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„Nix ist unmöglich“Wie Johannes Grasser sein Leben im Rollstuhl meistert

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Johannes-Grasser-01-Credit-Straub-Fotografie

Johannes Grasser 

Köln – Steil ragt der Zuckerhut über Rio de Janeiro empor. 396 Meter. Für Bergsteiger ist das im Grunde keine ernsthafte Höhe, doch wer ihn besteigen will, sollte fit sein. Dass ein Mensch, der im täglichen Leben auf den Rollstuhl angewiesen ist, eine solche Klettertour auch nur erwägen könnte, scheint undenkbar zu sein. Wenigstens für die meisten Menschen. Für Johannes Grasser nicht. Obwohl der 31-Jährige aufgrund seiner zu frühen Geburt eine Behinderung hat, will er 2021 nach Brasilien reisen. Und hoch auf das Wahrzeichen klettern.

Die Planungen laufen. Das vierköpfige Kletterteam steht, es gibt schon erste Sponsoren, die Suche nach weiteren dauert an. Eine Kölner Produktionsfirma wird eine Dokumentation drehen. „Ich will mit der Aktion zeigen, was alles geht, trotz Behinderung“, sagt Grasser. Eine Mission, die er praktisch schon sein ganzes Leben verfolgt.

Eine Frühgeburt mit Komplikationen

1989 kommt er in Bamberg zur Welt. Eine Frühgeburt und anschließende Komplikationen bewirken bei ihm eine schwere Form der Infantilen Cerebralparese (ICP). Die Folge: eine beinbetonte Tetraspastik, kaum Kontrolle über die Beine. Johannes trainiert quasi von Geburt an, täglich, stundenlang. Er meistert unzählige Therapien. Die Eltern fordern und fördern ihn, wo sie nur können. Die Devise: „Von nix kommt nix.“ Grasser verinnerlicht das. Und er entwickelt ein weiteres Motto: „Nix ist unmöglich.“

Seine Aktionen untermauern dieses Motto. Am 14. Oktober 2017 springt er mit seinem Rollstuhl im Schwimmbad der Kölner Sporthochschule vom 7,5-Meter-Brett. Ein Jahr später geht er mit einer Spezialkonstruktion surfen. In diesem Spätsommer hat er an den Mud Masters, einem harten Hindernislauf in den Niederlanden, teilgenommen. Sport und eisernes Training gehören zum Leben von Johannes Grasser.

Auch beruflich. Als Rollstuhlfahrer hat er Sportwissenschaften studiert. Zuerst an der Technischen Universität München, dann zum Master an der Sporthochschule Köln. Drei abgeschlossene Studiengänge sowie ein Auslandsjahr in Australien kann er vorweisen. Beim Deutschen Fußballbund (DFB) hat Grasser einen Studiengang zum Spiel- und Videoanalysten absolviert.

„Es gibt Tage, die nicht so cool sind“

Trotz aller Qualifikationen fand er nach dem Master in Sportwissenschaft keine Anstellung. Er schrieb hunderte Bewerbungen. Erfolglos. „Es gibt Tage, die nicht so cool sind“, stellt er lakonisch fest. Doch: Statt den Kopf in den Sand zu stecken, machte er sich auf den Weg in die Selbstständigkeit. Inzwischen arbeitet er als Speaker, Motivationscoach und Berater. Und er hat eine Sport-Funktionskleidung erfunden. 2020 sollten die Prototypen an den Start gehen. Es gab einen Investor.

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Dann kam Corona. Der Investor sprang ab. Die Patentoption läuft nur noch bis März 2020. Öffentliche Auftritte, die schon gebucht waren, wurden abgesagt. „Keine coole Zeit“, wie es Grasser ausdrückt. Doch er gibt auch 2020 die Hoffnung nicht auf. „Irgendwie geht es doch immer weiter“, ist er überzeugt. Es sei gar nicht ausgeschlossen, dass sich noch jemand findet, der seine Kleidung, bei der Sensoren für eine optimale Haltung sorgen, produziert. Seine Zuversicht scheint unerschütterlich. Auch das Zuckerhut-Projekt hätte ja eigentlich 2020 stattfinden sollen. Jetzt ist es eben verschoben worden. Ob er ein Vorbild hat? „Das Leben“, antwortet der junge Mann. „Weil das nie so läuft wie man denkt. Und weil es so viele verschiedene Seiten hat. Aber am Ende des Tages kommt immer etwas Positives raus.“

Es klingt, als sei Grasser bereit für den Zuckerhut.

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