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Kölner Ex-BürgermeisterinZurück ins schwierige Zuhause der Kindheit

4 min
Angela Spizig mit privatem Album.

Angela Spizig mit privatem Album.

Angela Spizig reist als ZDF-Fernsehrätin für eine Filmpremiere nach Salzwedel, wo sie geboren wurde.

Die Kölnerin Angela Spizig hat an diesem Donnerstagabend einen ganz besonderen Termin. Sie kehrt in offizieller Funktion zurück an ihren Geburtstort Salzwedel in Ostdeutschland. In den 1950er Jahren war ihre Familie mit ihr als Kleinkind aus der russisch besetzten Zone geflohen. Jetzt kommt sie in ihrer Funktion als Fernsehrätin des ZDF dorthin zurück, um an der festlichen Premiere des Films „In die Sonne schauen“ teilzunehmen.

Der Kinofilm setzt sich mit Traumata auseinander, die Familien über längere Zeit begleiten. Er gewann den Jury-Preis des Wettbewerbs von Cannes, Ausgangspunkt seiner Erzählung ist ein Bauernhof in der Altmark in Sachsen-Anhalt. Und der liegt in dem Gebiet, in dem Angela Spizig geboren wurde und die ersten Jahre ihres Lebens verbrachte. Das ZDF hat den Film mit produziert, Spizig ist im Aufsichtsgremium des Senders. „Ich war fasziniert, dass hier ein Stoff erzählt wird, der manche Parallelen hat zu meiner eigenen Lebensgeschichte“, erzählt Spizig im Gespräch mit der Rundschau.

Familienchronik des Vaters

In ihrem Wohnzimmer in Köln-Lindenthal blättert sie durch vergilbte Bücher, handgeschrieben, mit etlichen Schwarz-Weiß-Fotos illustriert. „Mein Vater hat eine Art Familienchronik geführt“, sagt Spizig. Ein Bild zeigt sie im weißen Kleid auf dem Schoß eines Lehrers.

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Als Frühgeburt kam sie kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in Salzwedel zur Welt. Ihr Vater war als junger Soldat gerade zurückgekehrt, ihre Mutter war widerwillig im Arbeitsdienst, hatte Funksprüche der Briten dekodiert und übersetzt. Laut Familienchronik wohnte man in der DDR in einem kleinen Zimmer über einer Bäckerei, wo es auch Mäuse gab. „Deshalb habe ich noch heute Angst vor Mäusen“, sagt Angela Spizig.

Der anstehende Termin in ihrer alten Heimat Salzwedel hat Spizig dazu bewegt, nicht nur ihre eigenen Erinnerungen ins Gedächtnis zu rufen, sondern auch in den zehn handgeschriebenen Händen der väterlichen Familienchronik zu blättern. Von Glücksgefühlen schrieb ihr Vater da – den Krieg überlebt zu und eine wundervolle Familie zu haben.

Volksaufstand in DDR miterlebt

Im Alter von vier Jahren zog die Familie um nach Haale an der Saale. Der Vater wurde von einem Nachbarn denunziert, der überzeugter Kommunist war: Familie Spizig hatte zu Hause am 1. Mai nicht die rote Flagge gehisst. Auf dem Hof der „Arbeiter- und Bauernfakultät“ musste der Dozent öffentlich Abbitte leisten. „Beim Volksaufstand am 17. Juni 1953 rollten dann Panzer durch die Straßen, auf denen ich immer gespielt hatte“, erinnert sich Angela Spizig. Der Aufstand wurde brutal niedergeschlagen.

Die Eltern flüchteten mit der jungen Angela und ihrer Schwester ins Sauerland. Beim Einpacken des Geschirrs hat der Vater laut Klavier gespielt, damit die Nachbarn nichts merken, steht in der Familienchronik. Im Westen dann musste ein ganz neues Leben musste aufgebaut werden. Spizig hat erlebt, wie ihr als Flüchtlingskind von Mitschülern Prügel angedroht wurde. Von solchen Übergängen des Lebens erzählt auch der Film „In die Sonne schauen“.

Einen Umzug später fand sich die Schülerin Angela Spizig in Solingen wieder. Weil sie geflüchtet war, wurde der Familie das Schulgeld erlassen. Sie kämpfte sich durch. Mit gebrauchten Büchern und später mit Besuchen in der örtlichen Stadtbibliothek. „Bücher haben mir damals ganz viel Trost gegeben“, erinnert sie sich: „Ich stellte fest, dass es so viel mehr gibt als in meinem bisherigen Leben.“

Plädoyer für mehr Ost-Filme

Es folgten ein Stipendium für einen Schüler-Aufenthalt in den USA, ein Studium der Anglizistik und Romanistik in Köln, ein berufliches Dasein als Lehrerin und jahrelanges politisches Engagement unter anderem als ehrenamtliche Bürgermeisterin in ihrer Wahlheimat Köln.

Inzwischen ist sie im Ruhestand, setzt sich aber immer noch leidenschaftlich für Kultur ein. Deshalb haben mehrere Verbände sie in den ZDF-Fernsehrat geschickt, der nun Ausgangspunkt für ihre ungewöhnliche Dienstreise nach Salzwedel ist. Nicht nur auf der dortigen Kinoleinwand wird sie wieder den früheren Grenz-Fluss Dumme sehen, die Landschaften ihrer Kindheit, die historischen Backsteinhäuser. „Ich habe mich als kleines Mädchen dort sehr eingeengt gefühlt, wollte raus“, sagt sie heute. Im Aufsichtsgremium des ZDF setzt sie sich nun dafür ein, mehr Filme aus dem Osten Deutschlands zu zeigen. „Wir verlieren als Gesellschaft sonst diese Orte“, meint sie: „Gegen rechtsextreme Kräfte kann man nicht argumentativ arbeiten. Man muss die Geschichten der Orte aufgreifen, als Medium stärker präsent sein und auch das Positive des Ostens zeigen.“ Der Film „In die Sonne schauen“ mache das vorbildlich.