Jeden Tag muss Niklas sich in den Finger stechen. Stets muss er wissen, wie hoch oder niedrig seine Blutzuckerwerte sind. Niklas hat Typ-1-Diabetes, seit er drei Jahre alt ist. Jetzt ist er 14, und die Werte regelmäßig zu messen und in ein Heft einzutragen, das hat oft nicht geklappt. Aber mit einem iPod und einer Blutzucker-App (iBGStar, gratis) hat er einen Anreiz - damit klappt's. Der Blutstropfen kommt auf einen Teststreifen, der Teststreifen in ein kleines Zusatzgerät, das an den iPod angedockt wird und den Streifen scannt. Niklas Balicki trägt ein, wie viel Insulin er gespritzt hat, was er gegessen und ob er Sport gemacht hat.
Für chronisch Kranke können Apps einen großen Nutzen haben. Aber auch viele Gesunde nutzen die kleinen Programme. Christine K. (Name geändert) etwa wacht jetzt sanfter auf. Ein leises Handy-Summen weckt sie, und zwar genau in einer Leichtschlaf-Phase. "Das ist sehr angenehm", sagt die 22-Jährige. "Sleep Cycle" ist eines der erfolgreichsten Angebote in Deutschland.
Neben dem Kopfkissen registriert das Smartphone die Erschütterungen auf der Matratze, wenn man sich im Schlaf bewegt - und genau das ist meist im Leichtschlaf der Fall. Diagramme zeigen die Schlafqualität an, man kann eingeben, ob man abends spät gegessen oder Sport gemacht hat. Schlafforscher sind jedoch skeptisch: In Vergleichen schnitt das Handy schlechter ab die Überwachungstechnik im Schlaflabor.
Erfolgreich sind Rauchfrei-Apps, Abnehm-Apps oder Sport-Apps, etwa "Runtastic" oder "Smartrunner". Thomas Kleinekemper nutzt das für seine Jogging-Bilanz. Wie weit und wie schnell ist er gelaufen, wie viel Höhenmeter hat er bewältigt und wie viele Kalorien verbraucht? Der Versicherungskaufmann findet das sehr nützlich: "Das spornt an." Ehefrau Kathrin Kleinekemper schwört im Sommer auf "Pollenalarm": Ort- und tagesgenau sieht sie, was durch die Luft fliegt. Apps wie "Cardiograph" - einfach den Finger an die Kamera halten und so die Herzfrequenz messen - sind für sie jedoch "reine Spielerei".
15 000 Apps im Gesundheitsbereich
Insgesamt 15 000 Apps gibt es inzwischen im Gesundheitsbereich, so schätzt es der Bundesverband Informationswirtschaft und Telekommunikation, Bitkom. Damit hat sich die Zahl seit 2010 fast verdreifacht. Die große Nachfrage verheißt lukrative Geschäfte, denn die Verbindung von IT und Gesundheit gilt als einer der größten Märkte der Zukunft. Viele Nutzer sind experimentierfreudig, lesen kurz die technische App-Beschreibung (Kosten, Version, Dateigröße) und orientieren sich an den Bewertungen anderer.
Reicht das? Beatrix Reiß vom Zentrum für Telematik im Gesundheitswesen (ZTG) sagt Nein. "Es gibt irrsinnig viele Anbieter, und der Nutzer erfährt nur selten, wer hinter einem Produkt steht. Ärzte, Pharmafirmen, IT-Start-ups, Krankenkassen - jeder hat ein anderes Interesse." Deshalb hat das ZTG eine App-Bewertungsplattform eingerichtet. "App-Check" heißt die Seite (siehe Link-Tipp), auf der Gesundheits-Apps bewertet werden. Kriterien sind etwa, wie gut ein Programm zu bedienen ist, ob man Vorkenntnisse braucht und wie hoch der Nutzen ist. Aber eben auch, ob die Daten von Dritten genutzt werden.
Denn Apps entwickeln und anbieten, das darf jeder. Gütesiegel gibt es nicht. Die Verbraucherzentrale NRW rät, sehr genau zu prüfen, von wem die Angebote stammen und ob die Inhalte fachlich fundiert sind. Am verlässlichsten seien Apps von Anbietern wie Krankenkassen, unabhängigen Vereinigungen oder medizinischen Facheinrichtungen. Wichtig kann auch ein Gespräch mit dem Arzt sein. Zwar sind App-gestützte Messwerte nach einer Studie der Stiftung Warentest so zuverlässig wie herkömmliche Geräte. Aber viele Ärzte sind noch nicht darauf eingestellt, Werte von Patienten per Mail zu bekommen.
"Wir haben festgestellt, dass auch viele Patienten über Gesundheits-Apps - und deren Grenzen - erschreckend wenig wissen", sagt ZTG-Mitarbeiterin Eva Diercks. Die Tester raten deshalb, bei den Programmen darauf zu achten, ob Anmerkungen wie "Bei kritischen Werten konsultieren Sie einen Arzt" angezeigt werden. Ein solcher "virtueller Beipackzettel" zeige die Seriosität eines Anbieters. Aber oft fehlt er eben bislang.
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