Verlassene Orte in Köln (6)Vom beklemmenden Gefühl in einem menschenleeren Brauhaus

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Ohne Gäste ist alles nichts: Die Räume des Brauhauses wirken,  als wären die Menschen just um die Ecke verschwunden. 

Köln – Keinen Schritt weiter. Bloß nicht. Fast taumelt man zurück. Ein langer Gang, dunkelbraune Stühle stehen auf Tischen, es riecht nach Desinfektionsmitteln und nach altem Holz. Die Enttäuschung, wenn die Schwingtür des Brauhauses Früh am Dom mit sattem Kloppklopp hinter einem zuschlägt, ist körperlich. Kein Stimmengewirr, weder mit Essensdüften gesättigte Wärme noch beschlagene Kölschstangen, kein Köbes, der als Eminenz seinen Gastraum durchmisst. Der Platz des 90-Liter-Holzfasses am Eingang – leer. Ab hier war man Teil eines großen, warmen Organismus, die Laune wurde besser, dann das erste Kölsch. Das war vor Corona. Kaum ein Ort kommt so wenig ohne Menschen aus wie ein Brauhaus.

30 Gasträume – und alle sind leer

2, 5 Millionen Gäste kommen in normalen Zeiten pro Jahr ins Früh am Dom. Seit 1904 im Familienbesitz, hat es heute 30 Gasträume, oft holzgetäfelt mit freiliegendem Mauerwerk, im Keller ist sogar der Brunnen der alten Früh-Braustätte erhalten. Dom-Stiche, Wappen der Gewerke, alte Postkarten schmücken die Wände. „Die Gäste kommen in Wellen, wir machen dann einen Raum nach dem anderen auf“, schildert Bianca Bendriss, Ressortleiterin Früh-Gastronomie, für einen kurzen Moment in der Zeit vor dem Lockdown gefangen. „Sie fluten unsere Räume regelrecht.“ 1850 Gäste finden auf drei Etagen Platz, an 364 Tagen im Jahr ist geöffnet, nur Heiligabend nicht.

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Keine Gäste weit und breit

Direkt hinter dem Tresen am Eingang geht es in den ältesten Raum mit der weißen Theke - „für alles außer Kölsch“ - und drei starken Speiseaufzügen. Bis zu 5000 Gerichte werden an den besten Tagen geordert. Um fünf Uhr morgens fangen die Köche an, um Schnitzel, selbst gemachte Nudeln und und Rievkooche ab elf Uhr servieren zu können. „Da wird nichts unter 100 Kilo gemacht. 100 Liter Salatsoße, 150 Kilo Rindfleisch für den Sauerbraten sind usus.

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Die Gäste essen 60 000 Haxen und trinken 2,5 Millionen Gläser Kölsch pro Jahr“, erzählt Bendriss. Und dann passiert es. Für einen kurzen Moment sieht man, wie Köbesse mit Kölschkränzen übers Eichenparkett laufen, sitzen an den Tischen Menschen, die sich aufs nächste Kölsch und ihr Schnitzel freuen, kratzen Bleistifte über Bierdeckel, haut der Köbes einen Spruch raus. Aber nichts da, aus der Traum. Stattdessen staken leere Garderobenhaken zur Decke, die verwaiste Zweierbank in einer Nische stimmt ganz besonders traurig. An einem Brett blinken Jubiläumsschildchen der Köbesse Ajmail Singh (40 Jahre) und Ahmet Sütcü (30 Jahre) auf. Beide sind in Kurzarbeit, die Putzkräfte eines Dienstleisters haben gar keine Arbeit mehr. „Das machen unsere 30 Azubis, sie dürfen nicht in Kurzarbeit“, so Bendriss. Sorgen bereite, dass einige gute Kräfte gekündigt haben. „Die Gastronomie war ihnen zu unsicher. Das ist sehr schade, denn wir sind ein familiärer Betrieb, auch unser Chef arbeitet hier im Haus.“

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Die verlassene Küche im Brauhaus

In dem feiern die Kölner gerne. Nahezu alle Karnevalsgesellschaften waren schon mal hier, dazu kommen Weihnachtsfeiern, Firmenevents, Messegäste und natürlich Hochzeiten. Bei Paaren beliebt ist das Kapellchen, ein festlicher kleiner Saal mit Säulen, ganz in weiß. Hier wird den Biergöttern mit hinterleuchteten Kapellenfenster gehuldigt: Hopfen, Gerste, Quellwasser und dem Patron der Kölner Brauer, Petrus von Mailand. Apropos Wasser. Im Keller fördert ein Brunnen jährlich 25 000 Kubikmeter Grundwasser, das für die Toilettenspülung genutzt wird; so wird Trinkwasser gespart. Nicht gespart wird an der Haustechnik. Die ist täglich da, dreht die Hähne auf, um Legionellen vorzubeugen, stellt Lüftungen ein, prüft die Beleuchtung. „Wenn es wieder los geht“, sagt Bendriss, „sind wir sofort bereit.“

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Aus dem Untergeschoss geht es per Aufzug in den sechsten Stock ­ in eine andere Welt. In der Lounge werden große Hochzeiten gefeiert, dazu kommen drei, vier Veranstaltungen wöchentlich. Der leere Saal irritiert weniger als die verwaisten Schankräume, der spektakuläre Rundum-Blick auf Arena, Fernsehturm, Dom und die Dächer der Altstadt besänftigt die Gemüter. Wäre da nicht das hektische Blinken an zwei Monitoren, die einsam auf verrutschten Damasttischdecken stehen. Kassenbons liegen daneben, als sei die Servicekraft just um die Ecke verschwunden. „Eine Kellnerschulung“, mutmaßt Bendriss. Zu sehen ist keiner.

„Normal“ existiert hier nicht mehr

Auch in der Küche nicht. Nur sechs Stechkarten in den Registern zeugen von menschlichem Leben. „Die Mitarbeiter müssen wohl da gewesen sein“, sagt Bendriss. „Irgendwann.“ Bloß wozu? Auch die Küche wirkt wie ausgestorben. Polierter matter Stahl, weiße Kacheln, Bratflächen, alles steril und sauber. Der Rest Rapsöl in einer ramponierten 20-Liter-Flasche setzt einen Farbtupfer. Rosa Beeren in einer Vorratsbox den zweiten. Auch die Aushänge im Kasten machen klar, dass „Normal“ nicht mehr existiert. Hygienevorschriften, Amtliches. „Hier hängen sonst Glückwünsche, Schreiben von Gästen, Einladungen zu Feiern, alles kunterbunt“, sagt Bendriss.

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Zum Glück ist da noch der Früh-Shoppen im Foyer des Hotels: Hier gibt’s Devotionalien der Früh-Gemeinde. Badeshorts, rutwieß, liegen mit großem Aufforderungscharakter im Regal, es gibt Tassen, Strampler, sogar Corona-Schutzmasken mit Früh-Schriftzug.

Und dann sind da noch die beiden gelben Quietscheentchen in Gardeuniformen. Sie schauen sehnsüchtig auf den menschenleeren Roncalliplatz. Sie sind für den Karneval gemacht, und für sonst gar nichts. Wann bloß wird es wieder so sein, dass das Brauhaus aus den Nähten platzt, die Räume zum Bersten voll, es nach Bierschaum, Essen und Alltagvergessen riecht. Man könnte den Köbes fragen. Den in der Kristallkugel. Wenn man sie schüttelt, regnet es Konfetti.

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