Serie „Spurensuche“Neville Chamberlain und sein Treffen mit Adolf Hitler bei Köln

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Adolf Hitler zwischen  Chamberlain, Edourad Daladier, Benito Mussolini und Graf Galeazzo Ciano  1938 in München. 

  • In unserer Serie „Spurensuche“ stellen wir Personen und ihre Kölner Zeit vor.
  • Anselm Weyer widmet sich diesmal Premierminister Neville Chamberlain, über dessen Appeasement-Politik gegenüber Adolf Hitler bis heute debattiert wird.

Köln – Er könne nicht weiter hinnehmen, dass seine Landsleute, obwohl sie in den betreffenden Gebieten die Mehrheit der Bevölkerung stellten, weiter unterdrückt würden, verkündete der Diktator. Sollte keine schnelle Lösung gefunden werden, so Hitler, dann würde Deutschland in die Tschechoslowakei einmarschieren. Das wollte Großbritannien unbedingt verhindern, denn dann müsste es seinem Bündnispartner zu Hilfe kommen. Der britische Premierminister Neville Chamberlain, der den Ersten Weltkrieg noch zu gut in Erinnerung hatte, wollte so lange es irgend ging am Verhandlungstisch bleiben, um Hitler zu beschwichtigen und einen weiteren Krieg zu verhindern.

Eine Flugreise zum Treffen mit Adolf Hitler

Und Chamberlain tat etwas bis dahin Unerhörtes: Obwohl es damals alles andere als normal war, dass sich Staatschefs verschiedener Nationen persönlich zu Verhandlungen trafen und obwohl er großen Respekt vor der neuen Kunst des Fliegens hatte, unternahm er erstmals eine Flugreise, um Adolf Hitler in Deutschland zu besuchen. Und als das erste Treffen in Berchtesgaden die sogenannte Sudetenfrage nicht lösen konnte, machte er sich zu einem zweiten Besuch auf. Diesmal, so versicherte Hitler gönnerhaft, solle die Reise weniger weit führen: „Das nächste Mal treffe ich Sie irgendwo in der Nähe von Köln.“

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Neville Chamberlain 

Chamberlain habe London am Donnerstag, dem 22. September 1938, gegen 10.40 Uhr im Sonderflugzeug verlassen und steuerte den Butzweilerhof in Köln an.

Alles zum Thema Flughafen Köln/Bonn

„Am Ausgang des Rollfeldes wehte neben dem Hakenkreuzbanner die englische Flagge“, berichtete die Kölnische Zeitung. „Blauer Himmel wölbte sich über der grünen Ebene des Flugfeldes, auf dem sommerlich warm die Sonne lag. An den Tischen des Flughafenrestaurants und auf den Zuschauerrängen nahm die Menschenmenge von Stunde zu Stunde zu. Im Flughafenrestaurant wurde auf Anweisung der Stadtverwaltung ein Frühstück für den hohen Gast vorbereitet. SS-Mannschaften fuhren vor. Vertreter der Behörden stellten sich ein.“

Neville Chamberlain trifft Adolf Hitler in Bad Godesberg 

Als Neville Chamberlains Lockheed 14 Super Electra gegen 12.30 Uhr über dem Butzweilerhof erschien, regte sich Jubel. Allen anderen voran entstieg der Premierminister in schwarzem Hut und schwarzem Mantel dem Flugzeug über eine vorgefahrene Treppe. Ihn empfing neben dem britischen Botschafter Sir Neville Henderson und dem britischen Generalkonsul in Köln unter Heil-Rufen auch Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop, eine jubelnde Menge sowie eine SS-Ehrenkompanie der Totenkopfstandarte Brandenburg, die die britische Nationalhymne spielte – deren Melodie bis 1918 auch als deutsche Hymne gedient hatte. Chamberlain erwiderte den Hitlergruß mit zivilem Winken. Sein Flug sei interessant und vom besten Wetter begünstigt gewesen, teilt er der Presse mit, um sich dann zu seinem eigentlichen Ziel aufzumachen: Dem Rheinhotel Dreesen in Bad Godesberg.

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Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop begrüßt am 22.9.1938  Neville Chamberlain auf dem Kölner Flughafen, um ihn nach Godesberg zu begleiten.

Die Wagenkolonne fuhr um 12.45 Uhr los. Der Weg ging über die Militärringstraße, die Mülheimer Brücke und die Reichsautobahn Köln-Siegburg – sehr zur Enttäuschung vieler Menschen, die sich an die Köln-Bonner Autobahn gestellt hatten, um einen Blick auf den Briten werfen konnten.

Hitler wartete bereits im Hotel auf seinen Gast. Mehrere Tage wurde verhandelt. Am Samstagmorgen ging es für Chamberlain, der im Hotel Petersberg untergekommen war, wieder per Flugzeug vom Butzweilerhof nach England, abermals unter Aufmarsch der SS-Totenkopfstandarte. Es gab zunächst eine Verzögerung, weil die Wagenkolonne die Mülheimer Abfahrt von der Reichsautobahn verpasst hatte. Da die Maschine gegen 11.20 Uhr auf dem nördlichen Teil des Rollfeldes startete, konnten die zahlreichen Schaulustigen wenig sehen. Trotzdem war die Begeisterung allenthalben groß: „Ein weltgeschichtliches Ereignis hat damit seinen äußern Abschluss gefunden“, jubelt die Kölnische Zeitung.

Das Münchner Abkommen gilt noch heute als Skandal

Auch Chamberlain gab sich bei seiner Rückkehr optimistisch. Nachdem er um 13.14 Uhr auf dem Flughafen Heston eingetroffen war, erklärte er der versammelten Presse: „Ich vertraue darauf, dass alle Beteiligten ihre Bemühungen fortsetzen werden, um das tschechische Problem auf friedliche Weise zu regeln, weil davon der Friede Europas abhängt.“

Schon bald sollte Chamberlain zu einer dritten Flugreise aufbrechen, um diesmal neben Hitler auch Benito Mussolini und den französischen Ministerpräsidenten Édouard Daladier zu treffen. Das am 30. September 1938 unterzeichnete Münchner Abkommen gilt heute noch als Skandal. Über den Kopf der Tschechoslowakei hinweg, die nicht mit am Verhandlungstisch saß, wurde Deutschland kampflos das Sudetenland zugesprochen. Chamberlain rechtfertigte sich für die Entscheidung. Solle denn Großbritannien wirklich in den Krieg ziehen „wegen eines Streits in einem fernen Land, zwischen Menschen, von denen wir nichts wissen?“

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Der Krieg brach ein Jahr später trotzdem aus. Nachdem Chamberlain noch als Premierminister Deutschland wegen des Einmarschs in Polen den Krieg erklärt hatte, trat er im Mai 1940 zugunsten Winston Churchills zurück und verstarb am 9. November 1940 mit 71 Jahren. Seine Appeasement-Politik wird zumeist als gefährlicher Irrweg gesehen. Es gibt aber auch andere Stimmen. Offensichtlich war Hitler durch nichts von seinem Krieg abzuhalten gewesen. Wäre es besser gewesen, wenn er bereits 1938 ausgebrochen wäre? Hitler selbst jedenfalls war vom Ergebnis der drei Besuche Chamberlains, der kampflosen Annexion der Tschechoslowakei, nicht begeistert. Er wäre gerne als kriegerischer Befreier gekommen. Und er bereute, die Niederlage vor Augen, dass er sich damals in Bayern und im Rheinland von Chamberlain hatte einlullen lassen. „Man musste den Krieg 1938 machen. Das war für uns die letzte Chance ihn zu lokalisieren“, soll er im Februar 1945 im Führerbunker geschimpft haben. „Aber sie haben überall eingelenkt. Wie Feiglinge haben sie allen unseren Forderungen nachgegeben. So war es tatsächlich schwierig, die Initiative zu Feindseligkeiten zu ergreifen. Wir haben eine einmalige Gelegenheit verpasst.“

Anselm Weyer ist promovierter Germanist, schreibt Architekturführer und beschäftigt sich vielfältig mit der Kölner Stadtgeschichte.

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