Die Boomer und die Generation Z überziehen sich mit Vorwürfen und Klischees. Verstehen sich Jung und Alt nicht mehr? Der Psychologe Rüdiger Maas findet das nicht schlimm – dass die Jugend aber kleingehalten wird, hingegen schon.
Psychologe über Boomer vs. Gen Z.„Wir dulden es schließlich, dass junge Menschen so bequem sein dürfen“

Legen die Jüngeren zu viel Wert auf Freizeit? Dieser Vorwurf ist von Arbeitgebern immer wieder zu hören.
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Vom Ärger über das Rentenpaket bis hin zur Debatte um Fachkräftemangel: zentrale politische Themen werden nicht selten auch als Generationskonflikt verhandelt. Boomern wird vorgeworfen, sich auf Kosten der jungen Menschen ein bequemes Leben zu machen; die Jungen wiederum müssen sich anhören, dass sie zu bequem zum Arbeiten seien. Was ist da dran? Der Psychologe und Generationenforscher Rüdiger Maas spricht im Interview mit Maik Nolte über das Verhältnis zwischen Alt und Jung, Versäumnisse der Eltern und die globalen „One Piece“-Proteste.
Herr Maas, dass die junge Generation sich an der älteren abarbeitet, ist an sich ja nichts Ungewöhnliches. Aber stellen die derzeitigen Attacken gegen die Boomer nicht doch eine neue Qualität im Generationenkonflikt dar?
Die Jüngeren, die gerade erst anfangen zu arbeiten, müssen die Rente der Älteren finanzieren und bekommen selbst mit einer hohen Wahrscheinlichkeit keine richtige Rente mehr, wenn das System sich nicht grundlegend ändert – da kann man das Gefühl der Ungerechtigkeit schon verstehen, weil das ganze Problem auch mehr oder weniger schon seit 50 Jahren bekannt ist. Ganz anders sehe ich es bei der Wehrpflicht, da finde ich den Begriff der Generationengerechtigkeit völlig deplatziert.
Warum?
Wenn wir ehrlich sind, hatten wir genau eine Generation, die nicht bei der Bundeswehr war, im Gegensatz zu allen anderen. Und jetzt die Jüngeren da auszusparen, bedeutet ja, sie permanent in die Passivität zu drücken. Dasselbe Problem haben wir auch bei der Idee mit dem Boomer-Soli – man entlässt die jungen Menschen in die passive Rolle, indem man letztlich sagt: Lasst das mal die Alten machen, ihr könnt das sowieso nicht. Das sehe ich sehr kritisch.
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Aber hat die jüngere Generation denn tatsächlich ein Problem damit, in diese Passivität gedrückt zu werden? Sie tendiert doch offenbar selbst dazu ...
Absolut. Aus der Sicht des Psychologen sehe ich das als Kernproblem: Wenn wir eine Alterskohorte groß werden lassen, die keine Räume bekommt, eine Resilienz zu entwickeln, keine negative Erfahrung machen darf – woran soll die denn wachsen und reifen? Als Folge empfinden nicht wenige sich als ohnmächtig der Umwelt gegenüber, weil sie nie gelernt haben, sie aktiv mitzugestalten. Das ist keine gute Voraussetzung.
Wir sprechen ja seit 20 Jahren von Helikopter-Eltern. Heißt das, wir sehen jetzt das Ergebnis dieser Entwicklung?
Das könnte man so sagen. Wir haben aber, was oft unter den Tisch fällt, auch das andere Extrem: junge Menschen, die komplett vernachlässigt werden. Viele verlassen die Schule ohne Abschluss, und auf der anderen Seite sind die Unis voll von jungen Menschen mit Einser-Abi, die aber dort eigentlich gar nichts verloren haben. Ein Anstieg an Vernachlässigung und ein Anstieg an Überbehütung – es gibt weniger Mittelweg.
Sind die Älteren nicht auch ein bisschen mit Schuld daran, dass die Gräben zwischen den Generationen so tief sind? Schließlich heißt es seit Jahren immer, die jungen Leute heute sind entweder zu faul oder zu blöd oder beides.
Eigentlich sind die Gräben gar nicht so tief, wie viele meinen. Ich persönlich würde auch nicht sagen, die Jüngeren seien „zu faul“. Das hieße ja, es gäbe auch eine Generation, die das nicht ist. Wer soll das sein? Welche Generation ist infolge „zu fleißig“, wo ist denn der Referenzpunkt bei so einer Aussage? Ich kann nicht mein Kind jeden Tag zur Schule fahren und dann sagen, es sei zu faul, selber zur Schule zu laufen. Das sind einfach diese Widersprüche, die wir immer wieder aufmachen und die ein Ergebnis dessen sind, was wir vorleben. Wir dulden es schließlich, dass junge Menschen so bequem sein dürfen.
Offenbar verstehen sich die Boomer-Generation und die Gen Z kaum mehr, die Kommunikation scheint schwer gestört. Was kann man dagegen tun?
Sie sprechen sehr oft aneinander vorbei. Aber wir müssen uns doch fragen: Muss denn ein 60-, 70-Jähriger einen 15-Jährigen überhaupt verstehen? Woher kommt dieses Harmoniebedürfnis? Das ist doch ein Wahnsinn. Wenn sie sich supergut verstehen, dann deswegen, weil einer von beiden nicht altersadäquat agiert. Aber können wir Instagram oder TikTok nicht einfach den Jungen lassen und akzeptieren, dass Ältere einen anderen Habitus haben? Als Sie oder ich jung waren, hätten wir es doch auch schlimm gefunden, wenn die Eltern mit zum Punk- oder Rock-Konzert gegangen wären und mitgegrölt hätten. Genau das machen sie aber heute.
Wir müssen uns gar nicht verstehen?
Was wir müssen, ist: fair miteinander umgehen. Jeder muss eine Chance haben. Wir müssen den Jungen Zukunftsvisionen geben, aber uns nicht mit ihnen auf Augenhöhe treffen oder uns super mit ihnen verstehen. Nehmen wir die Wehr-Debatte: Was ist denn da das Zukunftsversprechen? Wer heute 16, 17 Jahre jung ist, hat ja sein Leben lang immer nur gehört, dass die Bundeswehr gar nichts kann, dass Gewehre nicht richtig schießen, Panzer nicht fahren, was auch immer. Und jetzt ist ein Krieg vor der Haustür und es heißt: Du, wir brauchen dich jetzt, und zwar genau in dieser verkorksten Armee. Ist doch klar, dass man so keine Begeisterung weckt. Aber genau das ist unsere Aufgabe: die Jungen zu begeistern und zukunftsfähig zu machen – und deswegen sollten wir unsere Bundeswehr auch nicht schlechtreden.
Aber ist die Jugend nicht auch selbst gefordert, ihre eigenen Zukunftsvisionen zu gestalten? Wir wollten damals doch auch die Welt verändern.
Auf jeden Fall. Aber wir hatten auch keine dauer-panischen Eltern. Als ich in den 80ern groß geworden bin, gab es plötzlich HIV, Tschernobyl, sauren Regen, Waldsterben, Ozonloch, BSE. Nach Tschernobyl durften wir eine Woche nicht draußen spielen, nach zwei Wochen hat es keinen Menschen mehr interessiert. Man hat uns die Zukunftsfantasie mehr oder weniger gelassen. Heute wächst man in dem Gefühl auf, dass es nur bergab geht, dass Deutschland vor die Hunde geht, dass die Klimakatastrophe kommt. Und dann geht man eben zurück in die Social-Media-Welt, wo man fünf Stunden passiv bespielt wird, wo dir AfD-Content jeden Tag sagt, wie schlecht alles in Deutschland ist, oder Influencer dir sagen, wie toll sie in Dubai leben.
Dennoch gibt es ja junge Leute, die ihr Recht auf Mitgestaltung der Zukunft mit Nachdruck einfordern – in vielen Ländern sammeln sie sich unter dem Symbol der Totenkopffahne aus der Manga-Serie „One Piece“. Entsteht da mittlerweile eine globale Protestbewegung, vielleicht sogar ein Nachfolger von Fridays for Future?
Das Potenzial ist auf jeden Fall da. Eine digital geprägte Bewegung wie diese kann eine starke Dynamik entfachen, da bin ich ziemlich sicher. Allerdings nur bei denen, die hungrig auf Veränderung sind, nicht bei trägen und gesättigten jungen Menschen wie zum Beispiel hier vielerorts in Deutschland. Auch Fridays for Future war ja eine ziemlich bequeme Gen-Z-lastige Bewegung – jeden Freitag um zwölf Uhr demonstrieren und bloß zu fordern, ohne darüber hinaus irgendwas zu machen, ist ja ebenfalls passiv.
Vielleicht blieb sie das auch, weil die herrschende Generation ziemlich schnell klargestellt hat, dass die Jungen gefälligst die Klappe halten sollen ...
Man kann Friedrich Merz und Co. ja verstehen: Es sind die Rentner, die sie wählen. Die Erstwähler-Kohorte, über die wir die ganze Zeit sprechen, umfasst nur 3,7 Prozent. Denen irgendwas Gutes zu tun, bringt politisch wenig – gesellschaftlich aber würde es eine Menge bringen. Gäben wir jungen Menschen eine Zukunftsvision, bekämen wir auch wieder eine Progressivität in Deutschland, das Gefühl, hier passiert was, hier kommt was und wir nehmen alle mit. Leider fehlt das komplett. Die „German Angst“ nimmt niemanden mit, sondern macht alle nur unzufrieden.
Die GenZ ist die erste, die komplett in der digitalen Welt aufgewachsen ist. Jetzt wird in Teilen der Politik diskutiert, den Zugang zu sozialen Medien für unter 16-Jährige zu sperren. Ist das nicht eine rote Linie für die Jüngeren?
Wir haben mehrere tausend junge Menschen zu einer solchen Altersbeschränkung befragt. Und rund 50 Prozent haben gesagt: Social Media bitte erst ab 16! Weitere 30 Prozent sagten: erst ab 18. Das heißt: 80 Prozent der Jugendlichen sind für ein Heraufsetzen des Social-Media-Konsumalters.
Das überrascht mich.
Wichtig ist ihnen, dass eine solche Beschränkung dann auch ausnahmslos für alle gilt. Dann habe ich auch nicht die Angst, etwas zu verpassen. Für die nächste Alterskohorte wird es dann völlig normal sein, Social-Media erst mit 18 nutzen zu dürfen - so wie es für uns normal war, erst ab 18 Autofahren zu dürfen. Nein, die Jungen verstehen die Problematik sehr wohl. Drei Viertel von ihnen sagen sogar, sie fühlen sich nach dem Nutzen von Social-Media schlechter als vorher. Überhaupt sehen wir kaum positive Effekte aus Social-Media heraus, außer vielleicht bei wenigen Menschen, die ganz grundsätzliche Anschlussprobleme haben. Stattdessen verzeichnen wir einen enormen Anstieg an stoffungebundenen Süchten, wie etwa Internet-Spielsucht. 14-Jährige sind für diese Addictive-Design-Algorithmen schlicht nicht gemacht. Beschränken wir den Zugang, können Lehrer und Eltern in solchen Fällen viel besser reagieren. Und wenn man sagt, wir müssen Kinder aber ja trotzdem langsam ans Netz heranführen, dann müssen wir TikTok und Instagram auferlegen, nur Inhalte zu bringen, die auch altersadäquat sind und idealerweise mit reduzierten Addictive Design Elementen. Darüber kann man diskutieren, aber das findet ja nicht statt.
Ist das denn überhaupt wirklich realistisch?
Ja, klar. Sogar der einfachste Zigarettenautomat verlangt ja einen Altersnachweis. Jedes Handy kann das mit dem heutigen Personalausweis. Technisch ist das alles möglich.
Aber würden sich Jugendliche durch ein Verbot nicht gegängelt fühlen?
Nach dem Motto: Jetzt nehmen uns die Alten auch noch das Internet weg? Im Gegenteil – unsere Studien zeigen eher, dass Jugendliche sagen: Endlich versteht uns mal einer, alleine kommen wir davon ja nicht weg. Wer es nicht versteht, sind die Älteren.

