pflichtversichert. Bis diese dann ihre Rente ausbezahlt bekommen, ist die Krise vorbei. Das wäre auch für die Jungen gut.
Das müssen Sie erklären.
Wir können beobachten, dass viele Tätigkeiten, die früher von Angestellten verrichtet wurden, immer öfter von Selbstständigen ausgeübt werden. Stichwort Gig-Economy. Früher wurde man vom angestellten Taxifahrer zum Flughafen gebracht, heute macht das vielleicht ein selbstständiger Fahrer, den man über eine Ridesharing-App gebucht hat. Da diese Jobs selten gut bezahlt werden und die Rentenversicherung für sie freiwillig ist, sparen sich viele Selbstständige die Rentenbeiträge. Das verschärft den Druck auf die Rentenkasse und sorgt für Altersarmut. Es sollten möglichst alle in die Rentenversicherung einzahlen, um die angespannte Zeit zu überbrücken, ohne dass die Beiträge zu stark steigen. Und wenn das mehr Menschen tun, erhöht sich das Rentenniveau, und der Anstieg der Beitragssätze kann etwas gedämpft werden.
Gilt das auch für Beamte, so wie Sie?
Bei Beamten ist das genau andersherum. Selbstständige würden erst mal einzahlen und bekämen dann etwas heraus. Die Altersversorgung von Beamten kommt aber bisher aus dem Staatshaushalt. Wenn man Beamte in die gesetzliche Versicherung nimmt, müsste der Staat dann beispielsweise für eine junge Lehrerin 40 Jahre Beiträge in die Rentenversicherung einzahlen, bevor er erstmals entlastet wird, weil er ihr dann keine Pension mehr bezahlen muss.
Dann lehnen Sie wahrscheinlich auch den Protest der jungen Unionsabgeordneten gegen das Rentenpaket ab.
Bei der Mütterrente habe ich zum Beispiel absolutes Verständnis für die Blockade. Unser Rentensystem kommt gerade mit Ach und Krach über die Runden, und jetzt packt die Bundesregierung noch einmal fünf Milliarden Euro Mütterrente in den Rucksack, für die nie Beiträge geflossen sind. Bei allem Respekt für die Mütter: Das ist unverantwortlich. Beim Rentenniveau sehe ich das Ganze weniger drastisch, als die hitzige Debatte es vermuten ließe. Eine künftige Regierung, die 2030 den Bedarf für die Haltelinie nicht sieht, weil sie das nicht mehr für finanzierbar hält, könnte das entsprechende Gesetz jederzeit wieder ändern. Die Haltelinie beim Rentenniveau ist also keine so eine bindende Festlegung, wie die jungen Unionsabgeordneten es darstellen. Ich bin, was das angeht, also relativ entspannt.
Herr Fratzscher hat vorgeschlagen, dass wir die Lücke mit einer Abgabe auf Renten und Pensionen überbrücken, die in die Rentenversicherung fließen soll, um kleine Renten etwas höher werden zu lassen. Was halten Sie von diesem Boomer-Soli?
Wenig. Das Gute am Steuersystem ist, dass wir Menschen, die viel haben, auch entsprechend belasten können. Das ist das sogenannte Leistungsfähigkeitsprinzip. Ein Boomer-Soli könnte aber zum Beispiel dazu führen, dass ein Rentner genauso viele Steuern zahlen müsste wie ein Angestellter mit einem deutlich höheren Einkommen. Warum wir hier überhaupt nach dem Alter unterscheiden sollen, erschließt sich mir nicht. Wenn wir wollen, dass die Boomer etwas zu den Mehrkosten, die ihre Rente verursacht, beitragen, wäre eine Erhöhung der Erbschaftssteuer für größere Vermögen das beste Instrument. Denn die Boomer, die in ihrem Leben sehr hohe Einkommen erzielen und einen hohen Lebensstandard genießen konnten, haben in der Regel auch ein hohes Vermögen aufbauen können. Dort anzusetzen wäre zielführender als ein Boomer-Soli.

